Predigt am 3.1.16, 2. Sonntag nach dem Christfest, über 1.Joh 5,11-13

Predigt am 3.1.16 von Andreas Hansen über 1.Joh 5,11-13

Im Gottesdienst werden mehrere Stellen aus dem ersten Johannesbrief vorgetragen: 1,1+2 in der Begrüßung, 3,1 als Eingangsspruch, 4,7-16 als Lesung, u.s.w.

Darin besteht das Zeugnis, dass Gott uns ewiges Leben gegeben hat, und dieses Leben ist in seinem Sohn. Wer den Sohn hat, hat das Leben; wer den Sohn Gottes nicht hat, hat das Leben nicht. Das habe ich euch geschrieben, damit ihr wisst, dass ihr, die ihr an den Namen des Sohnes Gottes glaubt, ewiges Leben habt.

Sie werden nicht überrascht sein, wenn ich Ihnen sage, dass Pfarrer zur Vorbereitung ihrer Predigt gelegentlich im Internet stöbern und schauen, was Kollegen zu diesem Text veröffentlicht haben. Manchmal finde ich eine gute Idee oder eine treffende Formulierung. Oft bringt die Suche nichts. Etwas einfach übernehmen ist unmöglich. Nicht einmal meine eigenen alten Predigten kann ich nochmal halten. Ich kann nur predigen, was für heute, hier und für uns gesagt ist, so gut ich es eben heute, hier und für uns kann.

Aber heute will ich mit etwas beginnen, was eine Kollegin geschrieben hat und was sie wohl gerade selbst predigt. Sie wird ihre Worte allerdings zusätzlich in Gebärdensprache vortragen, denn sie predigt für gehörlose Menschen:

Der erste Johannesbrief will seine Leserinnen und Leser – Menschen, die an Jesus Christus glauben – sicher machen: „Gott hat uns das ewige Leben gegeben.“ Ich frage: wie merken wir das? Was meint Johannes mit „ewigem“ Leben?

In der Gebärdensprache haben wir drei verschiedene Gebärden für das Wort Ewigkeit.

Die erste Gebärde: ich strecke den Zeigefinger der rechten Hand nach oben und zeichne damit eine gerade Linie von links nach rechts in die Luft. Wie auf der Intensivstation das EKG-Gerät: wenn das Herz nicht mehr schlägt, wenn die Zeit für diesen Menschen da im Bett zuende ist, dann schreibt das EKG eine gerade Linie, die Nulllinie. Wir Menschen begegnen der Ewigkeit am Ende unserer Lebenszeit, mit dem Ende des Herzschlages. Aber was ist dann mit uns? Wo sind wir dann? Gibt es uns dann noch? Und wenn, wie? Unsere Fragen bleiben offen.

Die zweite Gebärde geht anders. Sie kennen das berühmte „Däumchen drehen“. Die Gebärde ist so ähnlich: wir nehmen die Hände auseinander und drehen nicht die Daumen, sondern die Zeigefinger umeinander. Die Gebärde zeigt „immer dasselbe“! Einer redet lang und unverständlich – für die Zuschauer und Zuhörer fühlt sich die Zeit dann wie eine Ewigkeit an – es klingt wie bla bla bla! Viele Menschen, nicht nur in Indien, glauben: das Leben wiederholt sich immer und immer wieder. Sie glauben, nach dem Tod wird die Seele in einem neuen Körper wiedergeboren und muss wieder sterben und so weiter und so weiter. Sie sehnen sich nach Erlösung aus diesem Kreislauf. So schaut diese zweite Gebärde für „Ewigkeit“ auf das Leben in dieser Welt, gestern, heute und morgen. Aber „ewiges Leben“ muss doch noch anders sein, irgendwie grenzenlos?! So bleiben unsere Fragen wieder offen: Wie sollen wir uns „ewiges Leben“ vorstellen?

Deshalb haben wir noch eine dritte Gebärde: die linke Hand waagerecht vor dem Bauch zeigt den Boden, die rechte Hand fährt darunter und dann nach vorn hinauf bis über den Kopf – so beschreiben wir den Weg, den Jesus gegangen ist: er ist geboren von Maria, ein Mensch, wie wir, gestorben am Kreuz, hinabgestiegen in das Reich des Todes, am dritten Tage auferstanden von den Toten, aufgefahren in den Himmel zu Gott. Ewiges Leben heißt: mit Jesus gehen, an seiner Hand. Und er geht mit uns.

Bis hier habe ich fast wörtlich wiedergegeben, was Pastorin Neukirch heute in Hannover für gehörlose Menschen predigt. Johannes beginnt seinen Brief, als wollte er ebenfalls für gehörlose Menschen schreiben: Das Wort des Lebens ist erschienen: hier, auf der Erde, wirklich und wahrhaftig. Wir haben es gesehen, berührt. Das Wort von Gott? Jesus. Ein Mensch. Wir konnten ihn sehen, hören, anfassen. Er hat Menschen berührt und an die Hand genommen. Er hat blinde Augen und taube Ohren berührt. Er hat Menschen aufgerichtet, ihnen Freiheit und Würde geschenkt.

Die dritte Gebärde für ewiges Leben zeichnet seinen Lebensweg nach, sein menschliches Leben und Sterben. Er ist das Leben für uns. Er teilt unser Leben und nimmt uns an die Hand. Himmel und Erde berühren sich, denn der Mensch Jesus kommt von Gott und sitzt zur Rechten Gottes.

Johannes ist Zeuge, einer, der sagt, was er gesehen und gehört hat. Er bezeugt Jesus. „Darin besteht das Zeugnis, dass Gott uns ewiges Leben gegeben hat, und dieses Leben ist in seinem Sohn. Wer den Sohn hat, hat das Leben; wer den Sohn Gottes nicht hat, hat das Leben nicht.“ In der Gemeinde des Johannes macht sich eine falsche Meinung über Jesus breit. Sie sagen: „Der Mensch Jesus ist nicht Gottes Sohn. Gott hat doch nichts mit dieser sündigen Welt gemeinsam. Gott ist doch weit erhaben über alles, was stirbt und vergeht.“ Das ist ein direkter Widerspruch zu unserem Glaubensbekenntnis! Da Gott bleibt fern, in einer anderen Welt, unberührbar. Der ferne Gott kann auch nicht lieben, denn Liebe ohne Schmerz und Leidenschaft gibt es nicht. Und schließlich ist es dem fernen Gott gleichgültig, ob wir auf der Erde Gutes tun oder einander die Köpfe einschlagen.

Liebe Gemeinde, das ist nicht nur eine seltsame alte Irrlehre, sondern auch heute weit verbreitet. In der Vorstellung vieler Menschen ist Gott weit weg und hat mit uns eigentlich nichts zu tun.

Aber Gott ist Liebe. Gott ist leidenschaftlich gern bei uns. Er will uns nicht loslassen, obwohl wir ihm so tief widersprechen. Gott ist Liebe und bereit, für unser Leben durch Leid und Tod zu gehen. Gott ist Liebe und will, dass wir liebevoll mit unseren Mitmenschen und mit all seinen Geschöpfen umgehen. Wer den Sohn Gottes nicht hat, hat das Leben nicht. Wer nicht glaubt, dass Gott hier bei uns ist, verfehlt das Leben. „den Sohn haben, an den Sohn Gottes glauben“ – das wirkt in unser Leben hinein. Vorhin hörten wir: „Niemand hat Gott je geschaut. Wenn wir aber einander lieben, bleibt Gott in uns, und seine Liebe ist unter uns zur Vollendung gekommen.“ Das ist das Ziel, dass wir selbst liebevoll leben, dass wir antworten auf Gott, der die Liebe ist.

In Jesus, dem Sohn Gottes, ist das Leben, wahres, erfülltes, ewiges Leben. So zeigt es die Geste in der Gebärdensprache: Er teilt unser Leben und sogar unseren Tod und er führt uns zum Vater, zu Gott. Wer sich an den Sohn hält, hat Anteil am Leben. Pastorin Neukirch erinnert an das Weihnachtslied „Alle Jahre wieder“ und sagt: „Ewiges Leben heißt: jetzt mit Jesus gehen – an seiner lieben Hand.“ Er wird uns nicht loslassen, denn er ist ja Gottes Sohn. Auch in diesem Jahr 2016 wird Jesus auf allen Wegen mit uns ein und ausgehen und uns zur Seite sein. Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen