schwach und doch stark – Predigt über 2.Kor12,1-10

Predigt am 4.2.18 von Andreas Hansen über 2.Kor 12,1-10

Angeberei finde ich unerträglich. Wie peinlich ist das, wenn ein Präsident sich immer wieder als den besten aller Zeiten preist! Wie mühsam ist überhaupt die ganze Angeberei in der Politik!
Andrerseits gehört Klappern zum Handwerk. Man muss sich gut verkaufen, sonst gilt man nichts. Das lernt ihr schon in der Schule, wenn ihr eine Präsentation vorbereitet.
So geht es auch Paulus. Er muss sich rühmen. Die Gemeinde in Korinth hat große Apostel erlebt, beeindruckende, mitreißende Prediger, vom Geist Gottes erfüllte Frauen und Männer. Wenn sie von ihren Gotteserfahrungen sprechen, schweigt die Gemeinde ehrfürchtig. Sie verstehen es, Hoffnung zu wecken. Zum Greifen nah scheint die Erlösung, Befreiung von allem Leid, ein Licht der Erkenntnis, das alle Rätsel durchdringt. So muss ein Apostel sein! Eine starke Persönlichkeit, voll Gewissheit. Ein Mensch, der den Weg zu Gott weisen kann, ein Leitstern des Glaubens. Aber Paulus?  Paulus ist eine Enttäuschung! Wie kläglich steht er da! Wie unsicher ist sein Auftreten, wie schwach seine Rede! Und der will ein Apostel sein?! Hat er überhaupt eine Ahnung von Gottes Geist und Gottes Kraft?

2 Korinther 12,1-10

Ich bin – wie gesagt – gezwungen, mich selbst zu rühmen.  Eigenlob nützt zwar nichts; trotzdem will ich nun noch auf Visionen und Offenbarungen vonseiten des Herrn zu sprechen kommen.
Ich kenne einen Menschen in Christus, der – es ist jetzt vierzehn Jahre her – bis in den dritten Himmel versetzt wurde. Ob er dabei in seinem Körper war, weiß ich nicht; ob er außerhalb seines Körpers war, weiß ich genauso wenig; Gott allein weiß es. Auf jeden Fall weiß ich, dass er ins Paradies versetzt wurde (ob in seinem Körper oder ohne seinen Körper, weiß ich – wie gesagt – nicht; nur Gott weiß es) und dass er dort geheimnisvolle Worte hörte, Worte, die auszusprechen einem Menschen nicht zusteht. Im Hinblick auf diesen Menschen will ich mich rühmen;  an mir selbst jedoch will ich nichts rühmen – nichts außer meinen Schwachheiten. Wenn ich wollte, könnte ich mich sehr wohl auch mit anderen Dingen rühmen, ohne mich deshalb zum Narren zu machen; denn was ich sagen würde, wäre die Wahrheit. Trotzdem verzichte ich darauf, weil ich nicht möchte, dass jemand eine höhere Meinung von mir hat als die, die er sich selbst bilden kann, wenn er sieht, wie ich lebe, und hört, was ich lehre. Ich verzichte darauf, weil diese Offenbarungen etwas ganz Außerge-wöhnliches darstellen. Gerade deshalb nämlich – um zu verhindern, dass ich mir etwas darauf einbilde – ist mir ein Leiden auferlegt worden, bei dem mein Körper wie von einem Stachel durchbohrt wird: Einem Engel des Satans wurde erlaubt, mich mit Fäusten zu schlagen, damit ich vor Überheblichkeit bewahrt bleibe. Dreimal habe ich deswegen zum Herrn gebetet und ihn angefleht, der Satansengel möge von mir ablassen. Doch der Herr hat zu mir gesagt: »Meine Gnade ist alles, was du brauchst, denn meine Kraft kommt gerade in der Schwachheit zur vollen Auswirkung.«  Daher will ich nun mit größter Freude und mehr als alles andere meine Schwachheiten rühmen, weil dann die Kraft von Christus in mir wohnt. Ja, ich kann es von ganzem Herzen akzeptieren, dass ich wegen Christus mit Schwachheiten leben und Misshandlungen, Nöte, Verfolgungen und Bedrängnisse ertragen muss.
Denn gerade dann, wenn ich schwach bin, bin ich stark.

 Paulus wird in Korinth heftig angegriffen und verspottet. Wir würden von Mobbing sprechen. Seine Arbeit und seine Person werden in Frage gestellt. Darauf antwortet Paulus nun und erzählt sehr persönlich von seiner Erfahrung mit Gott. Er gibt mit seinen geistlichen Erlebnissen nicht an.
Wir verstehen nicht, was er meint, wenn er vom dritten Himmel schreibt oder auch von einem Engel Satans, der ihn mit Fäusten schlägt. Paulus versteht das selbst nicht ganz. Er schreibt von sich wie von einem anderen: „Ich kenne einen Menschen in Christus.“ Er weiß nicht, ob er außer sich war, ob er seinen Leib verlassen hat, in Ekstase war. Er war im Paradies und hörte geheimnisvolle, unsagbare Worte, die kein Mensch sagen kann. Man spürt einen Hauch von Erlösung, ein himmlisches Glück. Dies Erlebnis hat Paulus für immer geprägt.
Paulus beschreibt vorsichtig, ehrfürchtig, was ihm widerfahren ist. Er achtet und wahrt das Geheimnis Gottes. Er maßt sich nicht an, mit seinem geistlichen Höhenflug zu prahlen. Denn zugleich wird er hart an seine Grenzen erinnert.   Er meinte fast, er habe seinen sterblichen Körper verlassen, da bringt ihn ein Stachel im Fleisch zurück auf den Boden. Es ist, als ob man im glücklichsten Moment  plötzlich von Zahnschmerzen geplagt wird oder kurz vor einem großen wichtigen Fest einen Migräneanfall erleidet und keinen Schritt gehen kann. Wir wissen nicht, was Paulus plagt, vielleicht Rheuma oder Gallenkoliken oder auch, nicht weniger schmerzhaft, eine Depression, ein Stachel in seiner Seele.
Vergeblich betet Paulus um Heilung. Er muss mit seinem Leiden weiterleben. Und er muss mit seiner Schwäche zurechtkommen.
Ich finde es tröstlich, dass auch für einen wie Paulus nicht alles glatt und gut geht. Unser Leben bleibt in vielem unvollkommen, unfertig. Wir erleben Brüche und wir tragen Narben. Der gnädige Gott trägt uns. Jesus hilft den Verlorenen auf.
Liebe Gemeinde, von geistlichen Höhenflügen oder ekstatischen Gotteserfahrungen höre ich eher selten. Aber ich begegne Menschen, die mit einer Schwäche leben müssen. Ein Mensch wird krank, und auf einmal sieht sein Leben ganz anders aus. Ein Mensch wird von seinem Partner oder seiner Partnerin belogen und verlassen und trägt schwer an diesem Bruch. Ein Mensch schafft eine Prüfung nicht und muss seinen Lebenstraum loslassen. Alte Menschen erzählen auch von Erfahrungen im Krieg und auf der Flucht, die sie immer noch plagen. Aber Menschen, die ganz unten waren, haben gerade da erfahren, wie Gott sie trägt – auch das höre ich oft.
Wir genießen es nicht etwa, schwach zu sein. Wir erklären Leiden oder Schwäche nicht zu etwas Gutem. Wo immer das möglich ist, kämpfen wir dagegen und tun alles dafür, dass wir in Gottes Namen Schwäche und Leid überwinden. Aber es ist nicht immer möglich. Wir stoßen an Grenzen. Mit mancher Schwachheit oder Last müssen wir einfach weiterleben. Paulus kann seine Schwäche akzeptieren. Paulus rühmt sich sogar seiner Schwachheit, „weil dann die Kraft von Christus in mir wohnt.“
Aber Paulus kann das wohl erst im Nachhinein  erkennen. Mitten im Schmerz rufen wir wie der Psalmbeter: „Wo bist du Gott? Hast du mich vergessen?“ Oder wie im Lied: „Ich steh vor dir mit leeren Händen, Herr, fremd wie dein Name sind mir deine Wege.  … Ich möchte glauben, komm du mir entgegen!“ Erst später dürfen wir vielleicht erkennen, wie nah Gott uns war, als wir schwach und allein waren.
„Gerade dann, wenn ich schwach bin, bin ich stark.“ Das klingt paradox, widersinnig. Ich verstehe Paulus so: „Dann, wenn ich ganz unten war und nicht mehr weiter wusste, hat Gott mir Kraft gegeben.“ Und ich würde weiter sagen: „Selbst dann, wenn ein Mensch wirklich am Ende seiner Möglichkeiten ist, lässt Gott ihn nicht allein.“
Dietrich Bonhoeffer bekannte, „Gott will uns in jeder Notlage soviel Widerstandskraft geben, wie wir brauchen. Aber er gibt sie nicht im Voraus, damit wir uns nicht auf uns selbst, sondern allein auf ihn verlassen.“
„Meine Gnade ist alles, was du brauchst, denn meine Kraft kommt gerade in der Schwachheit zur vollen Auswirkung.“
Gott selbst geht den Weg der Schwachheit. Das klingt absurd, denn Gott stellen wir uns doch stark und mächtig vor. Gott verzichtet in Jesus Christus auf die Stärke. Er ist machtlos und angegriffen. Er leidet und stirbt am Kreuz. Gott schenkt Leben, indem er selbst sein Leben lässt. Gott geht den unteren Weg.
Die Leute in Korinth greifen Paulus an. Sie werfen ihm vor, dass er kein rechter Apostel ist, schwach und ohne Charisma. Da erzählt er ihnen, was er an der Grenze des Sagbaren erleben durfte. Himmel und Erde haben sich berührt. Es bleibt ihm selbst ein Geheimnis. Aber Paulus bekennt auch, wie seine eigene Schwachheit ihn plagt und zu Boden wirft.
„Ich kenne einen Menschen in Christus“. In Christus – so umschreibt er seine Existenz. In Christus vermag er sich zu rühmen. In Christus kann aus Schwachheit Stärke wachsen.
Wir sind in Christus, liebe Gemeinde. Christus verbindet sich mit uns in der Taufe. Christus schenkt sich uns im Abendmahl. Christus sagt uns ein gutes Wort: „Meine Gnade ist alles, was du brauchst, denn meine Kraft kommt in der Schwachheit zu ihrem Ziel.“ Amen