Josefs Überraschung, Predigt zum Christfest über Mt 1,18-25

Predigt am 25.12.19 von Andreas Hansen über Mt 1,18-25

Gott kommt in unsere Welt. Gott wird Mensch. Viele sagen: „Ich verstehe das nicht. Für mich sind das leere Worte.“ Nicht erst heute empfinden Menschen das Wunder von Weihnachten als Zumutung. Auch die ersten Betroffenen waren überfordert. Matthäus berichtet aus der Sicht von Josef. Wir hören die Verse, die auf den Stammbaum folgen (Mt 1,18-25):
Die Geburt Jesu Christi geschah aber so: Als Maria,  seine Mutter, dem Josef vertraut war, fand es sich,  ehe sie zusammenkamen, dass sie schwanger war von dem Heiligen Geist. Josef aber, ihr Mann, der fromm und gerecht war und sie nicht in Schande bringen wollte, gedachte, sie heimlich zu verlassen. Als er noch so dachte, siehe, da erschien ihm ein Engel des Herrn im Traum und sprach: Josef, du Sohn Davids, fürchte dich nicht, Maria, deine Frau, zu dir zu nehmen; denn was sie empfangen hat, das ist von dem Heiligen Geist. Und sie wird einen Sohn gebären, dem sollst du den Namen Jesus geben, denn er wird sein Volk retten von ihren Sünden. Das ist aber alles geschehen, auf dass erfüllt würde, was der Herr durch den Propheten gesagt hat, der da spricht (Jesaja 7,14): »Siehe, eine Jungfrau wird schwanger sein und einen Sohn gebären, und sie werden ihm den Namen Immanuel geben«, das heißt übersetzt: Gott mit uns.
Als nun Josef vom Schlaf erwachte, tat er, wie ihm der Engel des Herrn befohlen hatte, und nahm seine Frau zu sich. Und er erkannte sie nicht, bis sie einen Sohn gebar; und er gab ihm den Namen Jesus.

Rechtlich gesehen sind die beiden schon ein Paar. Maria gehört schon in den Stammbaum, obwohl wir heute sagen, es ist Josefs Linie.
Maria erschrickt, als sie hört, sie ist schwanger. Sie denkt: „Wie soll das denn gehen? Josef und ich haben doch nicht miteinander geschlafen. Ein Kind? Unvorstellbar!“
Josef erschrickt ebenfalls und er denkt das Naheliegende: „Maria hat was mit einem anderen.“ Er beschließt: „Ich geh fort. Ich verlasse sie. Ein Kind von einem anderen? Unvorstellbar!“ Dabei wäre Maria noch gut weggekommen. Jeder hätte ihn für den Übeltäter gehalten.
Was da geschieht, sprengt jede Vorstellung: Ein Kind ohne Vater? Ein Kind vom Heiligen Geist? Eine schwangere Jungfrau? Wir verstehen nicht. Wie kann das sein? Gott schickt seinen Engel – das Geschehen rührt an Gottes Geheimnis. Das ist für uns zu hoch.
Wir sagen „Wunder“ dazu, und viele meinen: „Wenn ihr Gläubigen nicht weiter wisst, fangt ihr an von Wundern zu reden. Das Gleiche an Ostern: Wer glaubt schon, dass einer lebt, der gestorben ist? Damit kann ich nichts anfangen.“
Was sollen wir machen? Streichen wir aus dem Glaubensbekenntnis, was zu wunderbar und unverständlich ist?
Was macht Josef? Er nimmt ernst, was er geträumt hat. Er hält zu Maria und wartet mit ihr auf das Kind. Josef versteht so wenig wie wir – er kann es nicht vernünftig erklären. Und er kann nicht abschätzen, was jetzt auf ihn zukommt. Er lässt sich darauf ein. Und doch bleibt das eine Frage für Josef: „Stimmt es wirklich? Habe ich Gottes Engel gehört, oder war es bloß ein Traumbild? Stimmt es, was Maria mir erzählt? Was bedeutet das alles?“

Es geht nicht anders: Wir kommen wie Josef an eine Grenze. Da verstehen wir nicht und können uns nur darauf einlassen – oder es ablehnen.
Weihnachten bleibt ein Geheimnis. Ein Kind wird geboren und in diesem Kind kommt Gott in die Welt. Gott wird Mensch. Jesus ist ein Mensch wie wir und doch Gottes Sohn.
Josef lässt sich darauf ein. Er verzichtet auf alles Selbertun. Er wird manchmal belächelt, dieser Josef, der ohne eigenes Zutun zu einem Sohn kommt. In den Krippen steht er oft als alter Mann da. Nachdenklich schaut er Maria und das Kind an. Aber viel schöner ist seine Rolle, wenn wir weiter im Evangelium lesen. Er wird Maria und das Kind behüten und zu ihrem Schutz ins Ausland bringen. Josef kümmert sich um die, die ihm so wunderbar anvertraut wurden. Gott hat sich ihm anvertraut und Josef nimmt ihn als den Seinen an.
Das ist Glauben: Annehmen, dass Gott in unser Leben kommt, Sich-Einlassen auf das Wunder.
Josef und Maria sind die ersten, die glauben, was wir bekennen: Jesus ist „empfangen durch den Heiligen Geist, geboren von der Jungfrau Maria“.

Gott kommt in unsere Welt. Gott offenbart sich. Gott ist bei uns in dem Menschen Jesus. „empfangen durch den Heiligen Geist, geboren von der Jungfrau Maria“ – das heißt: Wir sind ganz und gar Empfangende.
Die Jungfrauengeburt kann missverstanden werden. Sie wurde gründlich missverstanden. Sie bedeutet nicht, dass Jesus eine Art Übermensch oder Halbgott wäre. Jesus ist ein Mensch wie wir. Jungfrauengeburt heißt nicht, dass Sexualität schlecht ist und dass Jungfräulichkeit an sich irgendwie „heilig“ ist. Dieses Missverständnis hat verheerend gewirkt. Es ist ganz und gar falsch und entspricht auch nicht dem, was in der Bibel steht.
Ob wir nun die Jungfrauengeburt wörtlich nehmen, ob wir sie als eine Legende verstehen oder als metaphorische Ausdruck: Gott, und nur Gott handelt, Gott allein entscheidet, in Jesus zu uns zu kommen. Gott ist in diesem Menschen Jesus der „Immanuel“ – Gott ist mit uns, Gott ist bei uns. Jesus ist der ganz und gar menschliche Sohn seiner Mutter Maria. Aber dass in Jesus Gott zur Welt kommt, geschieht ausschließlich durch Gott. Ohne dieses Geheimnis ist christlicher Glaube nicht vorstellbar.

Ich möchte mich neben Josef stellen und von ihm lernen. Ich möchte Gott in meinem Leben annehmen.
Wir schauen Jesus an, ein Kind wie jedes andere. Wir denken an das, was uns über das Kind gesagt ist: „Immanuel“ – Gott ist bei uns.
Ich weiß nicht, was sein wird, aber ich vertraue, Gott ist bei mir und bei uns. In meinem Leben, in meiner Liebe, in meiner Freude, in meinem Frust, in meinem Scheitern. Wie lange werde ich gesund sein? Gott ist bei mir. Werde ich schaffen, was ich mir vornehme? Gott ist bei mir. Gott ist bei uns.
Gott ist Antwort und Ziel. Gott ist Liebe und Geborgenheit. Gott ist auch Aufgabe und Forderung: ihm zu antworten, für ihn da zu sein, für den Mitmenschen, für die Schöpfung da zu sein.
Ich möchte mich neben Josef stellen und Jesus ansehen und glauben. Amen