Predigt zum 31.12.15, Römer 8,31-39

Predigt am 31.12.15 von Andreas Hansen über Römer 8,31b-39

Hilf mir, Herr, die Verworrenheit der Dinge durch die Klarheit des Glaubens zu lichten, und was schwer auf mir lastet durch die Kraft des Vertrauens zu verwandeln. Dass ich von dir geliebt bin, ist Antwort auf jede Frage. Gib, dass mich diese Antwort sicher macht, wenn das Weitergehen schwerfällt. (Romano Guardini)

Das letzte Blatt am Kalender, die letzten Stunden des alten Jahres. Wir sehen zurück und denken an die schönen Erlebnisse: eine Reise, ein Fest, gelungene Schritte, erfüllte Zeit, Menschen, die wir lieben, Freunde, kleine und große Anlässe zu danken. Wir sind in diesem Jahr auch an Grenzen gestoßen, waren herausgefordert, mussten Streit, Schmerz und Leid ertragen. Manches davon bleibt: ungelöste Fragen, belastende Trauer, Konflikte, die wir lang schon mit uns schleppen. Kann ich zufrieden sein mit meinem Jahr? Bin ich meinen Mitmenschen gerecht geworden? Habe ich getan, was recht ist? Wir stehen an der Schwelle zum neuen Jahr und wissen nicht, was auf uns zukommt. Werden wir gesund sein? Werden wir Arbeit und Auskommen haben? Werden wir in Frieden leben? Es war ein stürmisches, schweres Jahr für viele Menschen in der Welt. Krisen und Konflikte, Terrorakte, Kriege, Katastrophen – wir haben die Nachrichten oft sehr gespannt gehört und durch die Flüchtlinge ein wenig von den Auswirkungen erlebt. Vieles ist ungewiss und die Probleme werden noch viel Kraft brauchen.

Heute hören wir einen Abschnitt aus dem Brief des Paulus an die Christen in Rom. In der riesigen Stadt, dem Zentrum der Macht, sind sie eine winzige Gruppe am Rand, verspottet, bedroht, verfolgt. Paulus schreibt von dem, was uns bedrängt, aber auch von den Abgründen in uns Menschen, dass wir nur uns selbst sehen, dass wir Böses tun, dass wir Gott widersprechen. Aber Gott überlässt uns nicht uns selbst. Gott antwortet auf das Leid, das Böse, die Schuld der Welt. Er setzt sich für uns ein in Jesus Christus. Paulus schreibt von dem, was uns gewiss macht:

Römer 8,31b-39 Wenn Gott für uns ist, wer kann wider uns sein? Er, der seinen eigenen Sohn nicht verschont, sondern für uns alle dahingegeben hat, wie sollte er uns mit ihm nicht alles schenken? Wer will gegen die Erwählten Gottes Anklage erheben? Gott ist es, der Recht spricht. Wer will da verurteilen? Christus Jesus ist es, der gestorben, ja mehr noch, der auferweckt worden ist; er sitzt zur Rechten Gottes, er tritt für uns ein. Wer will uns scheiden von der Liebe Christi? Bedrängnis, Not oder Verfolgung? Hunger oder Blöße? Gefahr oder Schwert? Wie geschrieben steht: Um deinetwillen sind wir dem Tod ausgesetzt den ganzen Tag, zu den Schafen gerechnet, die man zur Schlachtbank führt. (Ps 44,23) Doch in all dem feiern wir den Sieg dank dem, der uns seine Liebe erwiesen hat. Denn ich bin mir gewiss: Weder Tod noch Leben, weder Engel noch Mächte noch Gewalten, weder Gegenwärtiges noch Zukünftiges, weder Hohes noch Tiefes noch irgendein anderes Geschöpf vermag uns zu scheiden von der Liebe Gottes, die in Jesus Christus ist, unserem Herrn.

Gott ist für uns. Christus tritt für uns ein. Gott hat uns seine Liebe erwiesen. Nichts kann uns von der Liebe Gottes trennen. „Dass ich von dir geliebt bin, ist Antwort auf jede Frage.“ In zwei Richtungen schaut und fragt Paulus. Er blickt zurück: Wie stehen wir da? Er schaut nach vorn: Was wird aus uns?

Zuerst sieht Paulus Gegner, die uns anklagen und verurteilen, wie eine Gerichtsszene. Ich kann schlecht damit umgehen, wenn jemand gegen mich ist und mir Vorwürfe macht. Das kann mir den Schlaf rauben. Der Drang uns zu rechtfertigen steckt tief in uns. Wir habe das Bedürfnis den anderen zu zeigen: „Ich bin gut. Ich verdiene Achtung.“ Wir verwenden viel Energie darauf, dass uns keiner angreift, dass wir gut dastehen, beliebt, anerkannt, mit einer weißen Weste. Aber das schafft ja keiner. Jeder macht Fehler. Jeder hat dunkle Seiten, die er lieber keinem zeigt. Jeder kann wohl gemein sein, verletzend, boshaft. Wir werden unfrei und unehrlich, wenn wir uns dauernd rechtfertigen und gut dastehen wollen. Meist zeigen wir zugleich unbarmherzig auf die Schwächen und Fehler der anderen. Noch schlechter werde ich fertig mit den Vorwürfen, die ich mir selbst mache. Ich finde das gut beschrieben in einem Abendlied aus Norwegen:

„Spät am Abend, da es still wird,/ spür ich Unrast in mir wachsen,/ und ich kann sie nicht vertreiben./ Unterm Glück, das ich noch fühle,/ weil der Tag so viel gebracht hat,/ strömt´s wie Schmerz und gibt nicht Ruhe.

Meine Niederlagen kommen./ Ganz hab ich den Tag empfangen / und er fiel mir aus den Händen./ Wem soll ich in letzter Stunde / lauter Scherben übergeben / und ein Herz, das nur noch anklagt?“

Was ist, wenn ein Tag, ein Jahr, ein Leben wie ein Scherbenhaufen ist, wenn wir vor den anderen oder vor uns selbst nicht bestehen? Die dritte und vierte Strophe heißen:

„Einer sieht mich, und er wartet./ Gott, der größer als mein Herz ist,/ bleibt trotz allem mir zur Seite./ Er nimmt Zwiespalt an und Schwäche, / wie ich bin, so darf ich kommen./ Die Gedanken werden stille,

sammeln sich um Christi Worte,/ die ich als Geschenk ergreife:/ Deine Sünden sind vergeben./ Das Vertane, das Zerbrochne / dieses Tags wird aufgehoben./ Ganze Liebe lässt es gut sein“

(Text Svein Ellingsen, übersetzt von Jürgen Henkys, in: Ders., Frühlicht erzählt von dir., München, 1990)

Wir können zurückschauen ohne uns zu rechtfertigen. Was zerbrochen ist, muss nicht verschwiegen werden. Es ist aufgehoben bei Jesus. Ganze Liebe lässt es gut sein.

Dann sieht Paulus in die Zukunft. Er zählt Gefahren auf. Vieles davon hat er selbst erlebt. Wie Schafe, die man zur Schlachtbank führt, so fühlen sich die Christen im Irak und in Syrien. Sie gehören zu den ältesten Christen. Nun werden ihre Kirchen zerstört. Viele Gemeinden gibt es nicht mehr. Unvorstellbar ist für uns ihre Bedrängnis und Not. Wie werden sie heute Paulus lesen: „in all dem feiern wir den Sieg dank dem, der uns seine Liebe erwiesen hat.“?

Paulus jubelt über den Sieg – ist das nicht zu voreilig? Wir wissen nicht, ob wir mit dem fertig werden, was auf uns zukommt. Auf vieles haben wir keinen Einfluss, nicht einmal wenn wir alles Wissen und alles Geld der Welt hätten. Wir können Leben verändern, aber nicht schaffen. Wir können den Tod manchmal herauszögern, aber nicht überwinden. Wir haben die Zukunft nicht in der Hand.

An der Schwelle zum neuen Jahr wird uns besonders bewusst, wie stark die Mächte sein können, wie vorläufig unsere Pläne sind. Sollen wir darum die Hände in den Schoß legen und alles Planen aufgeben? Keineswegs! Wir sollen gestalten, vertrauen, hoffen, trotz aller Mächte, obwohl wir so begrenzt sind. Gottes Liebe ist stärker als alle Macht.

Paulus jubelt über den Sieg. Er sieht ihn schon in Jesus Christus. Keine Macht der Welt, nicht einmal der Tod kann uns scheiden von Gottes Liebe. In unserem Glück und in unserem Leid, in Erfolg, in Schuld und Scheitern, an unserem Ende und im Tod: Gott hört nie auf uns zu lieben.

Hilf mir, Herr, die Verworrenheit der Dinge durch die Klarheit des Glaubens zu lichten, und was schwer auf mir lastet durch die Kraft des Vertrauens zu verwandeln. Dass ich von dir geliebt bin, ist Antwort auf jede Frage. Gib, dass mich diese Antwort sicher macht, wenn das Weitergehen schwerfällt.

Amen