Mt 5,38-48 Die Feinde lieben – wer schafft das?

Predigt am 25.10.15 von Andreas Hansen über Mt 5,38-48

vor 3 Tagen gedachten wir der Verschleppung der badischen Juden nach Gurs am 22.10.1940 - der Gottesdienst beginnt mit einem Anspiel: Wann wird es Tag? - es wird Tag wenn ich meinem Mitmenschen ins Gesicht schaue und meine Schwester, meinen Bruder erkenne

Wann beginnt der Tag? Wann wird es hell? Finster war es vor 75 Jahren, als viele unbeteiligt zusahen, wie ihre Nachbarn abgeholt wurden. Unsere Kirche schaute weg – die meisten. Zu den deportierten Juden gehörte auch die Freiburgerin Lili Reckendorf. Sie war evangelische Religionslehrerin, wurde aber schon 1933 wegen ihrer jüdischen Abstammung entlassen. Sie schrieb an den badischen Kirchenpräsidenten. Er sah keine Möglichkeit ihr zu helfen.

Wann beginnt der Tag? Am Strand lag ein kleiner Junge. Das Bild ging um die Welt. Zahlen von im Mittelmeer ertrunkenen Menschen waren schreck-lich, aber ein einzelnes Kind – da dachten viele auf einmal an ihre Kinder. Wie unfassbar groß ist das Leid des Vaters. Seine beiden Kinder und seine Frau sind umgekommen. Er hat das Bild vom toten Kind am Strand freigegeben.

Wann beginnt der Tag? Wir sehen die vielen in unser Land kommenden Menschen. Eine unüber-schaubare Menge. Die Probleme wachsen. Die Aufgabe wird an vielen Stellen zur Überforderung. Es ist leicht, jetzt Bilder zu finden für das, was wir gerade nicht, oder noch nicht schaffen. Aber wir können auch auf all das schauen, was in diesen Wochen an Gutem gelingt. Es wird Tag, wenn wir einem Menschen ins Gesicht sehen. Wir sehen nicht eine bedrohliche Menge, sondern diesen einen Menschen mit seinem Namen und seiner Geschichte. Und dann wird es ein wenig heller, weil er uns angeht mit seiner Not, ein Mitmensch.

Der für heute vorgegebene Predigttext steht in der Bergpredigt Jesu. Mt 5,38-48 (Zürcher) Jesus sagt: Ihr habt gehört, dass gesagt wurde: Auge um Auge und Zahn um Zahn. Ich aber sage euch: Leistet dem, der Böses tut, keinen Widerstand! Nein! Wenn dich einer auf die rechte Backe schlägt, dann halte ihm auch die andere hin. Und wenn dich einer vor Gericht ziehen will, um dein Gewand zu nehmen, dann lass ihm auch den Mantel. Und wenn dich einer nötigt, eine Meile mitzugehen, dann geh mit ihm zwei. Gib dem, der dich bittet, und wende dich nicht ab von dem, der von dir borgen will! Ihr habt gehört, dass gesagt wurde: Du sollst deinen Nächsten lieben und deinen Feind hassen. Ich aber sage euch: Liebt eure Feinde und betet für die, die euch verfolgen, so werdet ihr Söhne und Töchter eures Vaters im Himmel; denn er lässt seine Sonne aufgehen über Böse und Gute und lässt regnen über Gerechte und Ungerechte. Denn wenn ihr die liebt, die euch lieben, welchen Lohn könnt ihr da erwarten? Tun das nicht auch die Zöllner? Und wenn ihr nur eure Brüder grüßt, was tut ihr da Besonderes? Tun das nicht auch die Heiden? Ihr sollt also vollkommen sein, wie euer himmlischer Vater vollkommen ist.

Atemlos hört Petrus zu. Er kann kaum an sich halten, so sehr regt ihn auf, was Jesus sagt, aber er beherrscht sich und fragt erst später, als sie unter sich sind: „Wer soll das denn schaffen, Jesus? Das ist zu viel verlangt, die Feinde zu lieben. Meinst du das im Ernst? Dieses Römerpack demütigt und piesackt uns. Sie treiben die Leute in Armut und Not. Dann sollen wir sie auch noch lieben? Gestern sah ich, wie ein Soldat einen alten Mann zwang, sein Gepäck zu schleppen. Am liebsten hätt´ ich diesen jungen Schnösel …“ „Warum hast du nicht das Gepäck genommen für den Alten?“ unterbricht ihn Jesus. „Du hättest es zwei Meilen tragen sollen statt der üblichen einen.“ „Was? Zwei? Keinen Schritt mehr, als ich muss. Dann werf ich ihm seinen Rucksack vor die Füße.“ „Falsch, Petrus. Lächel ihn an, wünsch ihm Frieden Schalom und reich ihm freundlich sein Gepäck!“ „Aber …“ „Hast du nicht gesehen, was für arme Kerle diese jungen Soldaten zum Teil sind? Krank vor Heimweh und Angst, geschunden, erschöpft, von allen gehasst. Da gibt´s viele, die sind am Ende.“ „Pah, dann sind eben die Offiziere die Schufte, die Steuereintreiber, dieses ganze Pack.“ „Du meinst solche wie unsern Matthäus?“ Petrus wird rot. Matthäus sitzt neben ihm. Er grinst Petrus an. Er war früher Steuereintreiber für die Römer, Zöllner. Petrus brummelt vor sich hin. „Dem Bösen keinen Widerstand leisten. Wie soll das denn gehen? Ich weiß nicht, ob du diesmal recht hast, Jesus.“

Wer durchbricht die Spirale der Gewalt? Wer findet einen Ausweg? Immer wieder sehen sich Israelis dem Terror ausgesetzt. Bomben fallen. Attentäter greifen Unschuldige an. Nachbarmächte drohen, dass man den Staat der Juden auslöschen sollte. So wehren sie sich. Auf der anderen Seite sind die Palästinenser, unterdrückt, gedemütigt, Unrecht und Gewalt der Israelis ausgesetzt, hoffnungslos. Viele verzweifeln und werden gewalttätig. Auch sie wehren sich. Fanatiker und Provokateure gibt es auf beiden Seiten. Und es gibt Kräfte, die den Konflikt am Kochen halten wollen. Wer durchbricht die Spirale der Gewalt? In dieser schrecklichen Geschichte leben trotz aller Angst und Hetze Israelis und Palästinenser friedlich miteinander. Sie sind Nachbarn oder Kollegen. Sie kennen die Familien und die Sorgen des anderen. Sie gehen freundlich und respektvoll miteinander um. Es gibt trotz allem Menschen, die sich nicht vom Bösen anstecken lassen, die nicht hassen und zurückschlagen. Wenn der Konflikt irgendwann gelöst werden soll, dann nur durch Menschen, die zur Versöhnung bereit sind. Ist das denkbar?

„Auge um Auge, Zahn um Zahn.“ Das Gebot steht in der Schrift. Es klingt für uns brutal. Aber diese Regel sollte Gewalt einschränken und blindwütige Rache verhindern. „Beherrsch deinen Zorn, auch wenn er berechtigt ist! Wenn dir jemand einen Zahn ausschlägt, dann bring ihn nicht gleich um!“ Jesus nimmt die Absicht des Gebots auf und verstärkt sie: „Beherrsch deinen Zorn! Schlag nicht zurück! Lass dich nicht vom Bösen beherrschen, denn so wirst du selbst böse! Dem, der dich mit dem Rücken seiner Hand – das ist besonders entehrend – auf die rechte Wange schlägt, dem sieh ins Gesicht und halt ihm die Linke hin! Der kann dich schlagen, aber er hat nicht die Macht, dich zum Bösen zu provozieren.“ „Liebe deinen Nächsten!“ Auch das steht in der Schrift. Freilich steht nirgends im Alten Testament ein Gebot, dass wir hassen sollen. Ich bin sicher, Jesus kannte seine Bibel und hat nichts falsch zitiert. Jesus nimmt auch hier die Absicht des Gebotes auf und verstärkt sie. „Dein Nächster, das ist der, dem du zum Nächsten wirst, der dich herausfordert, der dich braucht, wie der, der unter die Räuber gefallen ist. Der Nächste kann dir auch fremd sein. Er kann sogar dein Feind sein. Erlaube dir nicht, ihn zu verachten oder gar zu hassen! Der Hass wird dich vergiften. Tu deinem Feind Gutes! Bete sogar für ihn!“

Jesus sagt nicht, dass wir keine Feinde haben. Aber er sagt, dass Gott auch unseren Feinden Gutes tun will. Gott liebt nicht die Bosheit und die Gewalt und den Hass. Aber Gott liebt auch die Menschen, die durch Bosheit, Gewalt und Hass vergiftet sind. Wir sind Gottes Kinder. Aber wir sind nicht frei von Bösem. Dennoch liebt uns Gott und will uns befreien. Jesus sagt: „Ihr sollt vollkommen sein, wie euer himmlischer Vater vollkommen ist!“ Oje, wir und vollkommen, nicht wahr? Jesus legt auch hier die Schrift aus. Im 3. Buch Mose, im gleichen Kapitel, in dem auch das Gebot zur Nächstenliebe steht, heißt es: „Ihr sollt heilig sein, denn ich, euer Gott, bin heilig.“ (3.Mose 19,2+16) So viel erwartet Gott. So viel traut Gott uns zu, obwohl wir ihm oft widersprechen. So sehr liebt Gott uns Menschen und will Gutes für uns.

Gott will Gutes, auch für Menschen, die in Feindschaft, Hass und Gewalt gefangen sind, für Israelis und Palästinenser, für Türken und Kurden, für Assad und Putin, für Iraner und Saudis und sogar für die fanatischen Kämpfer des IS. Wir sehen oft nur eine Masse von Menschen, die Flüchtlinge, die Pegida-Anhänger. Gott sieht uns, jede und jeden mit seinem Namen und seiner Geschichte. Er sieht uns. Darum wird es hell.

Jesus stört die Logik des Bösen. Er durchbricht die Spirale der Gewalt. Er lässt sich schlagen, verspotten, verurteilen und umbringen. Er bittet um Vergebung für seine Mörder. So liebt er seine Feinde. So sehr liebt Gott die Welt trotz allem und will sie befreien von Feindschaft und Hass, Gewalt und Unrecht. So sehr liebt Gott uns.

Gottes Friede, der höher ist als unser Verstehen, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen

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