WAS SUCHST DU? – Predigt über Joh 1,35-42

Predigt am 16.7.17 von Andreas Hansen über Joh 1,35-42

Johannes1,35-42: Am nächsten Tag stand Johannes abermals da und zwei seiner Jünger; und als er Jesus vorübergehen sah, sprach er: Siehe, das ist Gottes Lamm! Und die zwei Jünger hörten ihn reden und folgten Jesus nach. Jesus aber wandte sich um und sah sie nachfolgen und sprach zu ihnen: Was sucht ihr? Sie aber sprachen zu ihm: Rabbi – das heißt übersetzt: Meister –, wo wirst du bleiben? Er sprach zu ihnen: Kommt und seht! Sie kamen und sahen’s und blieben diesen Tag bei ihm. Es war aber um die zehnte Stunde.
Einer von den zweien, die Johannes gehört hatten und Jesus nachgefolgt waren, war Andreas, der Bruder des Simon Petrus. Der findet zuerst seinen Bruder Simon und spricht zu ihm: Wir haben den Messias gefunden, das heißt übersetzt: der Gesalbte (Christus). Und er führte ihn zu Jesus. Als Jesus ihn sah, sprach er: Du bist Simon, der Sohn des Johannes; du sollst Kephas heißen, das heißt übersetzt: Fels (Petros).

Im Bahnhof auf dem Abstellgleis stehen Waggons. Einer ist großflächig mit einem Graffito bemalt. Riesige Buchstaben hat jemand darauf gesprayt.
Ey stark! – Lena zückt ihr Smartphone und macht ein Foto. Später auf der Fahrt schaut sie sich das wieder an, sieht jetzt auf einmal den Schriftzug und entziffert: WAS SUCHST DU?   Lena erschrickt. Als hätte das jemand für sie gesprayt, die Frage, die ihr keine Ruhe lässt: WAS SUCHST DU? Das halbe Jahr Work-and-travel in Australien war super, aber jetzt kommt es ihr unwirklich vor. Als sie sich nach fast drei Jahren miteinander von ihrem Freund getrennt hat, konnte sie nicht sagen, warum, nur dass etwas nicht stimmt. Im Hörsaal schaut sie sich selbst über die Schulter: Bin ich hier richtig? WAS SUCHST DU? Ja, was suche ich? Wie ein weißes Blatt liegt mein Leben vor mir.

Dicht gedrängt stehen die Leute in der S-Bahn.  Rita versucht, möglichst wenig einzuatmen. Zum Umfallen müde ist sie nach diesem Tag. Sie denkt daran, was sie zuhause noch erledigen muss. Wie viele Tage sind es noch bis zum Urlaub?
Sie schaut an den Leuten vorbei aus dem Fenster. WAS SUCHST DU? in großen bunten Buchstaben auf dem Gleis gegenüber. Ruhe, einfach nur zu mir kommen, raus aus der ewigen Hetze. Das wär gut. Das suche ich. Aber schon denkt sie wieder an den Ärger im Büro. Die S-Bahn fährt an. Der Schriftzug entschwindet. Rita seufzt.

„Was soll das Geschmier? Willst du mich ärgern?“ Ohne Kommentar hat Lena das Foto ihrem Vater geschickt. „Ich find´s cool.“ schreibt sie jetzt. „Kunst oder was?“ „Das auch, aber lies doch!“ „Ach so.“
Dann kommt nichts mehr von ihm. Abends schreibt sie noch einmal: „WAS SUCHST DU?“ Er antwortet „Wenn ich das wüsste. Ich weiß nur, dass ich irgendwas noch nicht gefunden habe.“ Lena freut sich über die ehrliche Antwort und schickt ihm ein Smiley „Dann geht es uns ja ähnlich.“

Jesus dreht sich um. Die zwei hat er vorhin bei Johannes gesehen. Wieder hat Johannes gesagt „Du bist Gottes Lamm“ – was meint er damit?
Die zwei sind ihm gefolgt. Jetzt bleiben sie stehen und sehen ihn an. „Was sucht ihr?“ Sie nennen ihn Meister, Lehrer – ist er das? Soll er das sein?
Eben noch war er bei Johannes, um zu lernen. Jesus denkt an seine Taufe, wie Johannes ihn angesehen hat. Soll er jetzt wie Johannes Schüler um sich sammeln?
„Meister, wo wirst du bleiben?“ Er sieht sie an und versteht. „Ja, dann kommt mit mir! Kommt und seht!“ Und schon am Abend sagt einer der beiden zu seinem Bruder: „Wir haben ihn gefunden, den Messias, den von Gott Gesandten.“

Beiläufig, wie zufällig am Wegrand entdeckt, so finden die ersten Jünger zu Jesus.
Jesu erste Worte im Johannesevangelium: „Was sucht ihr?“ und „Kommt und seht!“ und „Du bist Simon, Sohn des Johannes und du sollst Kephas, Petrus heißen.“
Beiläufig, einfach erzählt der Evangelist, was sehr tief berührt: Suchen und finden, hören und folgen, sehen und bleiben – eine Beziehung, Erkennen, Vertrauen.
Andreas, Simon und der anonyme dritte Jünger sind glückliche Finder. Sie finden, was sie schon immer gesucht haben und was nur Jesus für sie sein kann. Andreas bringt Simon zu Jesus, und Jesus kennt Simon schon. Simon erkennt, wie er erkannt ist. Jesus ist ein glücklicher Finder und kommt Simon zuvor.

WAS SUCHST DU?  fragen sich die Studentin Lena und ihr Vater und die urlaubsreife Rita.
Wir wissen zuweilen nicht einmal, was wir suchen, nur die Unruhe ist da.
„Mach dich auf den Weg! Komm und sieh! Lass dich finden und segnen!“ So begann Gottes Weg mit Abram. Gott fängt gerne neu an mit uns. Unser Suchen und Anfangen und Umkehren ist gesegnet.
Wir segnen den Anfang. Wir segnen in Gottes Namen den Schritt zweier Menschen in eine Ehe. Wir segnen, dass sie liebevoll und treu und verantwortlich füreinander da sein wollen, das Leben teilen wollen.
„Mach dich auf den Weg! Komm und sieh! Lass dich finden und segnen!“ Der Sohn, der sein Vermögen und seine Gaben verschwendet hat und umkehrt, wird gesegnet und vom Vater voll Freude empfangen. Der Mensch, der sein Scheitern erkennt und eingesteht und neu beginnt, wird gesegnet.
Gott fängt gerne neu mit uns an. Jesus hat längst den ersten Schritt getan.
In jedem Abendmahl sagt uns Jesus: „Es ist gut. Du bist mir lieb und wert. Komm mit mir!“

Suchen und finden, hören und weitersagen – so beginnt auch Gemeinde. Andreas sagt weiter, was er gefunden hat. Er bringt seinen Bruder zu Jesus.
Der Name des Dritten bleibt ungenannt, anonym. Die oder der ist nicht berühmt geworden. Mit vielen, deren Namen keiner mehr kennt, beginnt die Gemeinde.
Wir sind hier im Gottesdienst, weil jemand uns einmal hierher gebracht hat. Vielleicht unsere Eltern irgendwann einmal oder einfach jemand,   die oder der erzählt hat, uns eingeladen hat.
Wir sind hier im Gottesdienst, weil wir etwas gefunden haben, etwas, was uns gut tut, Worte, Musik, eine Gemeinschaft, eine Begegnung mit Gott – wir erleben das unterschiedlich.
Wir sind auch hier im Gottesdienst, weil wir suchen. Keine, keiner von uns hat einen fertigen Glauben.  Wir sind auf dem Weg, gemeinsam auf dem Weg.

Unser Kirchenbezirk will tun, was Andreas in unserem Text macht. Viele, denen der Gottesdienst wichtig ist, sollen es weitersagen und eine oder einen anderen einladen: „Gottesdienst tut mir gut. Ich würde dir das gerne zeigen. Komm mit! Schau es dir an!“ Für einen bestimmten Sonntag, den 1.Advent, soll die Einladung möglichst viele erreichen. Die Aktion heißt „Spürbar Sonntag“. Sie werden noch davon hören.

„Was sucht ihr?“ fragt Jesus die beiden, die ihm folgen. Ihre Antwort ist ebenfalls eine Frage: „Meister, wo wirst du bleiben?“ An einer anderen Stelle  sagt Jesus: die Füchse haben Gruben, und die Vögel haben Nester, aber der Menschensohn hat nichts, wo er sein Haupt hinlege. Und doch: wie kein anderer ist Jesus in Gott zu Hause. In seiner unbedingten Liebe. Im Hause seines Vaters. Dort sind viele Wohnungen. Und Jesus lädt sie ein: „Kommt und seht!“

WAS SUCHST DU?  Es freut Lena, dass ihr Vater so ehrlich antwortet. Sie fühlt sich ihm nahe wie lange nicht. „Es fällt mir so schwer mich zu entscheiden.“ „Ja, das kann ich verstehen. Ich bin froh, dass ich manche Entscheidungen nicht mehr treffen muss. Andrerseits: Ich habe nicht mehr so viele Möglichkeiten und manchmal denke ich, ob ich vielleicht das Wichtigste versäume.“
Lena ist still. Dann nickt sie ihm zu. „Ich werde dir sagen, wenn ich etwas gefunden habe.“

Der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen