Predigt am 16.9.18 von Andreas Hansen über 2.Tim 1,6-10
Paulus schreibt an seinen Freund Timotheus. Paulus ist im Gefängnis. In dieser Zeit werden Christen verfolgt und bedrängt. Sie haben Angst. „Was kommt noch auf uns zu?“ Paulus will seinen Freund ermutigen, stärken.
Er schreibt: Ich erinnere dich an die Gabe, die Gott dir in seiner Gnade geschenkt hat, als ich dir die Hände auflegte. Lass sie zur vollen Entfaltung kommen!
Paulus hat Timotheus die Hände aufgelegt. Er hat ihn gesegnet, wie bei einer Konfirmation oder wie die Erstklässler gestern und vorgestern gesegnet wurden oder wie Brautpaare oder wie Menschen, die ein Amt bekommen.
Ich erinnere dich an die Gabe, die Gott dir in seiner Gnade geschenkt hat, als ich dir die Hände auflegte.
Paulus ist sicher: Gott hat seinen Freund Timotheus mit guten Gaben beschenkt. Er rechnet mit Gottes Kraft in den Menschen, die gesegnet werden. Dass der Glaube in euch Konfis wächst, dass die Erstklässler lernen und glücklich sind, die Paare einander in guten und schweren Zeiten lieben, die Gesegneten ihr Amt erfüllen, dass zur vollen Entfaltung kommt, was Gott an Liebe, Hoffnung und Glaube in uns legt.
Andererseits sehen wir: Nicht alles wird gut. Begabte Menschen geraten auf Abwege. Paare trennen sich. Konfirmierte treten ein paar Jahre später aus der Kirche aus. Amtsträger missbrauchen ihr Amt.
Wir sehen in unserem Land und in vielen Ländern, wie Angst und Hass sich ausbreiten, wie engstirniger Nationalismus geschürt wird und so leicht Gewalt ausbricht.
Angst ist ein schlechter Ratgeber. Und doch lassen wir uns oft von ihr beherrschen.
Paulus schreibt weiter:
Denn Gott hat uns nicht einen Geist der Ängstlichkeit gegeben, sondern den Geist der Kraft, der Liebe und der Besonnenheit. Bekenne dich daher ohne Scheu zu unserem Herrn, und schäme dich auch nicht, zu mir zu stehen, nur weil ich ein Gefangener bin – ich bin es ja um seinetwillen! Sei vielmehr auch du bereit, für das Evangelium zu leiden. Gott wird dir die nötige Kraft geben.
Er ist es ja auch, der uns gerettet und dazu berufen hat, zu seinem heiligen Volk zu gehören. Und das hat er nicht etwa deshalb getan, weil wir es durch entsprechende Leistungen verdient hätten, sondern aufgrund seiner eigenen freien Entscheidung. Schon vor aller Zeit war es sein Plan, uns durch Jesus Christus seine Gnade zu schenken, und das ist jetzt, da Jesus Christus in dieser Welt erschienen ist, Wirklichkeit geworden. Er, unser Retter, hat den Tod entmachtet und hat uns das Leben gebracht, das unvergänglich ist. So sagt es das Evangelium.
Wir erfahren nicht, welche Not Timotheus plagt. Vielleicht darf Paulus nicht zu viel verraten, um ihn nicht in Gefahr zu bringen.
Nebenbei: ein späterer Christ schreibt hier unter den Namen Paulus und Timotheus – das war damals ganz übliche Praxis.
Er gibt ihm eine ganz enorme Zusage: „Gott wird dir die nötige Kraft geben.“
Timotheus hat eine schwere Zeit vor sich. Soviel ist sicher. Er muss mit großen Aufgaben fertig werden. Er ist angegriffen, vielleicht tatsächlich verfolgt.
„Gott wird dir die nötige Kraft geben.“ Das möchten auch wir uns zusagen lassen. Wissen, dass die Kraft reicht, vertrauen, dass Gott zu mir hält und mir Kraft gibt: Zum Beispiel in einem Streit, der mich fertig macht, vor einem riesigen Berg von Arbeit, wenn ich nicht weiter weiß, wenn ich erschöpft bin.
„Gott wird dir die nötige Kraft geben.“ Können Sie sich vorstellen, jemandem das zu sagen? Einem, der in ein Vorstellungsgespräch oder eine Prüfung geht: „Gott wird dir die nötige Kraft geben.“ Jemandem, der deprimiert ist: „Gott wird dir die nötige Kraft geben.“ Einer Sterbenskranken oder ihren Angehörigen: „Gott wird dir die nötige Kraft geben.“
Paulus sagt seinem Freund: „Du bleibst in der Kraft Gottes, auch wenn du leiden musst, auch wenn deine Kraft am Ende ist.“ Unsere Kraft reicht oft nicht aus: Wir fallen durch. Wir geben auf. Wir verzweifeln. Unsere Kraft, unser Leben ist begrenzt. Aber wir bleiben in der Kraft Gottes. Wir sind keine Kraftprotze, ganz gewiss nicht, aber wir sind im Leben und im Sterben von Gott gehalten.
Paulus glaubt an die Lebenskraft von Gott. Er schreibt: wir sind gerettet, berufen, erwählt. Wir sind durch Jesus mit Gnade beschenkt. Jesus Christus hat den Tod entmachtet.
Der Tod scheint uns so übermächtig: Zum Beispiel in Idlib, wo über zwei Millionen bedroht sind, bei den Opfern von Krieg und Katastrophen, aber auch, wenn ein uns naher lieber Mensch stirbt. Vor dem Tod werden wir irgendwann auch selbst stehen. Aber wir hören: Der Tod ist entmachtet. Jesus lebt. Jeden Sonntag feiern wir die Auferstehung. Jeder Sonntag ist ein wenig wie Ostern. Noch erleben und erleiden wir die Macht des Todes. Aber schon jetzt wissen wir: Der Tod ist entmachtet, überwunden. Eine neue Dimension von Leben hat begonnen, Leben in der Kraft Gottes.
Ich sage, eine neue Dimension, weil das unser Verstehen und unsere Erfahrung übersteigt. Ich glaube, dass Jesus auferstanden ist, dass er seinen Jüngern erschienen ist, dass er lebt. Ein neues Leben erschließt sich in Jesus.
Paulus versichert seinem Freund: „Verlass dich darauf: Gott hat dir seinen Geist gegeben, nicht einen Geist der Ängstlichkeit, sondern der Kraft und der Liebe und der Besonnenheit.“
Verlasst euch darauf: Gott ist in uns. Sein Geist wirkt in uns. Mit unseren Händen ist er am Werk. Mit unseren Worten spricht er. Was der Heilige Geist macht, muss nicht perfekt oder irgendwie übernatürlich sein. Es ist so menschlich und begrenzt wie wir sind. Gottes Geist wirkt in uns und durch uns.
Glaubt es nur: Gott gibt uns seinen Geist und Gaben des Geistes, Kraft, Liebe, Besonnenheit!
In der düstersten Zeit deutscher Geschichte schrieb Dietrich Bonhoeffer ein Bekenntnis und sagt darin: „Ich glaube, dass Gott uns in jeder Notlage so viel Widerstandskraft geben will, wie wir brauchen. Aber er gibt sie nicht im Voraus, damit wir uns nicht auf uns selbst, sondern allein auf ihn verlassen. In solchem Glauben müsste alle Angst vor der Zukunft überwunden sein.“
Nicht Ängstlichkeit, sondern Kraft und Liebe und Besonnenheit wirkt Gott in uns und durch uns.
Im Moment wird es in Deutschland und vielen Ländern dunkler und enger, aber wir vertrauen dennoch, dass Gottes Geist wirkt.
Wenn uns etwas überfordert und bedrängt, was vor uns ist, greift die Angst nach uns. Aber wir schaffen es nur durch Gottes Geist der Kraft und der Liebe und der Besonnenheit.
Wenn wir Tod und Verderben in der Welt sehen, möchten wir verzweifeln oder ganz schnell wegschauen, aber durch Gottes Geist ertragen wir, was geschieht und begegnen den Mächten auch. Wir bleiben in der Kraft Gottes.
„Gott wird dir die nötige Kraft geben.“
Der Friede Gottes, der höher ist als unsere Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.