Verrückt? Predigt zu Hebr 13,8+9a am 31.12.19

Predigt am 31.12.19 von Andreas Hansen über Hebr 13,8+9a

Unser Predigttext für den letzten Abend des Jahres sind eineinhalb Verse aus dem Schlusskapitel des Briefes an die Hebräer:
Jesus Christus, gestern und heute und derselbe auch in Ewigkeit.
Lasst euch nicht durch mancherlei und fremde Lehre umtreiben, denn es ist ein köstlich Ding, dass das Herz fest werde, welches geschieht durch Gnade.

Wie verrückt ist die Welt gerade? Jede Woche stellt die ZEIT diese Frage an einen bekannten Menschen. Schätzen Sie auf einer Skala von eins bis zehn ein: Wie verrückt ist die Welt gerade? Was meinen Sie? Wie würden Sie den Verrückt-heitsgrad der Welt aktuell einschätzen? Bitte zeigen Sie per Handzeichen, wie Sie die Frage beantworten! Würden Sie sagen, der Verrückt-heitsgrad der Welt liegt auf einer Skala zwischen eins und zehn aktuell unter fünf? Liegt er bei sechs? Bei sieben? Acht? Neun? Oder, absolut verrückt, bei zehn? 
In der letzten ZEIT wurde Klaus-Dieter Kottnik gefragt. Er ist ursprünglich Pfarrer und schon lange für diakonische Einrichtungen tätig. Er meint „Ich glaube, die Welt ist zwischen 7 und 8. Ich kann mich in meinem Leben nicht an so komplizierte Zeiten erinnern wie jetzt gerade.“ Unsere Welt ist kompliziert, vielleicht wirklich verrückt, durchgeknallt. Ich will Ihnen keine Beispiele dafür aufzählen.  Das wäre langweilig und Sie können es in der Zeitung und allen anderen Medien bis zum Überdruss sehen.
Aber wie gehen wir damit um?
Wie gehen wir in ein neues Jahr, wenn so vieles im Umbruch ist, so viele Fragen offen, so viele Konflikte ungelöst, so viele Menschen in Not, wenn so vieles bedrohlich und unklar ist? Wie gehen wir als Christen in das neue Jahr? Wie nehmen wir Veränderungen und Herausforderungen für uns persönlich an, auch die jenseits der politischen Fragen?

Jesus Christus, gestern und heute  und derselbe auch in Ewigkeit.  Die Christen des Hebräerbriefes sind verunsichert. Sie stehen im römischen Weltreich gegen Ende des 1.Jahrhunderts am Rand der Gesellschaft.   Sie werden angegriffen und verfolgt. Viele wenden sich von der Gemeinde ab. Anderes ist für sie wichtiger und attraktiver als der Glaube an Jesus Christus. Sie leben also nicht in der Zeit einer mächtigen Staatskirche, zu der selbstverständlich alle gehören. Sie erleben eher eine Situation, die unserer Kirche heute ähnlich ist. Die sogenannte Freiburger Studie, eine Prognose der Kirchenent-wicklung bis 2060 kommt zum Schluss: die Mit-gliederzahlen beider großer Kirchen werden bis 2060 um etwa die Hälfte zurückgehen, von heute insgesamt 44,8 auf 22,7 Millionen Christen. Den Hebräern und uns sagt der Brief: Es wird geschehen, was Gott uns durch Jesus Christus zusagt. Es gilt: gestern und heute und immer. Es gilt: Gott liebt die Welt, seine Schöpfung. Er überlässt sie nicht sich selbst. Jesus ist bei uns alle Tage, was auch geschieht. Es gilt auch: Gott liebt seine Kirche.
Etwas missverständlich ist die Übersetzung „derselbe auch in Ewigkeit“, so als wäre Jesus erstarrt, unbeweglich in Panzerglas gegossen,  ein Stück für das Museum. Gemeint ist: „Jesus Christus ist treu, gestern, heute und für immer.“ Jesus bleibt sich treu und er bleibt uns treu in allem, was sich in diesem Jahr geändert hat und im nächsten ändern wird.
Jesus Christus, gestern und heute und derselbe auch in Ewigkeit. Der Grund für unser Leben bleibt, das Fundament, auf dem alles ruht.   Nichts, keine Macht der Welt, nicht einmal der Tod kann uns trennen von der Liebe Gottes.
Von daher verbietet sich jeder Katastrophismus!
Wir leiden vielleicht an der Verrücktheit unserer Welt, wir fürchten die Bedrohung durch den Klimawandel, aber das ist nur ein Grund, alles uns Mögliche zu tun, damit die Katastrophe ausbleibt und allen schon jetzt Betroffenen geholfen wird.
Christen lieben nicht den Untergang, sondern die Hoffnung. Dietrich Bonhoeffer schreibt: „Mag sein, dass der Jüngste Tag morgen anbricht, dann wollen wir gern die Arbeit für eine bessere Zukunft aus der Hand legen, vorher aber nicht.“

Lasst euch nicht durch mancherlei und fremde Lehre umtreiben, denn es ist ein köstlich Ding, dass das Herz fest werde, welches geschieht durch Gnade. An der Schwelle zum neuen Jahr wünsche ich Ihnen und mir selbst ein festes Herz: Stärke und Mut, Gelassenheit und Zuversicht und Vertrauen, Liebe und Glaube und Hoffnung. Dass wir so leben können: dass wir im Herzen gefestigt die Aufgaben unseres Lebens angehen, mutig und gelassen in den Problemen, die ja nicht ausbleiben, liebevoll und klar in unseren Beziehungen zu den Menschen, die uns am Herzen liegen,  und auch zu denen, mit denen wir es schwer haben oder die gegen uns sind. Ein festes Herz wünschen wir denen, die mit ihrem Leben nicht gut fertig werden. Jede und jeder kennt bei sich die unfertigen Baustellen, Schmerzpunkte, Konflikte, unerledigte Schuld, nicht bewältigtes Leid. Vielleicht kommen wir an manchen Punkten einfach nicht weiter. Dennoch, trotz allem Unvermögen, mag das Herz fest werden: durch Gnade, weil Gottes Güte so viel größer ist als unser Herz.
Dass ihr Herz durch Gottes Gnade fest werde, erbitten wir für unsere Kinder und Jugendlichen, für Menschen in schweren Zeiten, in Krisen und Entscheidungen, für die Liebenden und die Enttäuschten, für unsere Kranken und für die Sterbenden.
Da steht ein Passiv: Das Herz wird gefestigt. Wir empfangen eine confirmatio, ein Gefestigt-Werden. Wir sind auf dem Weg des Glaubens. Dass das Herz gefestigt wird, dass wir innerlich gestärkt werden und bestehen können, das ist „köstlich“, kostbar, schön, aber nicht selbstver-ständlich. Wir können darüber nicht verfügen. Es hängt nicht von unserem Wollen oder Wirken ab. Und doch verlassen wir uns darauf. Denn es wird geschehen, was Gott uns zusagt. Jesus Christus, gestern und heute und derselbe auch in Ewigkeit. Gott bleibt uns zugewandt. Christus wird auch in Ewigkeit, am Ziel aller Wege da sein. So können wir getrost in das neue Jahr gehen. Amen