„Ich hab einen starken Gott.“, sagte die alte Dame. Sie war schon sehr gezeichnet von Krankheit und Schmerzen. Ich hatte sie mehrfach besucht. Kurz bevor sie das sagte, hatte es ausgesehen, als ob sie stürbe. Aber sie schaffte es zu lächeln und in ihrer besonderen Art zu sagen: „Ich hab einen starken Gott.“ Sie wusste, dass es nicht mehr lange gehen würde und strahlte dennoch Zuversicht aus. Eine Freude am Glauben war zu spüren, gerade hier, wo das Leben scheinbar keine Chance mehr hatte.
Die Freude am Glauben spüren wir manchmal, wenn sozusagen der Funken überspringt: beim ökumenischen Gottesdienst vor zwei Wochen oder beim großen Tauffest im Juni im Alten Grün, wenn wir mit ganzem Herzen in ein Lied einstimmen können, wenn wir uns durch einen Vers besonders angesprochen fühlen, wenn ein Trauernder wirklich Trost erfährt.
Wir haben einen starken Gott. Gott kommt uns entgegen. Gott teilt unsere Freude und unser Leid.
Unser Predigttext steht im Hebräerbrief, 10,35-39, und ich lese in der Übersetzung von Klaus Berger und Christiane Nord:
Werft doch eure große Freude am Glauben nicht fort! Denn es wartet doch reicher Lohn auf euch!
Ihr braucht nur etwas Geduld, um Gottes Willen treu zu erfüllen, bis ihr seine Verheißung erlangt. So heißt es doch in der Schrift: „Nur noch eine kurze Zeit, dann wird kommen, der da kommen soll, und er wird sich nicht verspäten. Wer bei mir als Gerechter lebt, der wird sein Leben ganz gewinnen, wenn er treu bleibt. Doch wenn er aufgibt, will ich nichts mehr von ihm wissen.“
(Jesaja 26, 20 und Habakuk 4,2+3) Wir aber werden nicht aufgeben und untergehen, sondern unserem Glauben treu bleiben, um uns nicht selbst zu verlieren.
Im entscheidenden Spiel geht der Mannschaft die Puste aus. Als hätte man ihnen den Stecker gezogen, so geht auf einmal nichts mehr. Es fehlen die geschickten Spielzüge, Pässe gehen ins Leere, die Spieler kämpfen nicht mehr und wirken lustlos. Da hält der Trainer in der Pause eine Ansprache. Er muss seine Mannschaft motivieren. „Was habt ihr alles schon geschafft! Die schwierigsten Spiele habt ihr trotz Rückstand umgedreht. Ihr seid stark und ihr könnt das.“ Nach der Pause ist wieder Spielfreude und Selbstvertrauen zu spüren.
Der Hebräerbrief ist eine Traineransprache für eine glaubensmüde Gemeinde. Viele wenden sich ab. Sie sind enttäuscht. Die Begeisterung der ersten Zeit ist verflogen. Der Alltag ist zermürbend.
Sie erwarten nichts mehr. Die große Freude des Glaubens ist nur eine matte Erinnerung.
Kann man den Glauben mit einem Spiel oder einem Kampf vergleichen? Ich meine schon.
Wir glauben gegen äußere Widrigkeiten, trotz all der Krisen und Konflikte, die die Welt und uns selbst durchrütteln. Wir glauben gegen unsere Angst und gegen die Resignation.
Auf jeden Fall ist der Glaube ein Mannschaftspiel – dringend brauchen wir die anderen, damit der Funke überspringt und das Spiel schön wird, damit wir einander auch in Durstrecken aufhelfen.
Werft doch eure große Freude am Glauben nicht fort! Andere übersetzen statt Freude am Glauben Zuversicht, Vertrauen oder Glaubensmut. Das Wort „Parrhesia“ meint ursprünglich die Freiheit alles zu sagen. Im antiken Athen waren sie stolz auf die Freiheit in ihrer Demokratie: Parrhesia. Die Israeliten gingen mit erhobenem Haupt, mit Parrhesia aus der ägyptischen Sklaverei in die Freiheit. Parrhesia ist Freiheit und Freude trotz allem, denn Gott ist nah, Jesus kommt – nichts kann uns trennen von der Liebe Gottes, die in Jesus Christus ist. Parrhesia schmeckt nach Siegesgewissheit trotz allem.
Wir werden nicht aufgeben und untergehen, sondern unserem Glauben treu bleiben, um uns nicht selbst zu verlieren.
„Ich hab einen starken Gott.“ Die alte Dame schaute auf ein schweres Leben zurück.
Sie hatte viel Leid erfahren und überstanden.
Und jetzt hatte sie nicht einmal Angst vor dem Tod.
Wir müssen die dunkle Seite unseres Lebens nicht übergehen. Wir verschweigen nichts. Wir sind verwundbar, aber wir haben einen starken Gott. Gott macht sich selbst verwundbar für uns. Er hält nicht fest an seiner Stärke. Er wird schwach, verletzlich. Er stirbt am Kreuz für die Welt und er lebt.
„Die Auferweckung Christi pflanzt in uns lebendige Hoffnung.“ schreibt unsere Landesbischöfin Heike Springhart. „Hoffnungsstur und glaubensheiter“ – so ist ihre Devise. Jemand machte sie darauf aufmerksam, das Wort „hoffnungsstur“ hat schon vor ihr Maria Sassin gebraucht. Ich lese Sassins Gedicht durchgerüttelt:
es rüttelt mich das leben
unbarmherzig zerrt es an mir
mit den anforderungen des alltags
mit problemen, schicksalsschlägen
ganz durcheinander wirbelt mich
die überfülle manch langer tage
es zerreißen mich entscheidungen
eindrücke stürmen auf mich ein
sprengen fast die volle seele
durchgerüttelt werde ich
erschöpft und weh das herz
täglich neu vertrauen fällt schwer
und doch weiß ich: alles ist gut
hoffnungsstur innehaltend gewahre ich
herrlich angeordnete mosaikmuster
wunderbare regenbogenfarben
mein leben – kaleidoskop
in Gottes Hand
Amen