unheimlich, Predigt über 4.Mose 21,4-9

Predigt am 18.3.18 von Andreas Hansen über 4.Mose 21,4-9

Eine unheimliche Geschichte ist der Predigttext für heute, eine Geschichte von Wüste und Not und von tödlichen Schlangen. Aber vielleicht passt sie in unsere unheimliche Zeit. Hören wir 4.Mose 21,4-9:

Da brachen sie auf von dem Berge Hor in Richtung auf das Schilfmeer, um das Land der Edomiter zu umgehen. Und das Volk wurde verdrossen auf dem Wege und redete wider Gott und wider Mose: Warum hast du uns aus Ägypten geführt, dass wir sterben in der Wüste? Denn es ist kein Brot noch Wasser hier und uns ekelt vor dieser mageren Speise.
Da sandte der HERR feurige Schlangen unter das Volk; die bissen das Volk, dass viele aus Israel starben.
Da kamen sie zu Mose und sprachen: Wir haben gesündigt, dass wir wider den HERRN und wider dich geredet haben. Bitte den HERRN, dass er die Schlangen von uns nehme.
Und Mose bat für das Volk.
Da sprach der HERR zu Mose: Mache dir eine eherne Schlange und richte sie an einer Stange hoch auf. Wer gebissen ist und sieht sie an, der soll leben.
Da machte Mose eine eherne Schlange und richtete sie hoch auf. Und wenn jemanden eine Schlange biss, so sah er die eherne Schlange an und blieb leben.

Die Wüste ist wunderschön. Touristen bestaunen die prächtige Landschaft, Steinformationen in den schönsten Farben, von Wind und Sand bizarr geformt, oder Sanddünen, endlose Weite, das Licht bei Tag und bei Nacht der Sternenhimmel.
Aber die Wüste ist auch unerbittlich und hart. Ungehört verhallt der Ruf, mühsam wird jeder Schritt, Durst und Hunger plagen. Verzweiflung und Wahnsinn sind nah. Ich bin auf mich selbst geworfen, zutiefst einsam, selbst in einer Gruppe. Wie leicht verliere ich die Orientierung. Ohnmächtig und winzig klein bin ich in der Wüste.
Nach endlos langem Weg, eigentlich kurz vor dem Ziel, müssen die Israeliten noch einmal zurück auf einen großen Umweg durch die Wüste. Für sie ist die Wüste einfach nur lebensbedrohlich, ausweglos, frustrierend, überfordernd bis zur seelischen und körperlichen Erschöpfung. Und sie denken: „Wir sind verloren. Alle Mühe war vergeblich. Es hat keinen Sinn.“  Sie sind verdrossen, das heißt wörtlich: Die Seele wird kurz. Ihnen geht die Puste aus. Sie sind am Ende ihrer Kraft.
Ich kann verstehen, dass die Israeliten murren und sich enttäuscht gegen Gott und Mose wenden.

Unheimlich ist diese Geschichte. Unheimlich nah kommt mir das, obwohl ich nur  als Tourist am Rand der Wüste war und solche Strapazen nie erlebt habe. Dennoch finde ich mich und die Erfahrung vieler Menschen wieder. Die alte rätselhafte Geschichte beschreibt unsere Welt.
Wir erleben Wüsten, frustrierende, beängstigende Wüstenerfahrungen. Wir kennen Situationen, in denen wir getrieben und allein sind. Wir erleben Böses, das uns bedroht und dessen wir uns kaum erwehren können.
Nun wird das verzweifelte Volk am Ende seiner Kraft auch noch von Schlangen angegriffen, schlimmer noch: Gott schickt die Schlangenplage. Das kann doch nicht wahr sein! Auch dies kennen wir: Dass Menschen Gott und die Welt nicht verstehen können und enttäuscht sind, dass manche unsäglich viel Böses und Leid ertragen müssen und immer noch mehr aufgeladen bekommen.
Die Wüste ist unterschiedlich: Für manche Kinder ist es der Schulalltag, die Angst nicht gut genug zu sein, nicht zu schaffen, was anderen ganz leicht fällt,  ausgelacht zu werden. Vielleicht kommen dazu auch noch Schlangen: der Spott und das Mobbing von Mitschülern.
Für manche, überwiegend Frauen, deren Rente nicht einmal für die Wohnung und das Mindeste ausreicht ist die Wüste der Gang zum Sozialamt. Wie demütigend nach einem Leben voll Arbeit das Gefühl sozusagen nichts wert zu sein, immer jeden Cent umdrehen zu müssen, von manchem Politiker gar Verachtung zu hören.
Die Wüste für viele, der aus Syrien Geflohenen: Sie haben unter Gefahr ihr Land verlassen, haben Beruf, Besitz und alles aufgegeben und müssen von Null anfangen. Aber nun geht ihnen der Krieg nach, denn ihre Freunde und Verwandten werden gerade in Ost-Ghuta belagert und ausgebombt. Sie sind vor Angst fast gelähmt. Noch dazu plagt sie die Schlange des Hasses, Menschen, die ihnen feindselig und bösartig begegnen.
Wir erleben eine Verwüstung der politischen Kultur, die Macht in Händen skrupelloser Führer in Russland, in den USA, in vielen anderen Ländern. Wir erleben auch in unserem Land gewählte Politiker, die Demokratie und Menschenrechte verachten und doch für sich benutzen, die Hass auf alles Fremde schüren und eine bösartige Stimmung anheizen.

„Da sandte der HERR feurige Schlangen unter das Volk.“ Gott hat die Schlangen nicht geschickt – das glaube ich nicht – er lässt das Böse aber geschehen. Die Schlangen waren schon da, aber jetzt beißen sie. Gott grenzt unser Tun nicht auf freundliche Regungen ein. Er schützt uns nicht vor uns selbst. Er hält uns einen Spiegel vor. Wohin führt es, wenn wir ohne Gott unseren eigenen Impulsen folgen? Ohne Gott werden wir an unserer eigenen Bosheit eingehen.
Aber Israel ist nicht verloren. Wir sind nicht verloren. Gott wartet ja auf uns. Er freut sich, wenn wir umkehren zu ihm. Gott lässt sich finden.
„Da kamen sie zu Mose und sprachen: Wir haben gesündigt. Bitte den Herrn, dass er die Schlangen von uns nehme. Und Mose bat für das Volk.“
Eben noch haben sie Mose heftig angegriffen. Aber sofort ist Mose bereit für das Volk zu bitten. Und Gott lässt sich nicht lange bitten. Er zeigt einen Weg zur Rettung, einen seltsamen Weg, einen heilsamen Umweg.
Er nimmt die Schlangen nicht einfach weg. Das Böse lässt sich nicht einfach wegwischen. Sie beißen sogar noch. Aber ihre Bisse müssen nicht tödlich sein. Wer das bronzene Schlangenbild des Mose anblickt, ist gerettet. Wer aufsieht zu dem Zeichen Gottes, stirbt nicht an den Schlangen.
Das Böse ist eine Realität in dieser Welt.
Es genügt nicht, dass wir bestimmte politische Bewegungen verteufeln und bei jeder ihrer Provokationen aufschreien.
Lassen wir uns nicht vom Bösen lähmen oder gar anstecken! Begegnen wir ihm beharrlich mit Menschlichkeit, Vernunft, Freiheit! Das Böse mit Gutem überwinden – das ist der Weg.
Das Volk soll die bronzene Schlange ansehen. Wer darauf schaut, den kann das Böse plagen, aber nicht vernichten. Wir brauchen die Mahnung vor dem Bösen, was wir anrichten können, was Menschen schon angerichtet haben.
Die bronzene Schlange auf dem Stab erinnert daran, dass wir uns von Gott und unserem Mitmenschen abwenden. Aber die bronzene Schlange ist zugleich ein wirksames Zeichen, eine Zusage der Güte und Vergebung Gottes. Das Volk soll leben. Wir sollen leben. So will es Gott.
Er nimmt das Böse nicht einfach aus der Welt. Aber er heilt uns vor seinen Folgen. Wir sehen auf Gottes Zeichen.
Gott selbst nimmt den größten denkbaren Umweg in Kauf, für uns, damit er uns bewahrt und heilt. Jesus geht den Weg des Leides bis zum Tod am Kreuz. Er lässt sich Unrecht und Gewalt antun. Ein Weg durch Leid und Tod, damit wir leben. Der Weg ans Kreuz – wir sehen auf zu ihm, wie das Volk Israel auf das Zeichen des Mose. Wir schauen auf zu ihm und wissen: Das Böse kann uns nicht vernichten. Wir bleiben in Gottes Liebe.
Im Johannesevangelium heißt es: „Wie Mose die Schlange in der Wüste erhöht hat, so muss der Menschensohn erhöht werden, damit jeder, der an ihn glaubt, das ewige Leben hat.“

Der Friede Gottes, der höher ist als alle unsere Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen