So viel Glauben und Hoffnung richtet sich auf Jerusalem, auf den Zion. Hier war der Tempel, die geistliche Mitte des Volkes Gottes. Hier, an den Resten der Tempelmauer beten Juden noch heute voll Inbrunst. Oben, auf dem Tempelberg steht eines der wichtigsten Heiligtümer der Muslime und nicht weit davon ist auch der Ort, wo Jesus am Kreuz starb und die Grabeskirche. Ein Ort, aufgeladen mit Bedeutung, ein Ort, um den es Kriege und Kreuzzüge gab und gibt.
Hören wir, welche Hoffnung Jesaja mit dem Zion und mit Jerusalem verbindet: Jes 2
In einer Vision sah Jesaja, der Sohn des Amoz, wie es Juda und Jerusalem ergehen wird: Es werden Tage kommen, da steht der Berg mit dem Haus des Herrn felsenfest. Er ist der höchste Berg und überragt alle Hügel. Dann werden alle Völker zu ihm strömen. Viele Völker machen sich auf den Weg und sagen: »Auf, lasst uns hinaufziehen zum Berg des Herrn, zum Haus, in dem der Gott Jakobs wohnt! Er soll uns seine Wege lehren. Dann können wir seinen Pfaden folgen.« Denn von Zion her kommt Weisung, das Wort des Herrn geht von Jerusalem aus. Er sorgt für Recht unter den Völkern. Er schlichtet Streit zwischen mächtigen Staaten. Dann werden sie Pflugscha-ren schmieden aus den Klingen ihrer Schwerter. Und sie werden Winzermesser herstellen aus den Eisenspitzen ihrer Lanzen. Dann wird es kein einziges Volk mehr geben, das sein Schwert gegen ein anderes richtet. Niemand wird mehr für den Krieg ausgebildet. Auf, ihr Nachkommen Jakobs, lasst uns schon jetzt im Licht des Herrn leben!
Was für eine Hoffnung! Der Krieg wird verlernt, weil alle nur noch Frieden lernen, weil alle zu Gott kommen und seiner gerechten Weisung folgen. Was für eine wunderbare Hoffnung!
Aber ist das wahr? Dürfen wir so hoffen, oder machen wir uns etwas vor? Streit und Krieg überall in der Welt. Kriege in Syrien, im Sudan, im Jemen, in der Ukraine – es hört nicht auf. Krieg auch in Israel, dem Land der Heiligen Schrift. Seit Putins Überfall auf die Ukraine denken auch friedensbewegte Menschen hierzulande um. Sie befürworten die Unterstützung der Ukraine mit Waffen, Aufrüstung, mehr Waffen, mehr Soldaten auch bei uns.
In unserer Kirche und in unserer Gemeinde stehen zwei Positionen unvereinbar einander gegenüber. Die einen sagen: Jesajas Worte sind ein Auftrag an die Menschen, alle Waffen niederzulegen. Wenn wir Jesus folgen, dürfen wir uns nicht mit Gewalt wehren. Lieber lassen wir uns Unrecht antun, als selbst Unrecht zu begehen.
Die anderen sagen, und zu ihnen tendiere auch ich: Wir dürfen nicht Unrecht und Gewalt geschehen lassen. Wir müssen die Ukraine auch mit Waffen unterstützen. Und wir müssen uns selbst, unser Land, Demokratie, Recht und Freiheit schützen. Um des Friedens willen müssen wir jetzt „kriegstüchtig“ werden, wie Pistorius sagt. Das ist schlimm und gefährlich und doch nötig.
Wie sind dann Jesajas Worte zu verstehen?
Es werden Tage kommen, da steht der Berg mit dem Haus des Herrn felsenfest. Ausgerechnet Jerusalem! Die Stadt war immer wieder und sie ist auch heute umstritten und hart umkämpft.
Wer die Hebräische Bibel aufschlägt, findet Jesaja direkt nach den Königsbüchern. Am Schluss von 2. Könige steht die Zerstörung Jerusalems und des Tempels durch die Babylonier 586 vor Chr. Dann folgt Jesaja wie eine Antwort von Gott auf Krieg und Verwüstung. Jesaja setzt mit heftiger Kritik an Unrecht und Abwendung von Gott ein. Wie konnte die treue Stadt nur zur Hure werden? (1,21) und die Mächtigen beschimpft er als Sodom und Gomorra (1,10).
Aber dann folgt die Verheißung für Zion. Viele Völker machen sich auf den Weg und sagen: „Auf, lasst uns hinaufziehen zum Berg des Herrn.“ Da suchen und finden sie Gottes Thora, seine Gerechtigkeit und seinen Frieden. Trotz allem, was Jesaja anklagen muss, verkündet er Gottes Heil. Obwohl die Stadt und der Tempel in Trümmern liegen, ist sie der Ort der Hoffnung. Krieg und Gewalt behalten nicht das letzte Wort.
Nach der Katastrophe des 2. Weltkrieges waren sich viele einig: das wollen wir nie wieder, und sie gründeten die UNO. Man muss beklagen, wie schwach und blockiert die Vereinten Nationen heute sind. Aber es gibt keine Alternative dazu, dass sich alle Völker verständigen und miteinan-der zur Lösung der Probleme unseres Planeten wirken. Es muss und wird eine Verständigung geben unter denen, die heute Feinde sind.
Es wird eine Zeit nach dem Krieg kommen.
Es werden Tage kommen – wann, so fragen wir.
Wann endlich wird das Zerstören und der Hass, die Lügen und die Feindschaft aufhören?
Jesaja sagt uns Gottes Wort: Es werden Tage kommen – vertraut darauf! Mitten in einer Welt voll Krieg feiern wir schon jetzt den Frieden Gottes und wir hören nicht auf um Frieden zu beten.
Und wenn wir jetzt Waffen schmieden und auch einsetzen, dann wissen wir, dass wir uns schuldig machen und dass es nicht dabei bleiben kann. Es muss und wird eine Zeit nach den Waffen geben. Keine und keiner kann sich jetzt heraushalten und frei von Schuld bleiben. Keine und keiner wird dem Anspruch Gottes gerecht. Und doch verheißt uns Gott Frieden – wunderbar!
In Jesajas Worten höre ich auch, wie eng Frieden und Gerechtigkeit zusammenhängen. Die Völker kommen zum Zion, weil das Wort des Herrn von Jerusalem ausgeht. Frieden wird es geben, wenn wir auf Gott hören, wenn wir Gott achten und jeden Mitmenschen und auch Gottes Schöpfung achten. Wir sind dann schnell dabei, auf andere zu zeigen: „Die Mächtigen, die Kriegstreiber, die großen Umweltsünder, ich doch nicht!“ Und wir sind schnell dabei, es uns bequem zu machen: „Was können wir schon tun! Es wird doch alles immer schlimmer!“
Jesaja aber rüttelt an unserer bequemen Selbstgerechtigkeit und auch an der bequemen Resignation. Auf, lasst uns schon jetzt im Licht des Herrn leben! Wie die Völker einander zurufen: Auf, gehen wir zum Berg Gottes!, wann immer das sein wird, die kommenden Tage, so drängt uns Jesaja schon jetzt: Auf! Bleibt nicht sitzen in eurer Klage! Bleibt nicht stehen in eurem Unrecht! Auf, kehrt um zum Gott des Friedens und der Gerechtigkeit! Lebt schon jetzt in seinem Licht!
Amen