Kranke sind anders , Predigt über Mk 1,40-45

Predigt am 17.9.17 von Andreas Hansen über Mk1,40-45

„Du musst zum Arzt gehen.“ „Ach was. Ist schon nichts.“ Aber sie weiß selbst, dass er Recht hat. Seit Monaten ist sie matt und empfindlich. Jeden Infekt, der rumgeht, nimmt sie mit. Abgenommen hat sie auch. Aber sie will es nicht wahrhaben.    Sie will nicht krank sein. „Ist schon nichts.“ Schließlich lässt sie sich überreden und geht doch. Was der Arzt herausfindet, ist ein Schock: Krebs. Später wird sie ihr Leben in die Zeit vor und nach diesem Tag einteilen. Seit sie es weiß, ist ihr Leben anders. Alles hat sich verschoben. Die Krankheit bestimmt ihren Alltag. Sie hat immer die nächste Behandlung vor Augen. Die Nebenwirkungen machen ihr zu schaffen. Was die Kollegin vom Büro erzählt, interessiert sie nicht. Umgekehrt mag sie nicht von sich reden – wer versteht schon, der nicht selbst betroffen ist?

Kranke sind anders. Zwischen den Gesunden und den Kranken ist manchmal fast eine Art Mauer aus Angst, Unverständnis, Enttäuschung, Schmerz, Verbitterung – das macht uns einander fremd.
Manche reden nur über ihre Krankheit. Andere verschließen sich, wollen niemandem etwas sagen, schämen sich sogar.
Seelische Krankheiten, Depressionen, Angstzustände verunsichern uns besonders.
Manche Krankheit wird lange verschwiegen.
Mancher Gesunde hat Angst vor den Kranken und scheut sich, jemand im Heim oder im Krankenhaus zu besuchen.
Kranke misstrauen zuweilen dem Mitleid der anderen. Das Unverständnis der Gesunden verletzt sie ebenso wie billiger Trost.
Auch uns selbst werden wir als Kranke fremd.  Wir verstehen nicht, warum es uns getroffen hat.  „Womit hab ich das verdient?“ Und die Angst: „Was wird aus mir?“ Angst vor Schmerzen, vor Schwäche, vor der Ungewissheit, vor dem Sterben.

Von der Mauer zwischen Kranken und Gesunden handelt unser Predigttext und vor allem von der Überwindung dieser Mauer.   Mk 1,40-45

Und es kommt ein Aussätziger zu Jesus, fällt auf die Knie, bittet ihn und sagt: Wenn du willst, kannst du mich rein machen. Und Jesus fühlt Mitleid, streckt seine Hand aus und berührt ihn, und er sagt zu ihm: Ich will es, sei rein! Und sogleich weicht der Aussatz von ihm, und er wird rein.
Und Jesus ermahnt ihn eindringlich und schickt ihn auf der Stelle weg und sagt zu ihm: Sieh zu, dass du niemandem etwas sagst, sondern geh, zeig dich dem Priester, und bring für deine Reinigung dar, was Mose angeordnet hat – das soll ihnen ein Beweis sein.
Der geht weg und fängt an, es überall kundzutun und die Sache bekannt zu machen, so dass Jesus sich kaum mehr in einer Stadt sehen lassen kann, sondern draußen an abgelegenen Orten bleibt.   Und sie kommen zu ihm von überall her.

„Aussätzig, unrein“ rufen sie und machen Lärm mit ihren Klappern. Entsetzt laufen die Leute davon. Die Aussätzigen leben außerhalb des Dorfes, fernab von ihren Familien und allen Gesunden. Sie sind unrein, ausgeschlossen von allen Kontakten, auch vom Gottesdienst. Wer sie berührt, wird ebenfalls unrein. Darum kommt niemand zu ihnen. Es ist als hätten sie alle schon vergessen, als wären sie schon tot – man stellt ihnen in sicherem Abstand etwas zu essen hin. Auf keinen Fall dürfen sie sich den Gesunden nähern.
Was ist schlimmer: die Krankheit oder die völlige Isolation, die Mauer, hinter der sie bleiben?

Aber wie sonst soll man sich vor der Gefahr schützen? Die Angst ist verständlich. Ganze Dörfer und Landstriche wurden im Mittelalter durch Seuchen entvölkert. Bis 1958 gab es zum Beispiel vor Kreta eine kleine Insel, auf der die Lepra-Kranken isoliert wurden. Vor zwei Jahren hatte die ganze Welt Angst vor einer Ebola-Epidemie. Viele Opfer der Krankheit blieben  hilflos und allein.

Nun geht der Aussätzige auf Jesus zu. Er findet sich nicht einfach mit seiner Krankheit ab. Er bringt Jesus in Gefahr. Ungeheuerlich! Er kniet vor ihm und sagt: „Wenn du willst, kannst du mich rein machen.“ Dieser Kranke ignoriert die Mauer und sagt etwas Großartiges zu Jesus: „Du kannst tun, was nur Gott kann. Du kannst mich rein machen, wenn du willst. Dein Wille soll geschehen.“
Großartig ist sein Vertrauen in Jesus, in Gott. Er gibt sich in seine Hand. Niemand sonst kann ihm helfen.
Jesus geht das Leid an die Nieren. Er hat Mitleid. Aber er beklagt nicht den Kranken, „ach du Armer“. Jesus streckt die Hand aus und berührt ihn: „Ich will es. Sei rein!“
Auch Jesus akzeptiert die Mauer nicht. Er setzt sich hinweg über das Tabu der Unberührbarkeit. Und er spricht und handelt wie der Herr über das Leben, der Schöpfer, der uns Leben und Gesundheit schenkt. „Sei rein! Und er wird rein.“

Jesus will noch nicht, dass alle ihn erkennen. Er will auch nicht als Wunderdoktor gelten. Darum sagt er „Rede nicht davon!“ und schickt er den Geheilten auf den ganz normalen Weg zum Priester, dass der die Reinheit bestätigt. Aber was Jesus tut, lässt sich nicht verheimlichen.

„Ist das so einfach?“ So fragen wir uns und denken an unsere Kranken, deren Leid uns zu Herzen geht und an uns selbst, wenn wir krank sind. Muss einer nur recht fest vertrauen und zu Jesus sagen: „Mach du mal!“ und dann wird alles gut? So ist es ja nicht! Jesus heilt längst nicht alle Kranken.
Wenn wir selbst oder einer unserer Lieben von Krankheit betroffen sind, wünschen wir uns Heilung und beten darum. Aber soundso oft bleibt unser Wünschen und Beten unerfüllt.
Trotzdem beten wir um Heilung, und das ist gut so.

Gott schenkt uns das Leben. Wir leben nicht aus eigener Kraft. Seine Gabe ist auch die Gesundheit. Wir sind nicht gesund, weil wir uns so schön fit halten und nur das Beste essen. Wir sind nicht gesund durch Ärzte und Medikamente. Natürlich sollen wir unser Möglichstes tun, um gesund zu bleiben oder zu werden. Aber im Grund ist jede Heilung und jedes Gesundsein Gottes Geschenk. Denn er hat uns ins Leben gerufen und er ist in jedem Atemzug unser Schöpfer, der uns will. In der Kunst der Ärzte und in allem, was wir für unsere Gesundheit tun, ist es immer Gott, der uns dazu die Kraft gibt. Der Aussätzige bekennt sich zu Gott, seinem Schöpfer. Er erkennt ihn in Jesus: „Wenn du willst, kannst du mich rein machen.“
Gott hört unsere Gebete, auch unsere Klage in Schmerz und Angst. Er ist ganz auf unserer Seite. Und doch ist unser Leben begrenzt. Irgendwann kommt jede und jeder von uns an die Grenze.
Wir sind immer nur relativ gesund, nicht für immer vor Krankheit gefeit.
Und auch im Sterben vertrauen wir uns dem an, der das Leben geschenkt hat und der in Jesus unseren Tod durchleidet und überwindet.

Wir wollen uns Krankheit und Kranke vom Hals halten. Wir grenzen Kranke aus – das geschieht noch immer, obwohl wir in manchen Bereichen viel sensibler geworden sind. Kranke sind immer noch anders. Zwischen ihnen und den Gesunden ist noch immer viel Fremdheit, Unverständnis, manchmal eine Mauer.
Jesus aber akzeptiert die Mauer nicht. Er braucht keinen Sicherheitsabstand. Er berührt den Unberührbaren.
So ist Gott uns zugewandt und nah.
So dürfen wir unsere Ängste und Vorbehalte vor den Kranken überwinden.

Der Friede Gottes, der höher ist als alle unsere Vernunft, er bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen