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Pfarrer in Kenzingen seit Mai 2012, vorher als Pfarrer in Waldshut (1997-2012) und Riegel (1990-1997), verheiratet, drei erwachsene Kinder, Jahrgang 1960

“Dem, der glaubt, ist alles möglich” – Predigt über Mk 9,17-29

Predigt am 8.10.17 von Andreas Hansen über Mk9,17-27

Einer aus der Menge sagte: »Meister, ich bin mit meinem Sohn gekommen; ich wollte mit ihm zu dir, weil er einen stummen Geist hat. Wo immer dieser ihn packt, wirft er ihn zu Boden; dem Jungen tritt Schaum vor den Mund, er knirscht mit den Zähnen und wird ganz starr. Ich habe deine Jünger gebeten, den Geist auszutreiben, doch sie konnten es nicht.«
»Was seid ihr nur für eine ungläubige Generation!«, sagte Jesus zu ihnen. »Wie lange soll ich noch bei euch sein? Wie lange soll ich euch noch ertragen? Bringt den Jungen zu mir!«
Man brachte ihn, und sowie der Geist Jesus erblickte, riss er den Jungen hin und her, sodass dieser hinfiel und sich mit Schaum vor dem Mund auf dem Boden wälzte.
»Wie lange geht das schon so mit ihm?«, fragte Jesus den Vater des Jungen. »Von klein auf«, antwortete der Mann. »Oft hat der Geist ihn sogar ins Feuer oder ins Wasser geworfen, um ihn umzubringen. Doch wenn es dir möglich ist, etwas zu tun, dann hab Erbarmen mit uns und hilf uns!« – »Wenn es dir möglich ist, sagst du?«, entgegnete Jesus. »Für den, der glaubt, ist alles möglich.« Da rief der Vater des Jungen: »Ich glaube! Hilf meinem Unglauben!«
Als Jesus sah, dass immer mehr Leute zusammenliefen, trat er dem bösen Geist mit Macht entgegen. »Du stummer und tauber Geist«, sagte er, »ich befehle dir: Verlass diesen Jungen sofort und geh nicht wieder in ihn hinein!« Da schrie der Geist auf, riss den Jungen heftig hin und her und verließ ihn. Der Junge blieb regungslos liegen, sodass die meisten dachten, er sei tot. Doch Jesus ergriff ihn bei der Hand, um ihn aufzurichten. Da stand der Junge auf.

Manchmal wünschte ich, ich wäre mächtig.
Ich wünschte, ich könnte dem Mann in Las Vegas sein Gewehr aus der Hand schlagen, bevor er Menschen erschießt.
Ich wünschte, ich könnte dem Kriegstreibergeschwätz von Kim und Trump Einhalt gebieten.
Ich wünschte, ich könnte denen die Augen öffnen, die Hass auf Fremde und Andersgläubige schüren und die meinen, ihnen gehöre unser Land.
Ich wünschte, ich könnte die Macht der Krankheit brechen, die einer Freundin das Leben so schwer macht.

„Für den, der glaubt, ist alles möglich.“
Für wen ist alles möglich? Doch nur für Gott! Nur Gott kann alles möglich machen. 
Gott ist gütig, liebevoll, beschützend – so habt Ihr Konfirmanden am Mittwoch gesagt. Gott will das Gute. Und Ihr sagtet, Gott ist groß, Gott ist mächtig. So unendlich viel größer und mächtiger als wir.
Für Gott ist alles möglich. Aber für uns? Wenn wir Unheil, Krankheit, Unrecht erleben, wünschten wir uns, wir wären mächtig.

Verzweifelt wünscht der Vater Heilung für sein Kind. Alles hat er schon versucht, vergeblich.  Wir können uns wohl vorstellen, wie es ihm geht. Er kann die Krankheit, die wir Epilepsie nennen, nur als stummen Geist bezeichnen, unheimlich.  Der Sturm im Gehirn lässt das Kind zuckend, mit verzerrtem Gesicht hinstürzen. Und so geschieht es prompt, als er sein Kind zu Jesus bringt. Es sieht so aus, als wäre das Kind tatsächlich von einer bösen Macht beherrscht. Hilflos steht der Vater daneben. Furchtbar, das mit ansehen zu müssen. Die Jünger konnten nichts tun.
So fragt der Vater nun Jesus selbst, zögernd, als ob er schon die nächste Enttäuschung erwartet: „Wenn es dir möglich ist, etwas zu tun, dann hab Erbarmen mit uns und hilf uns! Kannst du uns helfen? Ich weiß es nicht. Ich habe Angst.“
„Wenn es dir möglich ist, sagst du? Für den, der glaubt, ist alles möglich.“
Da ruft der Vater, ja, er schreit Jesus an:  „Ich glaube. Hilf meinem Unglauben!“ Er soll glauben für sein Kind und ist absolut überfordert.

Liebe Gemeinde, besonders Ihr Konfirmanden, es ist nicht selbstverständlich, dass wir einen starken und festen Glauben haben. Das wissen gerade die, die oft in den Gottesdienst kommen. Unser Glaube ist oft überfordert. Unsere Zweifel und Ängste, unser Kreisen um uns selbst stehen uns im Weg. Wir haben es immer wieder nötig, dass Gott uns aus unserem Unglauben heraus hilft. Obwohl wir Gott so wenig entsprechen, obwohl wir so wenig vertrauen und glauben, dürfen wir zu ihm kommen, und er ist bei uns.
Martin Luther erklärt: „Ich glaube, dass ich nicht aus eigener Vernunft noch Kraft an Jesus Christus glauben oder zu ihm kommen kann, sondern Gott selbst, der Heilige Geist hat mich berufen, erleuchtet und in mir Glauben gewirkt.“
Wer zu sagen wagt „ich glaube“, der muss im gleichen Atemzug sagen, dass er das nur kann, weil er darauf vertraut, dass Gott ihm immer wieder zum Glauben verhilft.

„Ich glaube. Hilf meinem Unglauben!“
Das scheint ein Widerspruch zu sein. Aber wir machen diese Erfahrung. Es ist ein Widerspruch in uns, eine ungelöste Spannung.
Zum Verzweifeln ist die Not des kranken Kindes, und der Vater fragt sich, ob es überhaupt Hilfe gibt.
Heillos verfahren scheinen uns viele Konflikte in der Welt. Aber da wenden wir uns schnell wieder ab und kümmern uns nicht darum.
Wenn es uns selbst berührt, wenn wir um einen geliebten Menschen bangen oder selbst mit uns nicht fertig werden, können wir sehr gut mit dem Vater fühlen: „Hab Erbarmen mit uns! Hilf doch!   Ich möchte glauben, hilf meinem Unglauben!“ Da ist Gott fern und fremd, ja unheimlich.
Die Beter der Psalmen klagen: „Verbirg dich doch nicht, Gott! Lass mich doch nicht im Stich!“ Solche und noch ganz andere Sätze stehen in der Bibel. Da schreien Menschen ihre Enttäuschung und Verzweiflung heraus, ihre Klage gegen Gott.

Aber Gott bleibt nicht fern und fremd!
Auch Jesus schreit in seiner Not am Kreuz: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“ Auch er leidet daran, dass Gott fern ist. So, am Kreuz, stellen wir den Sohn Gottes dar. Gott, der mit uns und mit der Welt leidet. Er lässt sich selbst Unrecht und Gewalt zufügen.
An Ostern antwortet Jesus auf Leid und Tod. Er sagt uns: „Mir ist gegeben alle Macht.“ Und „Ich bin bei euch alle Tage.“
Ihn dürfen wir bitten oder sogar schreien:  „Ich glaube. Hilf meinem Unglauben!“

Ich möchte noch etwas aus unserem Konfirmandenunterricht am Mittwoch zeigen: „Gott und Mensch“, „Gott und wir” Wie nahe sind wir Gott? Wie nahe ist Gott uns? Ihr habt Euch aufgestellt wie Menschen, die einen Schritt auf Gott zu machen und denen Gott nah ist.
Der verzweifelt Vater fragt sich wohl: Ist Gott überhaupt da? Oder ist er nicht unendlich fern, unberührt von meinem Leid?
Und wo in diesem Bild ist nun Jesus? Er heilt dieses Kind. Für ihn ist das möglich. Er ist also ganz nah bei Gott. Aber trotzdem ist noch so viel Unheil und Not in der Welt.
Einer von Euch sagte, Jesus ist wie eine Brücke. Ja, genau!
In Jesus ist Gott ganz nah bei uns. Denn wir sind ihm lieb und keines Menschen Leid lässt Gott kalt.

„Für den, der glaubt, ist alles möglich.“
Redet Jesus von sich selbst oder meint er uns? Jesus redet auch von uns. Er verbietet uns zu resignieren vor dem Bösen, vor Unheil, Krankheit oder Unrecht. Auf keinen Fall dürfen wir die Hände in den Schoß legen und sagen „Wir können ja doch nichts machen“.
„Für den, der glaubt, ist alles möglich.“ Ich meine, das heißt für uns:
Bete und hoffe so, als ob allein Gott helfen kann!
Und handle so, als ob es allein auf dich ankommt!
Unser Wunsch erfüllt sich nicht immer. Dann gibt es keine Heilung, keine Hilfe, Einsicht oder Frieden. Es kann aber auch sein, dass Gott durch uns Heilung oder Einsicht, Frieden oder Recht schafft, dass Gott, sogar durch uns, seine Macht erweist.

Der Friede Gottes der höher ist als alle Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen

Kranke sind anders , Predigt über Mk 1,40-45

Predigt am 17.9.17 von Andreas Hansen über Mk1,40-45

„Du musst zum Arzt gehen.“ „Ach was. Ist schon nichts.“ Aber sie weiß selbst, dass er Recht hat. Seit Monaten ist sie matt und empfindlich. Jeden Infekt, der rumgeht, nimmt sie mit. Abgenommen hat sie auch. Aber sie will es nicht wahrhaben.    Sie will nicht krank sein. „Ist schon nichts.“ Schließlich lässt sie sich überreden und geht doch. Was der Arzt herausfindet, ist ein Schock: Krebs. Später wird sie ihr Leben in die Zeit vor und nach diesem Tag einteilen. Seit sie es weiß, ist ihr Leben anders. Alles hat sich verschoben. Die Krankheit bestimmt ihren Alltag. Sie hat immer die nächste Behandlung vor Augen. Die Nebenwirkungen machen ihr zu schaffen. Was die Kollegin vom Büro erzählt, interessiert sie nicht. Umgekehrt mag sie nicht von sich reden – wer versteht schon, der nicht selbst betroffen ist?

Kranke sind anders. Zwischen den Gesunden und den Kranken ist manchmal fast eine Art Mauer aus Angst, Unverständnis, Enttäuschung, Schmerz, Verbitterung – das macht uns einander fremd.
Manche reden nur über ihre Krankheit. Andere verschließen sich, wollen niemandem etwas sagen, schämen sich sogar.
Seelische Krankheiten, Depressionen, Angstzustände verunsichern uns besonders.
Manche Krankheit wird lange verschwiegen.
Mancher Gesunde hat Angst vor den Kranken und scheut sich, jemand im Heim oder im Krankenhaus zu besuchen.
Kranke misstrauen zuweilen dem Mitleid der anderen. Das Unverständnis der Gesunden verletzt sie ebenso wie billiger Trost.
Auch uns selbst werden wir als Kranke fremd.  Wir verstehen nicht, warum es uns getroffen hat.  „Womit hab ich das verdient?“ Und die Angst: „Was wird aus mir?“ Angst vor Schmerzen, vor Schwäche, vor der Ungewissheit, vor dem Sterben.

Von der Mauer zwischen Kranken und Gesunden handelt unser Predigttext und vor allem von der Überwindung dieser Mauer.   Mk 1,40-45

Und es kommt ein Aussätziger zu Jesus, fällt auf die Knie, bittet ihn und sagt: Wenn du willst, kannst du mich rein machen. Und Jesus fühlt Mitleid, streckt seine Hand aus und berührt ihn, und er sagt zu ihm: Ich will es, sei rein! Und sogleich weicht der Aussatz von ihm, und er wird rein.
Und Jesus ermahnt ihn eindringlich und schickt ihn auf der Stelle weg und sagt zu ihm: Sieh zu, dass du niemandem etwas sagst, sondern geh, zeig dich dem Priester, und bring für deine Reinigung dar, was Mose angeordnet hat – das soll ihnen ein Beweis sein.
Der geht weg und fängt an, es überall kundzutun und die Sache bekannt zu machen, so dass Jesus sich kaum mehr in einer Stadt sehen lassen kann, sondern draußen an abgelegenen Orten bleibt.   Und sie kommen zu ihm von überall her.

„Aussätzig, unrein“ rufen sie und machen Lärm mit ihren Klappern. Entsetzt laufen die Leute davon. Die Aussätzigen leben außerhalb des Dorfes, fernab von ihren Familien und allen Gesunden. Sie sind unrein, ausgeschlossen von allen Kontakten, auch vom Gottesdienst. Wer sie berührt, wird ebenfalls unrein. Darum kommt niemand zu ihnen. Es ist als hätten sie alle schon vergessen, als wären sie schon tot – man stellt ihnen in sicherem Abstand etwas zu essen hin. Auf keinen Fall dürfen sie sich den Gesunden nähern.
Was ist schlimmer: die Krankheit oder die völlige Isolation, die Mauer, hinter der sie bleiben?

Aber wie sonst soll man sich vor der Gefahr schützen? Die Angst ist verständlich. Ganze Dörfer und Landstriche wurden im Mittelalter durch Seuchen entvölkert. Bis 1958 gab es zum Beispiel vor Kreta eine kleine Insel, auf der die Lepra-Kranken isoliert wurden. Vor zwei Jahren hatte die ganze Welt Angst vor einer Ebola-Epidemie. Viele Opfer der Krankheit blieben  hilflos und allein.

Nun geht der Aussätzige auf Jesus zu. Er findet sich nicht einfach mit seiner Krankheit ab. Er bringt Jesus in Gefahr. Ungeheuerlich! Er kniet vor ihm und sagt: „Wenn du willst, kannst du mich rein machen.“ Dieser Kranke ignoriert die Mauer und sagt etwas Großartiges zu Jesus: „Du kannst tun, was nur Gott kann. Du kannst mich rein machen, wenn du willst. Dein Wille soll geschehen.“
Großartig ist sein Vertrauen in Jesus, in Gott. Er gibt sich in seine Hand. Niemand sonst kann ihm helfen.
Jesus geht das Leid an die Nieren. Er hat Mitleid. Aber er beklagt nicht den Kranken, „ach du Armer“. Jesus streckt die Hand aus und berührt ihn: „Ich will es. Sei rein!“
Auch Jesus akzeptiert die Mauer nicht. Er setzt sich hinweg über das Tabu der Unberührbarkeit. Und er spricht und handelt wie der Herr über das Leben, der Schöpfer, der uns Leben und Gesundheit schenkt. „Sei rein! Und er wird rein.“

Jesus will noch nicht, dass alle ihn erkennen. Er will auch nicht als Wunderdoktor gelten. Darum sagt er „Rede nicht davon!“ und schickt er den Geheilten auf den ganz normalen Weg zum Priester, dass der die Reinheit bestätigt. Aber was Jesus tut, lässt sich nicht verheimlichen.

„Ist das so einfach?“ So fragen wir uns und denken an unsere Kranken, deren Leid uns zu Herzen geht und an uns selbst, wenn wir krank sind. Muss einer nur recht fest vertrauen und zu Jesus sagen: „Mach du mal!“ und dann wird alles gut? So ist es ja nicht! Jesus heilt längst nicht alle Kranken.
Wenn wir selbst oder einer unserer Lieben von Krankheit betroffen sind, wünschen wir uns Heilung und beten darum. Aber soundso oft bleibt unser Wünschen und Beten unerfüllt.
Trotzdem beten wir um Heilung, und das ist gut so.

Gott schenkt uns das Leben. Wir leben nicht aus eigener Kraft. Seine Gabe ist auch die Gesundheit. Wir sind nicht gesund, weil wir uns so schön fit halten und nur das Beste essen. Wir sind nicht gesund durch Ärzte und Medikamente. Natürlich sollen wir unser Möglichstes tun, um gesund zu bleiben oder zu werden. Aber im Grund ist jede Heilung und jedes Gesundsein Gottes Geschenk. Denn er hat uns ins Leben gerufen und er ist in jedem Atemzug unser Schöpfer, der uns will. In der Kunst der Ärzte und in allem, was wir für unsere Gesundheit tun, ist es immer Gott, der uns dazu die Kraft gibt. Der Aussätzige bekennt sich zu Gott, seinem Schöpfer. Er erkennt ihn in Jesus: „Wenn du willst, kannst du mich rein machen.“
Gott hört unsere Gebete, auch unsere Klage in Schmerz und Angst. Er ist ganz auf unserer Seite. Und doch ist unser Leben begrenzt. Irgendwann kommt jede und jeder von uns an die Grenze.
Wir sind immer nur relativ gesund, nicht für immer vor Krankheit gefeit.
Und auch im Sterben vertrauen wir uns dem an, der das Leben geschenkt hat und der in Jesus unseren Tod durchleidet und überwindet.

Wir wollen uns Krankheit und Kranke vom Hals halten. Wir grenzen Kranke aus – das geschieht noch immer, obwohl wir in manchen Bereichen viel sensibler geworden sind. Kranke sind immer noch anders. Zwischen ihnen und den Gesunden ist noch immer viel Fremdheit, Unverständnis, manchmal eine Mauer.
Jesus aber akzeptiert die Mauer nicht. Er braucht keinen Sicherheitsabstand. Er berührt den Unberührbaren.
So ist Gott uns zugewandt und nah.
So dürfen wir unsere Ängste und Vorbehalte vor den Kranken überwinden.

Der Friede Gottes, der höher ist als alle unsere Vernunft, er bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen

Predigt über Jes 29,17-24

Predigt am 3.9.17 von Andreas Hansen über Jes 29,17-24

Jesaja  29,17-24 (Zürcher Übersetzung)

Nicht wahr? Nur noch eine kleine Weile, dann verwandelt sich der Libanon in einen Baumgarten, und der Karmel wird dem Wald gleich geachtet.
Und die taub sind, werden an jenem Tag die Worte des Buchs hören, und befreit von Dunkel und Finsternis werden die Augen der Blinden sehen. Und die Armen werden sich wieder freuen über den HERRN, und die Ärmsten der Menschen werden jubeln über den Heiligen Israels.
Denn es ist aus mit dem Tyrannen, und der Schwätzer ist am Ende, und ausgerottet werden alle, die auf Unheil aus sind, die in einer Rechtssache Menschen zur Sünde verleiten und dem, der sie im Tor zurechtweist, eine Falle stellen und den Gerechten mit Nichtigem verdrängen.
Darum, so spricht der HERR, der Abraham erlöst hat, zum Haus Jakob: Nun wird Jakob nicht mehr zuschanden werden, und sein Angesicht wird nun nicht mehr erbleichen.  Denn wenn er seine Kinder, das Werk meiner Hände, in seiner Mitte sieht, wird man meinen Namen heilig halten, und man wird den Heiligen Jakobs heilig halten, und vor dem Gott Israels wird man sich fürchten. Und die irren Geistes sind, werden erkennen, was Erkenntnis ist, und die Nörgler werden lernen, was Einsicht ist.

„Nicht wahr? Nur noch eine kleine Weile, ein winziges Wenig …“
Wer spricht da? Jesaja, ein Prophet. Im Namen Gottes spricht er. Gott selbst spricht.
Wer spricht da? Der Heilige Israels,  der HERR, der Abraham erlöst hat,  der Heilige Jakobs, der Gott Israels.
Von Erlösung spricht er. – Erlösung?

Wir sehen die Bilder der schlimmen Flut in Texas und zugleich in Bangladesch, Indien und Nepal. Menschen haben alles verloren. Schreckliche, Stunden haben sie hinter sich. Sie retten sich auf Häuser und Bäume und warten, bis sie erlöst werden.
Oder Erlösung aus größter Not für Flüchtlinge, die in überladenen Booten auf dem Mittelmeer treiben.
Dem erlösten Patienten fällt ein Stein vom Herzen, wenn die gefürchtete Diagnose ohne Befund ist.
Erlösung, wenn mir ein kluger, erfahrener Anwalt zur Seite steht. Die mich anklagen, lügen. Sie drehen mir das Wort im Munde herum. Aber der Anwalt bleibt ruhig und verhilft mir zu meinem Recht.
Erlösung für einen Sterbenden, dass er nicht Schmerz und Angst leidet, sondern ruhig gehen darf.
Erlösung: Befreiung aus Gefahr, Sicherheit, wenn alles ins Wanken gerät, Hilfe in Schmerz, Ruhe in kopfloser Angst.
„Ist es nicht nur noch ein winziges Wenig?“, denn da ist der HERR, der Abraham erlöst hat.
Die Welt steht Kopf, aber gewiss wird Er erlösen  und das Verkehrte zurecht bringen.

Wir finden uns schnell mit Missständen ab. Gott ist dazu nicht bereit. Er widerspricht der Resignation.
Der Libanon verwandelt sich in einen Baumgarten. Umweltfrevel gibt es schon in der Antike: Die Berge des Libanon waren einst bewaldet. Alles Holz wurde rücksichtslos verbraucht, bis nur noch verkarstete, wüstengleiche Flächen blieben. So kann es nicht bleiben. Gott hat fruchtbares Land geschaffen – so muss es sein.
Die taub sind, werden die Worte des Buchs hören, denn wir brauchen Gottes Wort zum Leben.
Befreit von Dunkel und Finsternis werden die Augen der Blinden sehen. Finster war es, bevor der Schöpfer sprach: Es werde Licht. Nun darf es nicht finster bleiben.
Die Armen werden sich wieder freuen über den HERRN, und die Ärmsten der Menschen werden jubeln über den Heiligen Israels. Sie werden erlöst aus ihrer Not und sie werden jubeln und sich freuen über ihren Erlöser.
Ist das alles nur ein Traum, eine Flucht aus der Wirklichkeit? Im Gegenteil: Jesaja nimmt die Zustände in der Welt sehr ernst. Er sieht das Unrecht, die Unterdrückung, Gewalt, Korruption.   Die Welt steht Kopf. Unrecht und Gewalt setzen sich durch. Mächtige halten sich für unangreifbar.
Aber Gott findet sich nicht damit ab. Nur noch eine kleine Weile, dann ist es aus mit dem Tyrannen, und der Schwätzer ist am Ende. Wie gut klingt das für die, die unter Tyrannen leiden!
Ausgerottet werden alle, die auf Unheil aus sind, die in einer Rechtssache Menschen zur Sünde verleiten und dem, der sie im Tor zurechtweist,  eine Falle stellen und den Gerechten mit Nichtigem verdrängen. Gott bringt die verkehrte Welt zurecht. Lüge und willkürliche Rechtsprechung finden ein Ende. Wie gut ist das für die, die verfolgt und ohne Grund eingesperrt werden.
Noch einmal: Das ist ja alles schön und recht, traumhaft schön und wunderbar gerecht. Das wünschen wir uns, und uns fallen auch gleich eine ganze Reihe von Unrechtsstaaten ein und Unrecht auch bei uns. Vieles, was in der Welt geschieht, ist verkehrt, unerträglich und zutiefst böse. Aber was soll man machen? So ist die Welt eben.

Woher nimmt ein Jesaja die Gewissheit, dass die Welt sich ändern könnte, dass sie sich schon ganz bald wandeln wird?
Jesaja antwortet: „Gott selbst spricht, der HERR, der Abraham erlöst hat. Der Heilige Israels will, dass die Tauben hören und die Blinden sehen und alle sich über ihn freuen. Der Gott Israels will sein Volk erlösen und die geplagte Schöpfung erlösen. Er will Frieden und Gerechtigkeit für die Welt, die er erschaffen hat.“
Jesaja sagt: „Meine Gewissheit kommt von Gott. Gott ist heilig. Er hat uns und alles erschaffen. Er hat sein Volk befreit, erlöst. Was Er will, geschieht. Er ist weit höher als wir und unser Verstehen.
Sollte ich etwa denen glauben, die die Welt zum Bösen verkehren? Sollte ich nicht ihm glauben, der die Welt geschaffen hat und zurechtbringen will?
Wer könnte mir mehr Gewissheit geben, als Er?“

Die Selbstgewissheit der Mächtigen ist verkehrt. Die Resignation vor dem Unrecht ist falsch. Gott stellt seinen Willen entgegen.
Die beiden Verse vor unserem Textabschnitt lauten: „Wehe denen, die ihren Plan in der Tiefe verbergen vor dem HERRN und ihre Taten an finsterer Stätte verüben und sagen: Wer sieht uns, und wer weiß von uns? Eure Verkehrtheit! Soll denn der Töpfer geachtet werden wie der Ton, dass das Werk von dem, der es gemacht hat, sagen könnte: Er hat mich nicht gemacht!“
Gott lässt nicht zu, dass die Welt Kopf steht, dass wir Menschen uns selbst an seine Stelle setzen.
Nun wird Jakob nicht mehr zuschanden werden, und sein Angesicht wird nun nicht mehr erbleichen. 
Gott hat sich an Jakob, an Israel gebunden. Ausgerechnet dieses kleine Volk, ein Spielball zwischen den Großmächten, hat Gott auserwählt. Immer wieder wird das Land Israel und das Volk der Juden in seiner Geschichte besetzt, unterdrückt, ausgeraubt, immer wieder bis zum Mord an sechs Millionen Juden durch uns Deutsche. Lange Zeit haben wir Christen geglaubt, Israel sei nicht mehr Gottes Volk, sondern wir. Heute bekennen wir, dass wir auf diese Weise zum Hass gegen Gottes Volk beigetragen haben. Aber Gottes Wille für sein Volk steht fest: Jakob wird nicht mehr zuschanden werden. Man wird meinen Namen heilig halten, und man wird den Heiligen Jakobs heilig halten,  und vor dem Gott Israels wird man sich fürchten.
„Geheiligt werde dein Name“ – so lehrt Jesus uns zu beten. Und der Katechismus erklärt, das geschieht, wo das Wort Gottes lauter und rein gelehrt wird und wir auch heilig, als die Kinder Gottes danach leben. Wir heiligen Gott, indem wir auf sein Wort hören und ihm folgen.
„Heilig, heilig, heilig ist der Herr“ – so loben wir Gott vor dem Abendmahl, denn der Heilige Israels ist uns nah, wenn wir Gemeinschaft mit Jesus feiern. Da singen wir mit Worten aus dem Buch Jesaja.
„Heilig, heilig, heilig ist der Herr“ – so hört Jesaja Gottes Engel singen, als Gott ihn zum Propheten macht.
Gott ist heilig. Er wird das Verkehrte umwenden und seine Welt zurechtbringen.
Gemeinsam mit den Juden loben wir Gott, den Heiligen Israels. Wir Christen loben ihn als den Vater Jesu Christi.

Der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus. Amen

Wie stehst du vor Gott? Predigt über Lk 18,9-14

Predigt am 27.8.17 von Andreas Hansen über Lk 18,9-14

Er nannte sich Imam, Abdelbaki Es Satty, der Kopf der Terrorgruppe in Spanien. Er ist wohl bei einer Explosion in Alcanar ums Leben gekommen.
Ein Imam ist ein Lehrer des Glaubens im Islam. Er leitet das Gebet an und steht der Gemeinde vor.
Der vorbestrafte Drogendealer Es Satty hatte sich vergeblich um eine Stelle als Imam in Belgien beworben, aber für die jungen Männer in Spanien war er der Imam, ihr Glaubenslehrer.
Woran glauben diese Leute? Was ist das für ein Gott, der sie zu Unmenschlichkeit, Hass und Gewalt führt? Mit dem Islam hat das nichts zu tun.   Es ist entsetzlich, wie Menschen Religion verbiegen und Glauben missbrauchen. Gott wird zum Werkzeug für Fanatismus und Selbstgerechtigkeit.

Woran glaubst du?
An sich selbst glauben die Autokraten dieser Welt. Ihre Anbetung der Macht ist grenzenlos. Sie sind süchtig nach Ruhm und beuten ihre Völker aus.   Es ist kaum fassen, dass Menschen vom Schlage eines Erdogan oder schlimmer so viele begeisterte Anhänger haben. Die sehen den eigenen Vorteil und schließen die Augen vor Unrecht, Lügen und selbstgerechter Propaganda.

Woran glaubst du? Wofür setzt du dich mit Herzblut ein?
Wir befragen diejenigen, die sich zur Wahl stellen, die unser Land regieren wollen. Was wird umgesetzt von dem, was in den Programmen steht?  Wir sehen den enormen Druck, unter dem Politiker stehen. Es ist oft sehr schwierig Entschei-dungen durchzusetzen und möglichst vielen gerecht zu werden. Viele Politiker verdienen hohe Achtung für ihr Engagement. Wir sehen aber auch vieles, was uns abstößt an Unehrlichkeit, Machtgier und Verantwortungslosigkeit.

Jesus fragt: Woran glaubst du? Wie stehst du vor Gott? Jesus erzählt von zwei Menschen im Tempel.
Ich lese Lukas 18,9-14:
Er sagte aber zu einigen, die überzeugt waren, fromm und gerecht zu sein, und verachteten die andern, dies Gleichnis: Es gingen zwei Menschen hinauf in den Tempel, um zu beten, der eine ein Pharisäer, der andere ein Zöllner.
Der Pharisäer stand und betete bei sich selbst so: Ich danke dir, Gott, dass ich nicht bin wie die andern Leute, Räuber, Ungerechte, Ehebrecher, oder auch wie dieser Zöllner. Ich faste zweimal in der Woche und gebe den Zehnten von allem, was ich einnehme.
Der Zöllner aber stand ferne, wollte auch die Augen nicht aufheben zum Himmel, sondern schlug an seine Brust und sprach: Gott, sei mir Sünder gnädig!
Ich sage euch: Dieser ging gerechtfertigt hinab in sein Haus, nicht jener. Denn wer sich selbst erhöht, der wird erniedrigt werden; und wer sich selbst erniedrigt, der wird erhöht werden.

Welcher von den beiden wären Sie gerne? Natürlich der, der gerechtfertigt nach Haus geht. Wir wollen doch mit unserem Gott im Reinen sein. Dafür sind wir gerne auch demütig, denn wir wollen ja erhöht werden. Also Zöllner?
Andrerseits, mal ehrlich, wir sind doch die meiste Zeit überzeugt, dass wir gerecht und vielleicht sogar fromm sind, zumindest verglichen mit vielen anderen. Aber so ekelhaft von uns selbst überzeugt wie der von Jesus geschilderte Pharisäer sind wir dann doch nicht.
Welcher von beiden passt zu uns?
Was Jesus erzählt, ist für seine ersten Hörer überraschend und richtig ärgerlich.
Zöllner werden verachtet und gemieden, denn sie ziehen für die verhasste Besatzungsmacht Geld ein und begehen dabei Unrecht und Betrug.
Pharisäer dagegen sind hoch geachtet. Sie bemühen sich ehrlich um ein Leben nach Gottes Gebot. Sie warnen übrigens ausdrücklich vor Selbstgerechtigkeit. Ein Zehntel der Einnahmen für die Armen? – alle Achtung – damit könnten wir viele Probleme lösen.
Aber bei Jesus kommt aber der Zöllner gut weg und der fromme, gerechte Pharisäer wird zum Sprichwort für Heuchelei. Jesus will seine Hörer überraschen.
Denn eigentlich fragt er sie und er fragt uns mit seiner Geschichte: „Woran glaubst du? Wie stehst du vor Gott? Was ist in Wahrheit dein Gott?“
Darauf kommt es an.
Dieser Pharisäer, den Jesus schildert, ist von sich selbst begeistert. Er stellt sich für sich alleine hin und bedenkt sein gutes Leben. Er braucht weder seine Mitmenschen noch Gott. Er ist sich selbst genug. „Woran glaubst du? – An mich. – Was ist dein Gott? – Meine Gerechtigkeit.“
Der Zöllner dagegen weiß, dass er Gott braucht und auf seine Gnade angewiesen ist – so, wie alle Menschen. „Wie stehst du vor Gott? – als Sünder, als Mensch, der sich von Gott abgewandt hat und Gottes Willen oft nicht entspricht – und doch darf ich vor ihn treten und ihm vertrauen.“
Wir sind Gott lieb, obwohl wir ihm widersprechen. Er will unsere Gemeinschaft – darum rechtfertigt Gott uns. Wir dürfen befreit aufatmen vor Gott. Wenn wir ihn suchen, antwortet Gott: „Du bist mir lieb und sollst leben.“
Und dann schenkt Gott uns die Begabung und die Kraft, Gutes zu tun – wie der Pharisäer. Gott will, dass wir stark sind, unsere Gaben entfalten und Gutes tun.

Aber furchtbar schnell rutschen wir ab in die Haltung der Selbstgerechtigkeit, dass wir uns mit anderen vergleichen und für besser halten, dass wir uns abwenden von den Menschen und Gott,   an uns selbst glauben, an den Erfolg, an die Macht, an das, was wir besitzen.

Jesus erzählt seine Geschichte und sagt: „Woran glaubst du? Was ist wirklich dein Gott? Pass auf, dass du dich nicht vergleichst und auf andere herabschaust! Pass auf, dass du dir nicht einen Gott zurechtmachst, der dir in den Kram passt!“

Uns trennen Welten von den hasserfüllten Jüngern des seltsamen Imam. Wir leben Gott sei Dank nicht im Reich eines ungerechten Autokraten. Selbst die Politiker in unserem Land erleben wir meist eher von ferne. Und doch geht uns all das an.
Wir sind betroffen von den Entscheidungen bei uns und bei den Mächtigen der Welt. Wir profitieren von der ungleichen Verteilung der Güter. Die Gewalt kommt uns bedrohlich nahe. Die Not haben wir mit den Flüchtlingen vor der Haustür. Wir sind verstrickt in das Unrecht der Welt. Wir sind Teil der Welt, die Gott zutiefst widerspricht.
Und bitten Gott für uns und für alle: Sei uns gnädig!
Amen

Brot des Lebens, Joh 6,30-35

Predigt am 30.7.17 von Andreas Hansen über Joh 6,30-35

„Das Passa war nahe, das Fest der Juden“ (6,4) Juden feiern das Fest der Befreiung so, als wären sie selbst die Sklaven auf dem Weg in die Freiheit, als zögen sie mit ihren Vorfahren durch die Wüste. Gott rettet jetzt und heute. Was wir heute erleben, ist mit der Geschichte von damals verknüpft.
Kurz vor dem Passa, in der Vorfreude auf das Fest, geschieht die wunderbare Speisung. Was Jesus austeilt, reicht für alle – es bleiben sogar zwölf Körbe voll übrig, ausgerechnet die Zahl der Söhne Jakobs, der Stämme Israels. So eine wunderbare Fülle! Das muss doch der von Gott Gesandte sein! Sie wollen Jesus zum König machen – und er entzieht sich.
Wir sind heute eingeladen zum Fest des Glaubens. Wir erleben mit, was zur Zeit Jesu geschieht. Wir kennen eigene „Wüstenerfahrungen“. Wir haben wie alle Menschen Sehnsucht nach einem heilen guten Leben.
Den Spuren Jesu folgen wir – und sind wie die Leute damals, mal gespannt, mal eher skeptisch.

Unser Predigttext steht im gleichen Kapitel des Johannesevangeliums wie die Lesung, ein paar Verse später: Johannes 6,30-35
Da sagten sie zu ihm: Was für ein Zeichen tust denn du, dass wir sehen und dir glauben können? Unsere Väter haben das Manna gegessen in der Wüste, wie geschrieben steht: Brot vom Himmel gab er ihnen zu essen.
Da sagte Jesus zu ihnen: Amen, amen, ich sage euch, nicht Mose hat euch das Brot vom Himmel gegeben, sondern mein Vater gibt euch das wahre Brot vom Himmel. Denn Gottes Brot ist dasjenige, das vom Himmel herabkommt und der Welt Leben gibt.
Da sagten sie zu ihm: Herr, gib uns dieses Brot allezeit!
Jesus sagte zu ihnen: Ich bin das Brot des Lebens. Wer zu mir kommt, wird nicht mehr Hunger haben, und wer an mich glaubt, wird nie mehr Durst haben.

 „Gib mir ein Zeichen, damit ich sehe und glaube!“ Mit ernster Miene erklärt der Arzt seine Diagnose. Er spricht von den nächsten Behandlungsschritten. Aber von Heilung ist keine Rede. „Das kann doch nicht wahr sein! Was wird jetzt?“
Wir sind auf uns selbst geworfen, herausgefordert, in Frage gestellt durch Unglück oder Schmerz oder Angst. Wir wünschen uns ein Zeichen von Gott, ein Zeichen, damit wir Vertrauen fassen können.
Wir fragen, wenn wir die Not in der Welt sehen,   die Millionen von Hungernden in Somalia, Sudan, Äthiopien, die Konflikte, für die keiner einen Ausweg weiß, das Unrecht, das in etlichen Staaten immer größer wird. Unfassbar ist das Leid, schrecklich die Hilflosigkeit und Verzweiflung.  „Zeig uns doch deine Güte, Gott! Hilf uns doch gegen das Böse! Verbirg dich nicht vor uns!“
So klagen die Beter in den Psalmen. „Gib uns ein Zeichen, damit wir sehen und dir glauben können.“
Aber wir bekommen oft kein Zeichen. Gott ist fern.
„Vielleicht ist das das einzige Zeichen, dass Gott uns aushalten lässt und wir irgendwann doch verstehen.“ So sagt Dietrich Bonhoeffer einmal über die Not des angefochtenen Glaubens.
Wir sprechen von bodenloser Angst, weil die Fundamente unseres Lebens ins Wanken geraten, wenn Schmerz und Schrecken und Feindschaft uns treffen. Der Wunsch nach einem Zeichen für den Glauben ist verständlich.

Die Leute haben gerade eben die Speisung der vielen Menschen erlebt – und fordern schon wieder ein Zeichen von Jesus? Einmal satt werden genügt ihnen nicht. Die Lage im besetzten Land Israel ist verzweifelt schlecht. Sie sehnen sich nach Freiheit und wollen wissen: „Bist du wie Mose? Führst du uns ins gelobte Land?“ Jesus soll zeigen, wer er ist.

Liebe Gemeinde, wir wollen Gewissheit; wir wollen uns absichern; belastbare Zusagen, am besten Schwarz auf Weiß. Aber das klappt ja nicht mal, wenn wir ein Auto kaufen – uns wird vorgemacht, was gar nicht stimmt. So ist es und noch viel mehr in allem, was wirklich wichtig ist.
Da hilft nur Vertrauen.
Ein Mensch kann mir sagen, dass er mich liebt, mich beschenken, verwöhnen, aber das alles sind keine Beweise. Ich muss es wagen, ihm zu vertrauen, mich auf eine Beziehung einlassen. Es ist ein wunderbares Geschenk, wenn daraus Liebe wächst.
Ebenso ist es mit dem Glauben: Wir bekommen keine Beweise, nur die Einladung zu vertrauen.
Der Wunsch „gib uns ein Zeichen, damit wir glauben können“, dieser – verständliche – Wunsch  verfehlt doch das Wesen des Glaubens.
Glaube ist eine Beziehung zu Jesus und zu Gott. Was ich glaube, ist nicht beweisbar und es ist doch der tragfähige Boden, auf dem ich stehen kann.

Auf den Wunsch nach einem Zeichen antwortet Jesus: „nicht Mose hat euch das Brot vom Himmel gegeben, sondern mein Vater gibt euch das wahre Brot vom Himmel“ und dann „ich bin das Brot des Lebens“. Jesus bietet sich an, seine Zuwendung, seine Freundschaft. Er lädt ein ihm zu vertrauen. Jesus selbst ist das Zeichen, dass Gott uns liebt und nicht alleine lässt.
Jesus ist eins mit Gott – darum kann er so stark „Ich“ sagen. Gott kommt in die Not der Welt. So sehen wir ihn am Kreuz. Jesus ist das Kind, dessen Hungertod die Welt übersieht. Jesus ist das Opfer von Unrecht und Gewalt. Sein Zeichen ist nicht, dass plötzlich alles gut und heil ist, sondern, dass er in unsere böse und heillose Welt kommt.
Er sagt nicht: Ich gebe Brot, sondern: Ich bin Brot. Er bietet sich an, dass er uns zum Brot wird, uns sättigt und heilt. Jesus schenkt uns sich selbst. Er setzt sein Leben für uns ein. Er trägt unser schuldiges, verletztes, zerbrechliches Leben. Er leidet unsere Angst, unseren Tod.
Jesus, das Brot des Lebens, schenkt uns das Leben. Ich bin das Brot des Lebens.
Brot ist ein alltägliches Nahrungsmittel. Jesus ist nicht die Sahnetorte, die man nur zu bestimmten hohen Festtagen mag, an Weihnachten und Ostern, die man aber nicht jeden Tag vertragen würde. Jesus ist nicht ein Freund, den man nur zu großen Familienfesten einlädt und eigentlich kaum kennt, sondern der Freund um die Ecke, bei dem man jederzeit klingeln kann.
Jesus ist nicht das Feinschmeckermenü, das nur ein Kenner wirklich genießen kann, ein Essen für wenige Eingeweihte.
Jesus ist auch nicht die eiserne Ration, die man nur auspackt, wenn die Not extrem groß ist, weil sie eigentlich nicht schmeckt.
Brot ist Grundnahrungsmittel: Das, wovon man leben kann, Kraft zum Leben, sicher auch in Not, wenn der Mensch den Boden unter den Füßen verliert, aber auch an glücklichen Tagen und eben  jeden Morgen, wenn ich mich frage, wie ich diesen Tag bestehen soll.

Liebe Gemeinde, wir hätten gerne ein Zeichen, damit wir sehen und glauben. Der Apostel Thomas darf seine Hand in die Wunde Jesu legen, damit er es glaubt, dass Jesus lebt. Er bekommt gesagt: „Selig sind die, die nicht sehen und doch glauben.“
Jesus lädt uns ein: „Vertrau mir, nimm meine Freundschaft an! Brot will ich dir sein.“
Einen Beweis gibt er uns nicht. Aber er ist doch bei uns.
Wir sind eingeladen zum Fest des Glaubens. Wir feiern Jesus mitten unter uns, wenn wir in seinem Namen zusammen sind, im Gottesdienst, wenn wir hören, was er sagt, es uns sagen lassen, wenn ihn in Brot und Wein empfangen. Einen Beweis gibt er uns nicht und doch lädt er uns ein und wir feiern ihn in unserer Mitte. Brot des Lebens gibt er uns.
Auch alleine können Glauben einüben, beten, auf sein Wort hören, zu ihm einkehren, wie zu einem Freund. Brot des Lebens wird er uns, täglicher Begleiter. Hören wir auf seine Einladung!
Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in ihm. Amen

Predigt über Apg 8,26-39

Predigt am 23.7.17 von Andreas Hansen über Apg 8,26-39

Apg 8,26-39

Wenn einer eine Reise macht, dann kann er was erzählen. Der Minister aus Äthiopien wird seine Reise nach Jerusalem nicht vergessen. Einen weiten Weg hat er auf sich genommen um an diesem heiligen Ort zu sein. Sehnsucht nach Gott treibt ihn. Aber er ist in Jerusalem an Mauern und Grenzen gestoßen: Er ist fasziniert von der jüdischen Religion, aber er gehört nicht zum jüdischen Volk. Er bleibt ein Fremder. Als hoher Beamter am Hof der äthiopischen Königin ist er ein Eunuch – darum darf er nicht am Gottesdienst teilnehmen. Er ist ein Schwarzer, von weitem als Fremder zu erkennen.
Nun ist er auf dem Rückweg. Wenig hat er erreicht.   Er sitzt in seinem vornehmen Wagen. Halblaut liest er in der kostbaren Buchrolle, die er sich gekauft hat. Er kann sogar die Sprache der Juden – und versteht doch nichts.
Auf einmal läuft jemand neben seinem Wagen. Gott hat Philippus auf diesen Weg geführt: „Verstehst du, was du da liest?“ „Wie kann ich es verstehen, wenn niemand es mir erklärt?“ Seine Reise hat ihm bisher nur gezeigt: Ich werde zurückgewiesen; ich gehöre nicht dazu. Zwischen mir und den Glaubenden ist und bleibt eine Grenze. „Wie kann ich es verstehen, wenn niemand es mir erklärt?“
Er lädt Philippus ein in den Wagen. Er fragt, er hört und erlebt etwas Wunderbares: Hier bei Jesus finde ich, was ich gesucht habe. Ich will Gott erfahren. Darum kam ich in dies Land und ging zum Tempel. Ich wollte dort Gott anbeten, aber ich blieb ein Außenseiter, ein Fremder. Jetzt weiß ich, dass Gott mir nahe ist und mich liebt, dass er Ja zu mir sagt, so wie ich bin.

„Mit meinem Gott kann ich über Mauern springen“ (Ps 18,30), so singt König David im Rückblick auf sein Leben. Wir sehnen uns danach, Mauern zu überwinden, Mauern, die uns voneinander trennen.
Der Mann aus Äthiopien erlebt, wie enge religiöse Vorstellungen und Vorurteile ihn ausgrenzen. Mauern zwischen Menschen sind oft auch Zeichen von Gewalt und Unrecht.
Mit Sorge sehen wir Politiker, die Mauern errichten, die sich von Kritikern verfolgt sehen, die Misstrauen schüren. Der türkische Staatspräsident Erdogan zieht Mauern um sein Land und erklärt zum Terroristen, wer ihm nicht passt. Die polnische Regierung rückt immer weiter von demokratischem Recht und von Europa ab. Reflexhaft beginnen wir selbst uns abzugrenzen und wollen mit „denen“ nichts mehr zu tun haben. Zu bewundern sind alle, die Mauern wieder durchlässig machen.
„Mit meinem Gott kann ich über Mauern springen.“ Nach langer Zeit können die Opfer von Missbrauch und Gewalt über das reden, was ihnen angetan wurde. Sie haben in sich verschlossen, was sie verletzt hat und immer noch Angst macht. Aber jetzt reden sie.
„Mit meinem Gott kann ich über Mauern springen“ – fröhlich singt David davon, dass Gott ihm geholfen hat, dass er sich nicht hat einschüchtern lassen und sein Ziel erreicht hat. Das Leben wird oft erst im Blick zurück verstanden. Da erkennen wir, wie Gott bei uns war und uns über die Mauer geholfen hat.
„Mit meinem Gott kann ich über Mauern springen“ – denn Gott kommt zu uns in Jesus. Er wird einer von uns. Viele Künstler haben das ausgedrückt und Jesus als einen der Ihren gemalt: ein schwarzer Jesus, schwarz wie der Mann aus Äthiopien, ein asiatischer Jesus, ein europäischer Jesus, Jesus in vielen Zeitaltern. Gott wird einer von uns, uns gleich, damit wir zu ihm finden, die Mauer überwinden, die man auch Sünde nennt.

Philippus und der Äthiopier sind nicht allein. Als sie miteinander in der Bibel lesen und darüber sprechen, ist Jesus bei ihnen. Ihnen gehen die Augen und das Herz auf.  Sie spüren, wie nahe Gott ihnen beiden ist. Und sie erleben, wie durch Jesus die Mauern und Grenzen unwichtig werden.
Auf einmal ist an der Wüstenstraße Wasser. Der Äthiopier fragt: „Was spricht dagegen, dass ich getauft werde? Darf ich einfach so zu Jesus gehören?“
Spätere Überlieferer haben eine Tauffrage und ein Bekenntnis in den Text eingefügt: Philippus sagt: „Wenn du von ganzem Herzen glaubst, so kann es geschehen.“ Der Äthiopier antwortet: „Ich glaube, dass Jesus Christus Gottes Sohn ist.“ Da ist der Glaube Bedingung für die Taufe. Im ursprünglichen Text steht das nicht. Sicher gehört unser Glaube, unser Bekenntnis zur Taufe dazu. Wir fragen einen erwachsenen Täufling und auch ein Kind, das es versteht: Willst du getauft werden? Aber unser Glaube ist nicht die Voraussetzung oder der Grund der Taufe. Der Grund ist allein bei Gott. Er schenkt uns seine Liebe. Er kann sie nur schenken. Wir haben keinen Anspruch darauf.
Und wir überwinden nicht aus eigener Kraft, was uns von Gott trennt, die Mauern unserer Selbstsucht, unserer Schwäche, unseres Unglaubens. Gott hilft uns auf die Sprünge. Gott will, dass uns nichts von ihm trennt. Jesus bricht Zäune ab, reißt Mauern ein, weil Gott uns liebt.

Der Äthiopier lässt den Wagen anhalten. Beide steigen ins Wasser. Philippus tauft ihn. So einfach und schnell geht das, was wir Menschen da tun. Aber großartig und wunderbar ist, was Gott uns in der Taufe schenkt: Keine Macht der Welt kann uns trennen von seiner Liebe. Fröhlich zieht der Äthiopier weiter. Er ist glücklich über seine Taufe. Was er suchte, hat er gefunden. Er hat einen Schatz, eine Freude, die ihm niemand nehmen kann.

Gestern haben sich 22 Jugendliche getroffen. Sie wollen im nächsten Jahr konfirmiert werden und so ihre Taufe bestätigen.  – Auch 6 Konfirmierte vom letzten Jahr waren dabei. – Wir möchten mit ihnen in der Bibel lesen, über uns selbst und unseren Glauben an Jesus Christus reden, beten, feiern und vieles mehr. Wir tun das mit großem Aufwand, damit unsere Jugendlichen sich, wie der Äthiopier, über ihre Taufe freuen. Sie sollen erfahren: „Mit meinem Gott kann ich über Mauern springen.“ Gott ist bei mir alle Tage. Zwischen Gott und mir ist nichts, was uns trennen kann. Fröhlich, voll Freude über Gott, sollen sie ihren Weg finden und gehen.

„Mit meinem Gott kann ich über Mauern springen.“ Der fremde Äthiopier erfährt Gottes Liebe. Sie überwindet alle Mauern. Gott wird auch das zusammenführen, was heute zerrissen und durch Mauern getrennt ist. Er wird die aufrichten, die geschlagen sind, und heilen, die verletzt sind. Nichts kann uns trennen von seiner Liebe. Sie gilt allen Menschen.

Der Friede Gottes, höher als unser Verstehen, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen

 

WAS SUCHST DU? – Predigt über Joh 1,35-42

Predigt am 16.7.17 von Andreas Hansen über Joh 1,35-42

Johannes1,35-42: Am nächsten Tag stand Johannes abermals da und zwei seiner Jünger; und als er Jesus vorübergehen sah, sprach er: Siehe, das ist Gottes Lamm! Und die zwei Jünger hörten ihn reden und folgten Jesus nach. Jesus aber wandte sich um und sah sie nachfolgen und sprach zu ihnen: Was sucht ihr? Sie aber sprachen zu ihm: Rabbi – das heißt übersetzt: Meister –, wo wirst du bleiben? Er sprach zu ihnen: Kommt und seht! Sie kamen und sahen’s und blieben diesen Tag bei ihm. Es war aber um die zehnte Stunde.
Einer von den zweien, die Johannes gehört hatten und Jesus nachgefolgt waren, war Andreas, der Bruder des Simon Petrus. Der findet zuerst seinen Bruder Simon und spricht zu ihm: Wir haben den Messias gefunden, das heißt übersetzt: der Gesalbte (Christus). Und er führte ihn zu Jesus. Als Jesus ihn sah, sprach er: Du bist Simon, der Sohn des Johannes; du sollst Kephas heißen, das heißt übersetzt: Fels (Petros).

Im Bahnhof auf dem Abstellgleis stehen Waggons. Einer ist großflächig mit einem Graffito bemalt. Riesige Buchstaben hat jemand darauf gesprayt.
Ey stark! – Lena zückt ihr Smartphone und macht ein Foto. Später auf der Fahrt schaut sie sich das wieder an, sieht jetzt auf einmal den Schriftzug und entziffert: WAS SUCHST DU?   Lena erschrickt. Als hätte das jemand für sie gesprayt, die Frage, die ihr keine Ruhe lässt: WAS SUCHST DU? Das halbe Jahr Work-and-travel in Australien war super, aber jetzt kommt es ihr unwirklich vor. Als sie sich nach fast drei Jahren miteinander von ihrem Freund getrennt hat, konnte sie nicht sagen, warum, nur dass etwas nicht stimmt. Im Hörsaal schaut sie sich selbst über die Schulter: Bin ich hier richtig? WAS SUCHST DU? Ja, was suche ich? Wie ein weißes Blatt liegt mein Leben vor mir.

Dicht gedrängt stehen die Leute in der S-Bahn.  Rita versucht, möglichst wenig einzuatmen. Zum Umfallen müde ist sie nach diesem Tag. Sie denkt daran, was sie zuhause noch erledigen muss. Wie viele Tage sind es noch bis zum Urlaub?
Sie schaut an den Leuten vorbei aus dem Fenster. WAS SUCHST DU? in großen bunten Buchstaben auf dem Gleis gegenüber. Ruhe, einfach nur zu mir kommen, raus aus der ewigen Hetze. Das wär gut. Das suche ich. Aber schon denkt sie wieder an den Ärger im Büro. Die S-Bahn fährt an. Der Schriftzug entschwindet. Rita seufzt.

„Was soll das Geschmier? Willst du mich ärgern?“ Ohne Kommentar hat Lena das Foto ihrem Vater geschickt. „Ich find´s cool.“ schreibt sie jetzt. „Kunst oder was?“ „Das auch, aber lies doch!“ „Ach so.“
Dann kommt nichts mehr von ihm. Abends schreibt sie noch einmal: „WAS SUCHST DU?“ Er antwortet „Wenn ich das wüsste. Ich weiß nur, dass ich irgendwas noch nicht gefunden habe.“ Lena freut sich über die ehrliche Antwort und schickt ihm ein Smiley „Dann geht es uns ja ähnlich.“

Jesus dreht sich um. Die zwei hat er vorhin bei Johannes gesehen. Wieder hat Johannes gesagt „Du bist Gottes Lamm“ – was meint er damit?
Die zwei sind ihm gefolgt. Jetzt bleiben sie stehen und sehen ihn an. „Was sucht ihr?“ Sie nennen ihn Meister, Lehrer – ist er das? Soll er das sein?
Eben noch war er bei Johannes, um zu lernen. Jesus denkt an seine Taufe, wie Johannes ihn angesehen hat. Soll er jetzt wie Johannes Schüler um sich sammeln?
„Meister, wo wirst du bleiben?“ Er sieht sie an und versteht. „Ja, dann kommt mit mir! Kommt und seht!“ Und schon am Abend sagt einer der beiden zu seinem Bruder: „Wir haben ihn gefunden, den Messias, den von Gott Gesandten.“

Beiläufig, wie zufällig am Wegrand entdeckt, so finden die ersten Jünger zu Jesus.
Jesu erste Worte im Johannesevangelium: „Was sucht ihr?“ und „Kommt und seht!“ und „Du bist Simon, Sohn des Johannes und du sollst Kephas, Petrus heißen.“
Beiläufig, einfach erzählt der Evangelist, was sehr tief berührt: Suchen und finden, hören und folgen, sehen und bleiben – eine Beziehung, Erkennen, Vertrauen.
Andreas, Simon und der anonyme dritte Jünger sind glückliche Finder. Sie finden, was sie schon immer gesucht haben und was nur Jesus für sie sein kann. Andreas bringt Simon zu Jesus, und Jesus kennt Simon schon. Simon erkennt, wie er erkannt ist. Jesus ist ein glücklicher Finder und kommt Simon zuvor.

WAS SUCHST DU?  fragen sich die Studentin Lena und ihr Vater und die urlaubsreife Rita.
Wir wissen zuweilen nicht einmal, was wir suchen, nur die Unruhe ist da.
„Mach dich auf den Weg! Komm und sieh! Lass dich finden und segnen!“ So begann Gottes Weg mit Abram. Gott fängt gerne neu an mit uns. Unser Suchen und Anfangen und Umkehren ist gesegnet.
Wir segnen den Anfang. Wir segnen in Gottes Namen den Schritt zweier Menschen in eine Ehe. Wir segnen, dass sie liebevoll und treu und verantwortlich füreinander da sein wollen, das Leben teilen wollen.
„Mach dich auf den Weg! Komm und sieh! Lass dich finden und segnen!“ Der Sohn, der sein Vermögen und seine Gaben verschwendet hat und umkehrt, wird gesegnet und vom Vater voll Freude empfangen. Der Mensch, der sein Scheitern erkennt und eingesteht und neu beginnt, wird gesegnet.
Gott fängt gerne neu mit uns an. Jesus hat längst den ersten Schritt getan.
In jedem Abendmahl sagt uns Jesus: „Es ist gut. Du bist mir lieb und wert. Komm mit mir!“

Suchen und finden, hören und weitersagen – so beginnt auch Gemeinde. Andreas sagt weiter, was er gefunden hat. Er bringt seinen Bruder zu Jesus.
Der Name des Dritten bleibt ungenannt, anonym. Die oder der ist nicht berühmt geworden. Mit vielen, deren Namen keiner mehr kennt, beginnt die Gemeinde.
Wir sind hier im Gottesdienst, weil jemand uns einmal hierher gebracht hat. Vielleicht unsere Eltern irgendwann einmal oder einfach jemand,   die oder der erzählt hat, uns eingeladen hat.
Wir sind hier im Gottesdienst, weil wir etwas gefunden haben, etwas, was uns gut tut, Worte, Musik, eine Gemeinschaft, eine Begegnung mit Gott – wir erleben das unterschiedlich.
Wir sind auch hier im Gottesdienst, weil wir suchen. Keine, keiner von uns hat einen fertigen Glauben.  Wir sind auf dem Weg, gemeinsam auf dem Weg.

Unser Kirchenbezirk will tun, was Andreas in unserem Text macht. Viele, denen der Gottesdienst wichtig ist, sollen es weitersagen und eine oder einen anderen einladen: „Gottesdienst tut mir gut. Ich würde dir das gerne zeigen. Komm mit! Schau es dir an!“ Für einen bestimmten Sonntag, den 1.Advent, soll die Einladung möglichst viele erreichen. Die Aktion heißt „Spürbar Sonntag“. Sie werden noch davon hören.

„Was sucht ihr?“ fragt Jesus die beiden, die ihm folgen. Ihre Antwort ist ebenfalls eine Frage: „Meister, wo wirst du bleiben?“ An einer anderen Stelle  sagt Jesus: die Füchse haben Gruben, und die Vögel haben Nester, aber der Menschensohn hat nichts, wo er sein Haupt hinlege. Und doch: wie kein anderer ist Jesus in Gott zu Hause. In seiner unbedingten Liebe. Im Hause seines Vaters. Dort sind viele Wohnungen. Und Jesus lädt sie ein: „Kommt und seht!“

WAS SUCHST DU?  Es freut Lena, dass ihr Vater so ehrlich antwortet. Sie fühlt sich ihm nahe wie lange nicht. „Es fällt mir so schwer mich zu entscheiden.“ „Ja, das kann ich verstehen. Ich bin froh, dass ich manche Entscheidungen nicht mehr treffen muss. Andrerseits: Ich habe nicht mehr so viele Möglichkeiten und manchmal denke ich, ob ich vielleicht das Wichtigste versäume.“
Lena ist still. Dann nickt sie ihm zu. „Ich werde dir sagen, wenn ich etwas gefunden habe.“

Der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen

Gott sucht den Menschen – Predigt über Lk 15,1-7

Predigt am 2.7.17 von Andreas Hansen über Lk 15,1-7

Gottesdienst in Sundhouse gemeinsam mit unserer Partnergemeinde

Liebe Gemeinde, Gott sucht den Menschen.
Seine Lust am Finden ist riesengroß. Gott sucht den Menschen und freut sich über alle Maßen, wenn er einen Verlorenen findet.
Seine Freude steckt den Himmel und alle Engel an.
Jesus Christus ist in die Welt gekommen um die Sünder selig zu machen – so hörten wir im Brief an Timotheus.
Gott sucht den Menschen. Jesus sagt: Ich bin gekommen zu suchen und selig zu machen, die verloren sind. So versteht er sich. So entspricht er seinem Vater im Himmel.
Gott ist außer sich vor Freude, wenn ein Verlorener gefunden wird und sich finden lässt. Warum? Weil Gott den Menschen lieb hat und nicht ohne ihn sein will. Weil Gottes Herz an dem Verlorenen hängt. Weil Gott die Sünde hasst, aber den Sünder liebt.

Das Gleichnis vom verlorenen Schaf wird gerne kleinen Kindern erzählt. Es kommt scheinbar ein wenig harmlos daher. Uns fällt das Liedchen ein „Weil ich Jesu Schäflein bin“. Aber wir irren uns, wenn wir Jesu Gleichnis als Kinderkram abtun. Etwas oder jemanden verlieren, verloren gehen oder verloren sein, das ist schrecklich – das wissen gerade Kinder sehr gut. Kinder spüren, wie verletzlich sie sind, wie sehr sie auf gute Hirten angewiesen sind.
Untröstlich sind wir, wenn wir verlieren, was uns am Herzen liegt. Schon kleine Verluste können manche Menschen aus der Fassung bringen.
Wir erschrecken, wenn wir nicht weiter wissen, die Orientierung verlieren, keinen Ausweg sehen.
Ein Abgrund tut sich auf, wenn ein geliebter Mensch mich im Stich lässt, wenn ich sie oder ihn verliere. Dann bin ich allein und verloren. Dann wankt das Fundament meines Lebens.
Verlorenheit kann auch noch ganz anders sein: ein Mensch, der Böses tut und sich darin immer tiefer verstrickt, weil eine Lüge, die nächste nach sich zieht und das Unrecht ihn immer weiter abstumpft.
Gottes Freude über den Gefundenen ist so riesengroß, weil der ihn Verlust so sehr schmerzt, weil die Gefahr für den Verlorenen so groß ist.
„Freut euch mit mir!“ ruft der glückliche Hirte seinen Kollegen zu.
„Freut euch mit mir!“ sagt Jesus zu denen, die seinen Umgang mit Zöllnern und Sündern missbilligen und über ihn „murren“, nörgeln, maulen. Darum erzählt Jesus ja sein Gleichnis, und nicht nur eines, sondern gleich drei Gleichnisse. Das berühmteste, das vom verlorenen Sohn, endet genau so: „Freu dich mit mir!“ bittet der gute Vater seinen Älteren, der nicht mitfeiern will, als der missratene Bruder zurückgefunden hat.
„Freut euch mit mir!“ – Jesus erzählt von der herzlichen Liebe Gottes.
Wie kein anderer versteht er es, Menschen in ihrer Verlorenheit aufzusuchen, sie zu trösten, aber sie auch auf einen besseren Weg zu führen.
Jesus ist ja der gute Hirte.

Zöllner und Pharisäer hören sein Gleichnis und beide bekommen einen heilsamen Schrecken: „Ich bin auch ein verlorenes Schaf.“
Der Zöllner denkt: „Ich würde nie für einen einzigen so viel einsetzen, wie dieser Hirte. Für mich sind Menschen entweder nützlich oder unnütz. Was schert mich der Verlust eines einzigen. Wie sehr muss Jesus die Menschen lieben und wie arm bin ich, dass ich das nicht kenne.“
Der Pharisäer überlegt: „Man lebt entweder gerecht oder ungerecht. Und Gott liebt die Gerechten. Wer verloren geht, ist selbst schuld. Aber dieser Hirte fragt gar nicht nach der Schuld. Er macht einfach alles für sein Schaf, weil er es lieb hat. Wenn Gott so ist, wie Jesus sagt, dann habe ich vielen Leuten Unrecht getan.“
So stelle ich mir das vor, liebe Gemeinde, dass Pharisäer und Zöllner einen heilsamen Schrecke bekommen und sich von Jesu Gleichnis anrühren lassen. Gleichgültig hat der Zöllner Menschen ausgenutzt. Gleichgültig hat der Pharisäer Menschen verurteilt. Dann erfahren sie durch Jesus, wie Gott den Menschen sucht, gerade den Verlorenen, und wie er alles dafür tut, ihn zu finden. Das ist so ganz anders als die herzlose, lieblose Gleichgültigkeit, die einen Menschen einfach verloren gibt.

Ich erschrecke über mich und über uns. Ich erschrecke über die Gleichgültigkeit, die viele Menschen empfinden und die sie selbst trifft.  Wie oft gehe ich und gehen wir gleichgültig über Menschen hinweg. Wir schreiben den ab, der uns nicht passt – „ach, von dem ist doch nichts zu erwarten“. Wir gehen dem aus dem Weg, der uns nichts bringt, der uns nicht vornehm genug ist oder nicht interessant genug. Wir geben andere verloren und fürchten selbst, verloren zu gehen. Wir kümmern uns nicht um die Not, die den anderen neben uns trifft.
Schrecklich ist das, wenn ein Lehrer seinen Schüler verloren gibt, wenn der Schüler spüren muss: Dem  Lehrer liegt gar nichts an mir.
Verstörend kann es wirken, wenn einem Menschen die Wertschätzung entzogen wird, wenn Mitarbeiter oder Mitschüler einen Kollegen abschreiben und ihn aus ihrem Kreis heraus drängen, ihn ausgrenzen und mobben.
Wer fremd ist, bekommt oft keine Chance.
Es gab Zeiten, in denen die Menschen diesseits und jenseits des Rheins einander gleichgültig waren, sich voller Vorurteile begegneten und dann wurde daraus Feindschaft und unendliches Leid.
Vielleicht können wir nicht anders, aber wir blenden die meisten Konflikte unserer Zeit einfach aus, ignorieren sie, verdrängen sie und geben sie damit verloren: die 65 Millionen Flüchtlinge, die zahllosen Opfer von Krieg, die Hungernden in Somalia und in vielen Regionen. Viele Menschen fern und nah rutschen einfach aus unserem Blickfeld.
Oftmals erschrecken wir aber auch darüber, wie gleichgültig und unberührt wir die Nachrichten von großem Leid registrieren und gleich wieder vergessen.
Jesus Ist das Gegenteil von gleichgültig. Er sieht die verlorenen Menschen. Er weiß um die gescheiterten, verzweifelten, verletzten Menschen. Jesus kennt auch die dunklen Stunden von uns, die Zeiten, in denen wir uns verloren fühlen, die Abgründe unserer Seele.
Jesus geht zu den verlorenen Menschen und freut sich über jeden, der sich finden lässt. Es gibt nicht einen, der nicht umkehren müsste. Es gibt nicht einen einzigen, der Gott nicht nötig hat. Und umgekehrt: Gott sehnt sich nach uns. Wir sind Gott lieb und kostbar. So kommt er in Jesus zu uns und sucht uns. Mehr als alles andere will Gott, dass wir ihn brauchen und uns von ihm finden lassen.
Denn Gott sucht den Menschen.

Der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen

Harte Worte, Predigt über Jeremia 23,16-29

Predigt am 18.6.17 von Andreas Hansen über Jer 23,16-29

Vor der Predigt singen wir EG 586, Es ist ein Wort ergangen

Es ist ein Wort ergangen. So haben wir gesungen. Gott spricht hinein in unsere Zeit.  „Es ist hereingebrochen im Wort die Ewigkeit.“ Gott erhebt Anspruch auf uns. Er ist der Herr. Ihm gehört die Erde. Haben Sie gelesen, wann das Lied entstanden ist: 1935 – da wollten in Deutschland ganz andere Leute Herren sein. Wer so deutlich von Gottes Wort sang, wollte sich nicht von den Reden der Führer verführen lassen. Ein gefährliches Lied. Ein Wort, das Widerspruch übt, wo kein Widerspruch geduldet wird.
Wir hören heute einen Text des Propheten Jeremia. Jeremia sagt in schlimmen Zeiten Gottes Wort. Er leidet darunter, dass er Unheil für sein Volk ankündigen muss. Jeremia macht sich mit seiner Botschaft mehr als unbeliebt. Aber er muss Gottes Wort sagen. Er wendet sich heftig gegen die falschen Propheten, die nur sagen, was die Leute hören wollen.

Jer 23,16-29

Wenn ich Jeremia höre, schrecke ich zurück, so wie die Leute damals. Sie wollen nicht hören, was er ihnen sagt. Sie verachten Jeremia, dann sperren sie ihn ein und verschleppen ihn schließlich in die Fremde. 
586 vor Christus: die Großmacht Babylon erobert und zerstört Jerusalem und den Tempel, die Oberschicht des Landes wird ins Exil nach Babylon gebracht. Bitter beklagt sich Jeremia bei Gott. Er leidet unter dem Wort, das er sagen muss.
Es gibt Zeiten, in denen Gottes Wort nicht tröstet und aufbaut, sondern brennt und ins Leid führt, weil es Wahrheit von Lüge trennt.
Ich frage mich, wie ich mich wohl 1933 bis 45 verhalten hätte. Ob ich, wenn es darauf ankommt, auf der richtigen Seite stehe? Ob ich den Mut dazu habe oder die Geistesgegenwart? Die Bekennende Kirche war damals nur eine kleine Minderheit.
Ein paar Jahre vor der Katastrophe von 586 steht Jeremia mitten in Jerusalem und trägt zum Zeichen ein hölzernes Joch auf seinem Nacken – wie ein Ochse unter das Joch gespannt wird, so werden die Babylonier Israel unterjochen.
Jeremias Gegenspieler Hananja nimmt ihm das Joch ab und zerbricht es. „Keine Angst, bald ist alles wieder gut.“ „Ich wünschte, du hättest recht“ meint Jeremia und dann wettert er los: „Hört nicht auf die Worte der Propheten, die euch weissagen! Sie täuschen euch, sie verkünden die Schauung ihres eigenen Herzens, nicht das, was aus dem Mund des HERRN kommt!“
Nur zu gerne hören wir auf die falschen Propheten, die uns freundliche Worte sagen und bestätigen, was wir gerne hören. „Wir erfinden neue Götter und vertrauen ihnen blind.“ (EG 617,4)
D.G. – die Abkürzung steht auf alten Münzen zwischen dem Namen des Herrschers und seinem Titel, z.B. Carl Friedrich D.G. Markgraf von Baden – D.G. heißt Deo Gratia, aus Gottes Gnade. Das bedeutet: „ich bin von Gott zum Herrscher eingesetzt, ich entscheide mit göttlicher Vollmacht.“
Die Gefahr ist groß, dass wir uns so  ein D.G. einbilden. Selbstherrlich meinen wir, wir dürfen D.G., aus Gottes Gnade tun, was wir wollen. Die Gefahr ist groß, dass wir einen Gott nach unseren Wünschen erfinden, einen lieben Gott, der uns immer nur bestätigt.
Aber wir haben Gott nicht in der Hand – das ist unsere Rettung.
Gott ist anders. Er lässt sich nicht in unsere Vorstellung vom lieben Gott einzwängen.
Manchmal erschrecken wir über Gott. „Bin ich denn ein Gott der Nähe und nicht auch ein Gott der Ferne? Kann sich einer in Verstek-ken verstecken, und ich würde ihn nicht sehen? Fülle ich nicht den Himmel und die Erde?“ Was bedeutet Nähe und Ferne? Johannes Calvin übersetzt: „Bin ich denn ein Gott aus der Nachbarschaft… und nicht ein Gott aus weiten Fernen?“ Gott ist nicht der nette Kumpel von nebenan. Gott ist der Schöpfer, der Grund allen Seins. Er erhebt Anspruch auf uns. Sein Wort begründet und zerstört. Sein Wort ist wie Feuer und wie ein Hammer, der Felsen zerschmettert. In seinem Wort bricht die Ewigkeit herein.
Liebe Gemeinde, wenn ich Jeremia höre, schrecke ich zurück. Wer kann denn bestehen vor dem ewigen Gott? Wer kann sein Wort ertragen? Jeremia selbst wollte nicht Prophet sein. Er hat darunter gelitten.
Aber Gott sei Dank hören wir: Wir haben Gott nicht in der Hand. Er hält uns – das ist unsere Rettung.
Gott sagt uns sein Wort. Es ist ein Wort ergangen. Gott sagt uns in Jesus, wie sehr er die Welt liebt. Sein Wesen ist Liebe.  (Lesung war 1.Joh 4,16-21)
Aber Jeremia spricht doch auch vom Zorn Gottes, der wie ein Sturm losbricht und die Frevler trifft.
Ist das nicht ein Widerspruch dazu, dass Gottes Wesen Liebe ist?
Wenn man jemanden liebt, ist man zornig gegen alles, was ihm schadet. Gott ist zornig über die Sünde, die Bosheit und das Elend der Menschen, weil er sie liebt. Gott ist zornig über den Terror in unserer Welt, über unsere Habgier, über die Gleichgültigkeit, mit der wir den Hunger von Millionen Menschen hinnehmen. Gott ist zornig, weil er uns liebt.
Jeremia kündigt die Katastrophe Israels an. Als dann Tempel und Staat zusammenbrechen, als alles verloren ist und kaum Aussicht auf einen Neuanfang besteht, gerade in dieser schrecklichen Zeit findet Israel zu Gott. Als ihnen alles aus der Hand geschlagen wird, entdeckt Gottes Volk das erste Gebot.
Keine Macht der Welt kann Leben schaffen und erhalten, nur Gott allein. Alles andere wird zum Götzen, sobald wir Heil und Leben davon erwarten. Alles liegt daran ihn zu hören, Gott.
In den Ereignissen jener Zeit ist Gottes Wort erschreckend. Es brennt und trennt wie ein Feuer, wie ein Hammer, der Felsen zerschmettert.
Aber das ist nicht sein letztes Wort. Jeremia darf auch Worte des Trostes sagen.  Er wird den ins Exil Verschleppten in einem Brief ein Ende der schlimmen Zeit ankündigen: „Ich weiß wohl, was ich für Gedanken über euch habe, spricht der Herr: Gedanken des Friedens und nicht des Leides, dass ich euch gebe Zukunft und Hoffnung.“
Gott sagt uns sein Wort. „Es ist ein Wort ergangen, das geht nun fort und fort, das stillt der Welt Verlangen, wie sonst kein ander Wort.“

Der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in seinem Wort Christus Jesus. Amen

Pfingsten, Predigt über Joh 16,5-15

Predigt am 4.6.17 von Andreas Hansen über Joh 16,5-15

Vor der Predigt singen wir EG 124 Nun bitten wir den Heiligen Geist

Der Heilige Geist ist der Tröster in aller Not. So haben wir gesungen. Keine Schande haben wir zu fürchten, nicht einmal den Tod.
Ein jüdisches Lied lautet: „Das ganze Leben ist wie eine sehr hohe Brücke, und die Hauptsache ist sich überhaupt nicht zu fürchten.“
Der Heilige Geist hilft uns über die Brücke. Wir sehen die Abgründe erschreckend deutlich, aber wir sind gewiss. Der Geist tröstet uns.
Liebe Gemeinde, wir sind es nicht gewöhnt vom Heiligen Geist zu reden. Geist, das klingt fremd, unberechenbar, ein wenig nach Zauberkunststück. Aber was der Geist wirkt, muss gar nicht übernatürlich oder spektakulär sein. In unserem Leben, in uns und durch uns wirkt Gott, der Heilige Geist. Er wirkt Liebe, Vertrauen, Mut, Geduld, Treue.  Wir wissen ja, dass wir lieblos, selbstsüchtig und schwach sein können. So bunt, so unfertig und widersprüchlich, wie wir sind, wirkt der Heilige Geist. Aber auch so, dass ein Mensch über sich hinauswächst und sich über die Brücke traut. Leben im Heiligen Geist heißt: Unsere Gaben, so klein sie auch sind, entfalten sich. Wir binden uns an Jesus Christus. Wir vertrauen uns ihm an, dem treuen Heiland, der uns zu Gott bringt.

Hören wir den heutigen Predigttext. Johannes schreibt von Gesprächen beim Abschied Jesu. Jesus sagt: „Jetzt gehe ich zu dem, der mich gesandt hat. Und keiner von euch fragt mich: ›Wohin gehst du?‹ Denn ihr seid erfüllt von tiefer Traurigkeit über das, was ich euch sage. Doch glaubt mir: Es ist gut für euch, dass ich weggehe. Denn wenn ich nicht von euch wegginge, käme der Tröster nicht zu euch; wenn ich aber gehe, werde ich ihn zu euch senden. Und wenn er kommt, wird er der Welt zeigen, dass sie im Unrecht ist; er wird den Menschen die Augen öffnen für die Sünde, für die Gerech-tigkeit und für das Gericht. Er wird ihnen zeigen, worin ihre Sünde besteht: darin, dass sie nicht an mich glauben. Er wird ihnen zeigen, worin sich Gottes Gerechtigkeit erweist: darin, dass ich zum Vater gehe, wenn ich euch verlasse und ihr mich nicht mehr seht. Und was das Gericht betrifft, wird er ihnen zeigen, dass der Herrscher dieser Welt verurteilt ist. Ich hätte euch noch viel zu sagen, aber ihr  wärt jetzt überfordert. Doch wenn der Tröster kommt, der Geist der Wahrheit, wird er euch zum vollen Verständnis der Wahrheit führen. Denn was er sagen wird, wird er nicht aus sich selbst heraus sagen; er wird das sagen, was er hört. Und er wird euch die zukünftigen Dinge verkünden. Er wird meine Herrlichkeit offenbaren; denn was er euch verkünden wird, empfängt er von mir. Alles, was der Vater hat, gehört auch mir. Aus diesem Grund sage ich: Was er euch verkünden wird, empfängt er von mir.“

Vor zehn Tagen, an Christi Himmelfahrt haben wir gefragt: Wo ist Gott? Erreichen wir Gott? Wir hörten von König Salomo. Er baut einen Tempel für Gott und betet bei der Einweihung des Tempels. Mitten in seinem Gebet unterbricht Salomo und fragt: „Aber sollte Gott wirklich auf der Erde wohnen? Sieh, der Himmel, der höchste Himmel kann dich nicht fassen, wie viel weniger dann dieses Haus, das ich gebaut habe!“ Salomo erschrickt. Gott ist so anders, so groß, dass wir niemals zu ihm passen. Salomo sieht, wie fragwürdig sein Tun ist. Kein Haus, kein Kunstwerk, kein menschlicher Gedanke erreicht die Größe Gottes. Alles, was wir beschreiben, verstehen oder tun, ist zu wenig für Gott. Wo ist Gott? Der Himmel ist ein Wort für das, was weit über unserem Verstehen reicht. Aber wir entdecken den Himmel in Ereignissen, Menschen, Worten, Zeichen und Räumen, in denen Gott bei uns sein will, ganz nah bei uns, ja in uns. Der Heilige Geist lässt uns den Himmel erkennen.

Wo ist Gott? An Pfingsten bekommen wir die Antwort: Gott ist bei uns im Heiligen Geist.
Jesus sagt seinen Jüngern, dass er weggehen wird. Die gemeinsame Zeit ist vorbei, und die Jünger ahnen, dass sie nicht mitgehen können und zurückbleiben. Traurig sind sie und vermutlich auch ratlos. Was will er uns sagen? Was hat das alles zu bedeuten? Warum soll es gut für uns sein, dass er weggeht? Und womit versucht er uns hier zu trösten? Große Worte fallen in traurige Menschenherzen: „der Tröster“, „Sünde“, „Gerechtigkeit“ und „Gericht“, „Der Geist der Wahrheit“.
Jesus verspricht: Ihr werdet die Kraft des Heiligen Geistes empfangen. Der Geist macht uns gewiss: Jesus lebt. Er ist eins mit Gott. Jesus sagt seinen Jüngern:  Ich lasse euch nicht allein. Ich schicke euch den Tröster. Wir bleiben verbunden mit Jesus.
Der Geist der Wahrheit wird kommen und wird uns in alle Wahrheit leiten. Er wird den leeren Raum füllen, den wir schmerzlich empfinden: wenn ein Mensch gegangen ist, den wir liebten, wenn ein Lebensabschnitt zu Ende geht, wenn wir Abschied nehmen.
Der Geist der Wahrheit: Wahrheit hat in der Bibel damit zu tun, dass ich mich auf etwas verlassen kann, dass ich vertrauen kann, dass ich mich binde – an Christus und sein Wort. Wahrheit ist nicht etwas Absolutes. Wahrheit ist nicht ein richtiger Satz, sondern vielmehr eine verlässliche Beziehung. Wahrheit ist Glaube und Treue, Freiheit und Bindung. Der Heilige Geist verbindet uns miteinander und mit Gott.
Aber der Geist zeigt uns auch die Abgründe in die wir stürzen können, die Sünde.
Sünde ist Trennung von Gott und unseren Mitmenschen, Widerspruch gegen Gott. Sünde verletzt und zerstört Leben, in Terror und Gewalt, wenn wir rücksichtlos über andere hinweg gehen und ihnen wehtun, wenn wir gleichgültig sind gegenüber dem Leid anderer.
„Die Zeiten, in denen wir uns auf andere völlig verlassen konnten, die sind ein Stück weit vorbei.“ Frau Merkels Satz hat viele beschäftigt. Es ist erschütternd, wenn der, dem ich lange vertraut habe, nicht mehr verlässlich ist. In der großen Politik ist Vertrauen so notwendig, wie in unseren persönlichen Beziehungen. Wir finden wieder zusammen oder wir entfernen uns immer weiter voneinander, bis jeder ganz eigene Wege geht.
Bitten wir Gott um den Heiligen Geist, den Tröster, den Geist der Wahrheit, damit wir die Risse und Abgründe erkennen, damit wir uns verabschieden von dem, was nicht mehr trägt, damit wir auch verbinden und Schritte zu Frieden und Gemeinschaft wagen.
„Das ganze Leben ist eine sehr hohe Brücke, und die Hauptsache ist sich überhaupt nicht zu fürchten.“
Bitten wir auch um den Geist, damit wir uns nicht lähmen lassen von dem, was ausweglos scheint, damit wir weiter sehen als der enge Blick der Furcht.
Der Heilige Geist richtet unseren Blick auf Jesus. Auf ihn schauen wir. Gott ist da in der Liebe Jesu Christi. Gott ist bei uns und nichts kann uns von seiner Liebe trennen.
Der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen