Unerträgliche Last, Predigt über Hiob 23

Predigt am 1.9.19 von Andreas Hansen über Hiob23

Lied vor der Predigt: EG382 Ich stehvor dir mit leeren Händen, Herr, Lied nach der Predigt: EG379 Gott wohnt in einem Lichte

Fragen ohne Antwort. Verzweifeln. Verstummen. So endet für manche Menschen ihre Beziehung zu Gott. Was manche erleiden, erschüttert uns, wenn wir es miterleben oder sie davon erzählen.
Warum wird ein lieber Mensch todkrank? Warum müssen Kinder leiden und sterben? Warum werden Menschen Opfer von Unglück und Katastrophen? Warum widerfährt guten Menschen Böses? Wir suchen nach Erklärungen und forschen nach der Schuld, als könnte uns das entlasten. Wir fragen nach Gott.

Ich zitiere noch einmal ein Gebet von Sabine Naegeli aus dem Band „Du hast mein Dunkel geteilt. Gebete an unerträglichen Tagen.“:
„Voller Entsetzen ist mein Herz angesichts der endlosen Schrecken, die du zulässt im Leben des Menschen, den ich liebe.
Völlig hilflos zu sein vor so viel auswegloser Not bringt mich der Verzweiflung mehr als nahe.
Ich bin wie gelähmt. Wo bist du, Gott?
Warum lieferst du ihn so unermesslichem Leid aus?
Du bist ein Gott, vor dem ich mich fürchte. Und doch kann ich vor dir nur zu dir flüchten.
Bettlerin möchte ich sein vor dir, rufen und schreien, schreien und rufen, bis du dich erbarmst.“
Sie flieht vor Gott zu Gott hin. Sie fürchtet sich vor Gott, der solches zulässt, und hört doch nicht auf Gott zu rufen, weil sie auf sein Erbarmen hofft.
Bittere Klage, Anklage gegen Gott, spricht auch in den Psalmen immer wieder, aber sie mündet in Hoffnung und Vertrauen.
Vor Gott zu Gott fliehen, vor der dunklen unerklärlichen Macht hin zu der Güte und Liebe, die alles umfasst.
Aber für manche Menschen bleiben die Fragen ohne Antwort. Sie verzweifeln und verstummen und sind fertig mit Gott. Und auch dies finden wir tatsächlich in der Bibel.
Heute steht unser Predigttext für den Sonntag im Buch Hiob. Hiob ist ein frommer, gerechter Mensch, gesegnet mit einer großen Familie, Erfolg und Wohlstand. Doch dann trifft ihn Schlag auf Schlag das Unglück. Er verliert seinen Reichtum. Seine Kinder sterben alle auf einmal bei einer furchtbaren Katastrophe. Er wird krank und hinfällig, sein Leib übersät von Geschwüren. Doch Hiob bleibt Gott treu. Nichts kann ihm sein Vertrauen und seine Ergebenheit nehmen – zunächst.
Der größte Teil des Buches Hiob sind Gespräche. Seine Freunde wollen ihn trösten und von Gott überzeugen. Hiobs Haltung ändert sich. Er wendet sich ab von Gott.
Unser Predigttext ist das 23. Kapitel des Buches. So steht es in der Bibel und ist nicht die einzige Stelle dieser Art, aber vielleicht die härteste:

Hiob antwortete (seinen Freunden)und sprach: Auch heute lehnt sich meine Klage auf; seine Hand drückt schwer, dass ich seufzen muss.
Ach dass ich wüsste, wie ich ihn finden und zu seiner Stätte kommen könnte! So würde ich ihm das Recht darlegen und meinen Mund mit Beweisen füllen und erfahren die Reden, die er mir antworten, und vernehmen, was er mir sagen würde. Würde er mit großer Macht mit mir rechten? Nein, er selbst würde achthaben auf mich. Dort würde ein Redlicher mit ihm rechten, und für immer würde ich entrinnen meinem Richter!
Aber gehe ich nach Osten, so ist er nicht da; gehe ich nach Westen, so spüre ich ihn nicht. Wirkt er im Norden, so schaue ich ihn nicht; verbirgt er sich im Süden, so sehe ich ihn nicht. Er aber kennt meinen Weg gut. Er prüfe mich, so will ich befunden werden wie das Gold. Denn ich hielt meinen Fuß auf seiner Bahn und bewahrte seinen Weg und wich nicht ab und übertrat nicht das Gebot seiner Lippen und bewahrte die Reden seines Mundes bei mir.
Doch er hat’s beschlossen, wer will ihm wehren? Und er macht’s, wie er will. Ja, er wird vollenden, was mir bestimmt ist, und hat noch mehr derart im Sinn.
Darum erschrecke ich vor seinem Angesicht, und wenn ich darüber nachdenke, so fürchte ich mich vor ihm.
Gott ist’s, der mein Herz mutlos gemacht, und der Allmächtige, der mich erschreckt hat; denn nicht der Finsternis wegen muss ich schweigen, und nicht, weil Dunkel mein Angesicht deckt.

Hiob hat genug. Er hat mehr als genug vom Gerede seiner Freunde. Er kann es nicht mehr hören. Zunächst haben sie geschwiegen zu seinem Unglück, sieben Tage lang waren sie einfach nur da und haben mit ihm ausgehalten, geweint und geschwiegen. Das war gut. Aber jetzt suchen sie wortreich nach Erklärungen und geben ihm Ratschläge.
Nein, es gibt keine Erklärung! Nein, die Ratschläge zeigen nur, wie wenig sie verstehen! Hätten sie doch weiter geschwiegen und ihn in seinem Leid respektiert! Hiob kann gerade ihr frommes Gerede nicht hören. Sein Vertrauen ist erschöpft. Gebet hat für ihn keine Bedeutung mehr. Hiob hat Gott verloren. Gott ist für ihn nur noch eine Bedrohung. Hiob hat Angst vor Gott, der ihn so grausam plagt – und Angst vor dem, was noch alles kommen mag. Und jetzt schreit Hiob seine Verzweiflung und seinen Schmerz heraus und überhäuft Gott mit Vorwürfen.
Darf man das?
Ja, man darf das. So ergeht es Menschen und darum steht es auch in der Bibel. Menschen zerbrechen unter dem Unfassbaren, das sie trifft. Menschen schreien vor Schmerz wie gequälte Tiere. Menschen verlieren sich selbst und ihren Glauben.
Das gibt es, und wir haben keinen Grund und kein Recht einen anderen zu verurteilen. Selbst der fromme Hiob hat eine unbändige Wut auf Gott und schleudert sie ihm nun entgegen. Es ist schwer zu ertragen, aber wie gut, dass auch das in der Bibel steht.

Hiob weigert sich, den Grund seines Unglücks bei sich zu sehen. Er will nicht hören, dass er selbst schuld sei. Er fühlt sich zu Unrecht bestraft.      Gott soll nur kommen – dann wird er sehen: Hiob hat nichts getan, was die Katastrophe bewirkt haben könnte! Hiob weigert sich auch, demütig anzunehmen, was über ihn hereinbricht. Am Anfang konnte er sagen: „Der Herr hat’s gegeben, der Herr hat’s genommen: der Name des Herrn sei gelobt!“,  aber das ist vorbei. Er kann nicht mehr.  Sein Glaube ist zerbrochen unter der Last.  Dass er gebetet hat, hat keinen Sinn mehr. Leere Worte sind das jetzt für ihn. Jetzt schreit Hiob seinen Zorn heraus. Wo ist Gott denn? Gott antwortet nicht. Gott hat sich ihm entzogen. Hiob sucht und findet ihn nicht. Da ist nur noch dunkle Macht, bedrohlich, Menschen verachtend, beängstigend.

Was tun wir mit Hiob? Was können wir für ihn tun, liebe Schwestern und Brüder? Es gibt Menschen wie Hiob. Etwas von Hiobs Verzweiflung ist uns selbst vertraut. Es müssen gar nicht so dramatische Ereignisse sein. Eine Enttäuschung, ein Abschied, eine Krise und wir zweifeln und klagen.
Die Bibel lässt Hiob zur Sprache kommen,  denn es gibt Menschen, die so sehr geplagt und tief verzweifelt sind, dass ihr Glaube zerbricht.
Das Erste ist Respekt, Achtung vor diesem Menschen und seinem Schicksal. Maßen wir uns nicht an zu verstehen, was wir doch nicht verstehen, weil wir nicht in seiner Haut stecken. Verkneifen wir uns unsere Sucht alles zu erklären. Mit unseren Erklärungen und Ratschlägen helfen wir nicht. Halten wir die Last aus, dass uns ein Schicksal erschreckt und Angst macht. Bleiben wir da wie Hiobs Freunde, auch wenn wir nur schweigen können. Wir können einem anderen Menschen auch nicht seinen Unglauben ausreden. Nehmen wir ihn so an, wie er ist. Wir können für ihn beten oder behutsam und ehrlich von unserer Hoffnung und unserem Zweifel reden – aber oft werden wir besser still sein.

Steckt hinter Hiobs zorniger Rede doch eine Sehnsucht nach Gott? Am Schluss des Buches findet Hiob wieder ein Verhältnis zu Gott. Aber das möchte ich nicht als Happyend verstehen.
Vielen bleibt dieser Weg versperrt. Gott bleibt ihnen fern. Sabine Naegeli betet: „Du bist ein Gott, vor dem ich mich fürchte. Und doch kann ich vor dir nur zu dir flüchten.“

Ich glaube: Gott bleibt nicht fern. Auch wenn ein Mensch keinen Weg findet – Gott ist zu uns gekommen. Er trägt in Jesus die tiefste Verzweiflung und das schrecklichste Leid.        Gott solidarisiert gerade mit den Gottfernen.
„Warum hast du mich verlassen?“ schreit Jesus.
Er kommt auch für die, die Gott nicht mehr suchen, für die kein Weg zurückführt.

Amen