„Aus dem Grenzland erreicht uns Jesu Stimme“
Gemeinsamer Appell der Evangelischen Kirche in Deutschland und der Arbeitsgruppe
„Christliche Vision“ des Koordinierungsrates für Belarus
Seit Sommer 2021 instrumentalisiert das
Regime von Machthaber Lukaschenko
Menschen aus Krisengebieten und lenkt sie
über Belarus in Richtung der Europäischen
Union. So will er Druck ausüben, um seine
politischen Ziele zu erreichen. Die EU und die
Anrainerstaaten Litauen, Lettland und Polen
reagieren darauf mit völkerrechtswidrigen
Zurückweisungen („Push-Backs“) und
militärischer Abschottung. Enormes Leid ist die
Folge: Tausende Frauen und Männer, Familien
und Kinder sind im polnisch-belarussischen
Grenzgebiet eingekesselt, irren in den Wäldern
umher, hungern und frieren.
Hilfsorganisationen, unabhängige Medien und
Menschenrechtsorganisationen dürfen nicht zu
ihnen. Mehrere Menschen starben bereits.
Angesichts dieser humanitären Not können wir
als Christinnen und Christen nicht schweigen.
Wir glauben an den, der zu denen draußen vor
das Tor gegangen, wo kein Recht mehr gilt, und
keine Würde (Hebräer 13,12-14). Wir glauben an
den, der dorthin gegangen ist, wo die Menschen
ausgesetzt und eingekesselt sind: in der Kälte,
im Schlamm, zwischen Stacheldraht. Von dort,
aus dem Grenzland, erreicht uns Jesu Stimme.
Er schreit zum Himmel.
Wie kann unsere Antwort anders aussehen als
ihm zu antworten und unsere Stimmen für
diejenigen zu erheben, die niemand sehen und
hören will. Wir wissen, dass jedes Leben seine
gottgeschenkte, unverbrüchliche Würde hat
und jedes Leben gleich zählt: das der
jesidischen Frau, das des syrischen Kindes, das
des afghanischen Mannes. Sie alle brauchen
Schutz, Aufnahme und eine Zukunft – und wir
sind als Teil der großen Menschheitsfamilie
solidarisch an ihrer Seite.
Wir verurteilen den grausamen Umgang des
Lukaschenko-Regimes mit Menschen – sowohl
der belarussischen Bevölkerung, als auch
denjenigen, die auf Zuflucht und Zukunft in
Europa hoffen. Menschen dürfen niemals zum
Spielball von Politik gemacht werden.
Und wir appellieren an die politisch
Verantwortlichen:
1. Die Menschen im polnischbelarussischen
Grenzgebiet müssen
sofort humanitäre Hilfe
erhalten. Ärzte und
Hilfsorganisationen müssen
unverzüglich und ungehindert ihre
wichtige Arbeit leisten können.
Internationale Beobachter,
Rechtsanwälte und Journalisten
müssen ebenfalls Zugang bekommen.
2. Wir erwarten von der polnischen
Regierung, wie von jeder Regierung
in Europa, dass sie geltendes Recht
einhält. Dazu gehört die Einhaltung der
Menschrechte, insbesondere der
Schutz vor unmenschlicher oder
erniedrigender Behandlung und das
www.ekd.de Seite 2
Non-Refoulement-Prinzip von
Asylantragstellern (Verbot von Push-
Backs).
3. Das Asylrecht schützen. Menschen,
die Schutz innerhalb der EU suchen,
haben das Recht auf ein individuelles,
faires Asylverfahren.
4. Die EU braucht Menschlichkeit und
Rechtsstaatlichkeit in der
Flüchtlingspolitik, nicht Härte und
Abschottung. Dazu gehören die
solidarische Verteilung und Aufnahme
von Schutzsuchenden in Europa.
Wir rufen dazu auf, alle kirchlichen und
nichtkirchlichen Initiativen und
Hilfsorganisationen in Polen und Belarus zu
unterstützen, die solidarisch sind, den
Verfolgten in ihrer Not helfen und die
Menschenrechte verteidigen. Wir wollen auch
sie nicht alleine lassen.
Gott, segne Du, was gut und recht ist!