Er weckt mich alle Morgen, Predigt zu Jes 50,4-9

Predigt am 25.3.18 von Andreas Hansen über Jesaja 50,4-9

Vor der Predigt singen wir das Lied Kreuz auf, das ich schaue, von Eckart Bücken und Lothar Graap, während und nach der Predigt wird aus EG 452 Er weckt mich alle Morgen, von Jochen Klepper und Rudolph Zöbeley gesungen

Wir schauen auf das Kreuz und auf unseren Herrn am Kreuz. Wir möchten uns abwenden vom Leid, wir ertragen es nicht.
Die Badische Zeitung zeigte am Mittwoch einen Jungen in einem Auto auf der Flucht aus Afrin im Norden Syriens. 100000 Menschen sollen dort auf der Flucht sein – viele von ihnen waren vorher ins vermeintlich ruhige Afrin geflüchtet. Was mag in dem Jungen vorgehen? Was hat er schon alles mitansehen müssen? Was soll aus ihm werden?
Wir möchten uns abwenden. Gott wendet sich nicht ab von Leid und Schuld der Welt. Jesus geht den Weg ans Kreuz. Er ist bei den Opfern von Unrecht und Gewalt.
Im Alten Testament im Propheten Jesaja stehen vier Lieder eines Leidenden. Gottes Knecht wird er genannt. Die Texte sind besonders und rätselhaft. Vielleicht ist das leidende Volk Israel gemeint. Gott hält zu seinem Knecht, dem Unrecht angetan wird. Gott ist ihm besonders nah – in Zeiten von Verfolgung hat sich das Gottesvolk an dieser Zusage festgehalten.
Von Anfang an haben Christen Jesus mit dem Gottesknecht identifiziert. Die Lieder im Buch Jesaja halfen ihnen, Jesu Weg zu verstehen. In ihnen spiegelt sich auch unser Glaube.
Wir hören das dritte Gottesknechtslied, Jes 50,4-9, unseren Predigttext für heute.

Gott der Herr hat mir eine Zunge gegeben, wie sie Jünger haben, dass ich wisse, mit den Müden zu rechter Zeit zu reden. Er weckt mich alle Morgen;  er weckt mir das Ohr, dass ich höre, wie Jünger hören. Gott der Herr hat mir das Ohr geöffnet. Und ich bin nicht ungehorsam und weiche nicht zurück.
Ich bot meinen Rücken dar denen, die mich schlugen, und meine Wangen denen, die mich rauften. Mein Angesicht verbarg ich nicht vor Schmach und Speichel. Aber Gott der Herr hilft mir, darum werde ich nicht zuschanden. Darum hab ich mein Angesicht hart gemacht wie einen Kieselstein; denn ich weiß, dass ich nicht zuschanden werde.
Er ist nahe, der mich gerecht spricht; wer will mit mir rechten? Lasst uns zusammen vortreten! Wer will mein Recht anfechten? Der komme her zu mir! Siehe, Gott der Herr hilft mir; wer will mich verdammen? Siehe, sie alle werden wie ein Kleid zerfallen, Motten werden sie fressen.

Orgel zu 452

Jesus weiß mit den Müden zur rechten Zeit zu reden. Er sieht, wie einsam der verachtete Zöllner ist und geht auf ihn zu: „Komm, ich muss heute dein Gast sein.“ Und dann: “Gott freut sich über dich.“
Er erkennt, wie müde und frustriert die Frau am Jakobsbrunnen ist, und hilft ihr sich selbst zu erkennen. Aufgeregt rennt sie ins Dorf und holt die Leute: „Dieser Mann hat mir alles gesagt, was ich getan habe. Ist er wohl der Christus?“
Die Verlorenen will Jesus suchen und retten und noch am Kreuz tröstet er den zum Tod Verurteilten neben ihm: „Du wirst bei Gott sein.“
Jesus sieht Menschen. Er sieht sie wirklich.
Er weiß mit ihnen zu reden.
Er sagt den Müden Gottes Nähe zu.
Manche Menschen müssen unerträglich viel verkraften. Manche verzweifeln an ihrem Leben und fühlen sich von Gott verlassen. Der Knecht Gottes erfährt: Gott ist mir täglich nahe. Gott gibt meinem Leben Sinn – er spricht mich gerecht – selbst wenn ich noch so verzweifelt bin.
Jochen Klepper hat viele gute Lieder in unserem Gesangbuch geschrieben. Er bekam als Dichter unter der Nazidiktatur Berufsverbot. Der Versuch mit seiner jüdischen Frau auszureisen scheiterte. Ihre Deportation in ein KZ stand bevor. 1942 nahmen Klepper, seine Frau und die Tochter sich gemeinsam das Leben. Die letzte Eintragung im Tagebuch lautet:
„Nachmittags die Verhandlung auf dem Sicherheitsdienst. Wir sterben nun – ach, auch das steht bei Gott – Wir gehen heute nacht gemeinsam in den Tod. Über uns steht in den letzten Stunden das Bild des Segnenden Christus, der um uns ringt. In dessen Anblick endet unser Leben.“
Jochen Klepper hat in seinem Morgenlied das alte Lied aus Jesaja auf sein Leben bezogen.
Singen wir die Strophen EG 452, 1+4+5

Unsere Grenzen sind manchmal sehr eng, unser Vertrauen ist schwach und wir werden müde.
Ist unser Engagement in Familie und Beruf sinnvoll – es wird oft nicht wertgeschätzt? Werde ich von meinen Freunden ausgenutzt und sobald ich sie nicht mehr interessiere, lassen sie mich fallen? Was wird aus unserer Gesellschaft, wenn reich und arm auseinander fallen? Was geschieht, wenn viele keine Perspektive haben, wenn manche Berufe wie zum Beispiel Hebamme kaum zum Leben ausreichen? Was wird aus unserer Welt, in der zahllose Menschen auf der Flucht sind wie der Junge auf dem Bild?
Ängstlich fragen wir. Das Herz wird eng. Resignation befällt uns, Müdigkeit.
Wecke uns auf, Gott!
Jesus weiß mit den Müden zu reden. Er kennt sie. Ihre Leidenswege sind ihm vertraut. Er weicht nicht zurück –
und er schlägt nicht zurück. Sanftmütig und gewaltlos ist der Gottesknecht, aber er ist alles andere als schwach. Im Gegenteil: Hart wie einen Kiesel macht er sein Gesicht. Stark und ruhig und sogar zuversichtlich begegnet er denen, die ihn angreifen und schlagen.
Woher bekommt er die Kraft?
„Er weckt mich alle Morgen; er weckt mir das Ohr, dass ich höre, wie Jünger hören.“ Jeden Morgen, immer und immer wieder weckt Gott seinen Knecht. Jesus ist im Gespräch mit Gott. Er zieht sich zurück um zu hören, Kraft zu schöpfen.
Jesus sagt: „Von Gottes Wort lebt der Mensch.“
Schon menschliche Worte lassen uns aufleben. Wie dringend warten wir manchmal darauf, dass das Handy vibriert und endlich eine Antwort kommt. Wie schön ist erst eine geliebte Stimme. Ohne den vertrauten Klang von Stimmen gehen Menschen ein wie Blumen ohne Wasser. Um wieviel mehr brauchen wir Worte des Lebens, Worte wie am ersten Tag der Schöpfung, die hervorrufen, schaffen und liebevoll gestalten.
Gott redet uns an, ruft uns ins Leben, will unser Leben. Seine Worte alle Morgen, immer wieder vertreiben die Müdigkeit.
Allerdings: „Gott der Herr hat mir das Ohr geöffnet.“ Die Bereitschaft zu hören ist nicht immer gleich – aber manchmal fällt ein Wort direkt in unser Herz, macht uns stark, lebendig, wach. Worte, die das Leben zum Klingen bringen. Der Gottesknecht kann hören. Gott öffnet ihm das Ohr. Der Heilige Geist lässt uns hören, glauben und leben.
Singen wir die Strophen EG 452, 1+2

 „Ich bot meinen Rücken dar denen, die mich schlugen, und meine Wangen denen, die mich rauften. Mein Angesicht verbarg ich nicht vor Schmach und Speichel. Aber Gott der Herr hilft mir, darum werde ich nicht zuschanden.“
Jesus verzichtet auf alle Macht, lässt sich verspotten, schlagen, töten. Unschuldig wird er von der römischen Besatzungsmacht zum Tod am Kreuz verurteilt – eine qualvolle und erniedrigende Strafe für die Gegner Roms – heute sagen die Gewaltherrscher gerne Terroristen zu allen, die ihre Macht infrage stellen.
Jesus ist bei den Opfern von Unrecht und Gewalt. Ohne sich zu wehren setzt er sich aus. Er wird zum Opfer gemacht.
Gottes Barmherzigkeit braucht keine Opfer.
Aber wir Menschen machen andere zu Opfern, egoistisch, rücksichtslos, gierig, Macht-besessen.
Gott selbst setzt sich uns Menschen aus.
Er weicht nicht aus.
Er bleibt nicht unberührt.
Er ist dort, wo Menschen verzweifeln.
Er ist bei dem Flüchtlingsjungen mit dem verlorenen Blick.
Er trägt den Schmerz all der Opfer.
Jesus, der Gottesknecht, gibt ihnen allen die Gewissheit: Gott sieht mein Leid und leidet mit mir. Ich werde nicht zuschanden. Keine Macht der Welt, nicht einmal der Tod kann mich trennen von Gottes Liebe.
„Er ist nahe, der mich gerecht spricht; wer will mit mir rechten? Lasst uns zusammen vortreten! Wer will mein Recht anfechten? Der komme her zu mir! Siehe, Gott der Herr hilft mir; wer will mich verdammen?“
Singen wir die Strophe EG 452, 3