Predigt am 11.2.18 von Andreas Hansen über Amos 5,21-24
„Liebe Gemeinde, ihr wollt dass ich ein falscher Prophet bin! Ich soll nichts sagen, was euch stört. Ich soll lieber die Unwahrheit sagen. Aber das geht nicht.“ So hat der große Theologe Karl Barth einmal eine Predigt begonnen.
„Ihr wollt, dass ich ein falscher Prophet bin.“ Das ist schon fast eine Beschimpfung der Gemeinde, nicht wahr? Es ging darum, dass die falschen Propheten den Leuten nach dem Mund reden, dass sie die unbequeme, böse Wirklichkeit verschweigen und lieber Fake-News vom Frieden verbreiten. Aber das geht nicht. Gott stört den falschen Frieden. Er lässt nicht zu, dass wir uns die Welt schönreden. Darum muss sein Prophet stören. In Gottes Namen schreit der Prophet Amos im Tempel: (Amos 5,21-24)
Ich bin euren Feiertagen gram und verachte sie und mag eure Versammlungen nicht riechen. Und wenn ihr mir auch Brandopfer und Speisopfer opfert, so habe ich kein Gefallen daran und mag auch eure fetten Dankopfer nicht ansehen. Tu weg von mir das Geplärr deiner Lieder; denn ich mag dein Harfenspiel nicht hören! Es ströme aber das Recht wie Wasser und die Gerechtigkeit wie ein nie versiegender Bach.
Stellen Sie sich mal vor, jemand würde in diesem Ton in unseren Gottesdienst reden!
Amos fliegt raus. Der Oberpriester beschwert sich beim König über ihn. Er verbietet Amos weiter zu reden im Heiligtum des Königs – so sagt er. Aber ist es nicht Gottes Tempel und Heiligtum? Gott redet dazwischen, aber der Priester sagt: „Raus mit dem Störenfried!“ Mir fiel dazu ein Gedicht von Kurt Marti ein:
„Der ungebetene Hochzeitsgast
Die Glocken dröhnen ihren vollen Ton
und Photographen stehen knipsend krumm.
Es braust der Hochzeitsmarsch von Mendelssohn.
Der Pfarrer kommt! Mit ihm das Christentum.
Die Damen knien im Dome schulternackt,
noch im Gebet kokett und photogen,
indes die Herren konjunkturbefrackt,
diskret auf ihre Armbanduhren sehn.
Sanft wie im Kino surrt die Liturgie
zum Fest von Kapital und Eleganz.
Nur einer flüstert leise „Blasphemie!“
Der Herr. Allein. Ihn überhört man ganz.“
Das hätte Amos gefallen. Nur dass er nicht flüstert, er brüllt. Amos stört das Fest von Kapital und Eleganz. Hören Sie, was er sonst noch sagt: Die eleganten Damen nennt er fette Kühe (4,1). Er ruft zur Umkehr: „Suchet das Gute und nicht das Böse, auf dass ihr leben könnt, so wird der HERR bei euch sein, wie ihr rühmt.“ (4,14) Damals bereichern sich der König und eine dünne Oberschicht auf Kosten vieler. Sie treiben die Armen in die Schuldsklaverei und leben selbst in Saus und Braus. Amos wettert gegen das Unrecht: „Sie treten den Kopf der Armen in den Staub und drängen die Elenden vom Weg. “ (2,6) „Ihr unterdrückt die Armen und nehmt von ihnen hohe Abgaben an Korn. Ihr bedrängt die Gerechten, nehmt Bestechungsgelder und unterdrückt die, die kein Geld haben“ (5,11). Viele Menschen werden immer ärmer und elender. Und auch die Priester im Tempel profitieren von dem Unrecht.
Im Namen Gottes stört Amos. Gott stört. König und Priester wollten ihn nicht hören. Aber die Worte von Amos stehen bis heute in der Bibel.
Amos kritisiert einen Gottesdienst, der Gott widerspricht. Da wird nicht Gott verehrt, sondern wir sehen nur uns selbst. Da wird nicht auf Gott gehört, denn es darf nichts gesagt werden, was uns infrage stellt. Da entsteht nicht Gemeinschaft, sondern Trennung. So wird Gottesdienst in sein Gegenteil verkehrt: Ein Beruhigungsmittel, Selbstbestätigung, Blasphemie, Gotteslästerung. Im schlimmsten Fall wäre das ein Versuch, uns Gott vom Leib zu halten, ihn zum harmlosen Greis zu machen, der zu allem nur freundlich nickt. Karl Barth wusste, dass wir uns gerne einen Gott zurechtmachen. Darum begann er: „Ihr wollt, dass ich ein falscher Prophet bin.“
Ich glaube nicht, dass unsere Gottesdienste Gott zuwider sind, dass ihn unsere Feiern und Gebete ärgern, dass ihn unser Gesang nervt. Gott will unseren Gottesdienst. Gott will, dass wir uns zu ihm wenden. Er hört, was wir von Herzen singen und beten. Er hört auch den kläglichen Gesang oder die Gebete, für die wir keine Worte finden. Aber Gott will vor allem selbst etwas zu uns sagen. Wir sollen hören, wirklich hören.
So viele Worte rauschen an uns vorbei und berühren uns gar nicht – im gleichen Moment haben wir sie vergessen. Gott meint es ernst mit uns, wie eine Mutter, wie ein Freund, wie ein Mensch, der uns liebt. Was ein solcher Mensch sagt, ist uns wichtig, berührt und bewegt uns. So sollen wir hören.
Und Gott ist noch viel mehr als ein liebevoller Mensch. Das altmodische Wort Ehrfurcht entspricht der Haltung, die Gott verdient. Was er uns sagt, müssen wir unbedingt hören, ehrfürchtig, weil es wichtig und heilig für uns ist. Menschen verdienen keine Ehrfurcht, ganz gleich, welches Amt sie haben. Aber Gott, der das Leben schenkt, Gott, der Ewige, der Einzige, ihm begegnen wir mit Ehrfurcht. Wenn du betest, sollst wissen vor wem du stehst.
Eine ehrfürchtige Haltung vor Gott erniedrigt uns nicht, im Gegenteil: Gott erhebt uns und würdigt uns, dass wir ihm antworten.
Das hört nicht an der Kirchentür auf.
„Es ströme aber das Recht wie Wasser und die Gerechtigkeit wie ein nie versiegender Bach.“ Was Amos kritisiert, klingt bedrückend aktuell: Mächtige Kapitaleigner spekulieren mit Ackerland in Afrika und treiben Menschen in Hunger und Not. Wie Sklaven schuften Arbeiter in den Kleiderfabriken für unsere Importe. Waffen aus Deutschland helfen Unterdrückern und Kriegstreibern. In der globalisierten Welt sind wir alle verstrickt in weltweites Unrecht. Wir sind immer bereit, die Schuld bei anderen zu suchen. „Die da oben“ müssten etwas tun. Wir können ja zumindest versuchen, den Menschen neben uns gerecht zu werden.
Gerechtigkeit ist das, was wir zu einem guten Miteinander brauchen: Dass alle leben können und keiner untergeht, keiner dem anderen den Platz nimmt, keiner den anderen unterdrückt. Gerecht ist nach biblischem Verständnis das, was einer funktionierenden Gemeinschaft dient.
„Es ströme aber das Recht wie Wasser und die Gerechtigkeit wie ein nie versiegender Bach.“ Das ist zuerst eine ungeheuer anspruchsvolle Forderung. Aber es ist auch ein Versprechen: Wo ein Bach nie versiegt, gibt es eine zuverlässige Quelle. Gott selbst ist die Quelle von Recht und Gerechtigkeit.
Gott verspricht: Meine Gerechtigkeit hört nicht auf. Meine Gemeinschaft mit euch zerbricht nicht. Gott ermöglicht uns Gerechtigkeit. Gott heilt zerbrochene Gemeinschaft.
Jeder Gottesdienst hat darum Teile, die auf Umkehr zielen, auf eine Rückkehr in die Gemeinschaft mit Gott und untereinander.
Gott will unseren Gottesdienst.
Gott will, dass wir an die Quelle kommen, Gemeinschaft erfahren, gestärkt werden.
Wir sollen sein Recht und seine Gerechtigkeit kennen. Gott würdigt uns, dass wir vor ihm stehen dürfen, dass wir ihm antworten.
Amen