Mk 2,1-12 überwinden, was uns lähmt – Vertrauen

Predigt am 18.10.15 von Andreas Hansen über Mk2,1-12

Gottesdienst in der katholischen Kirche Hecklingen

Mk 2,1-12: Einige Tage später kehrte Jesus nach Kapernaum zurück. Es sprach sich schnell herum, dass er wieder zu Hause war. Da versammelten sich so viele Menschen bei ihm, dass kein Platz mehr war, nicht einmal vor dem Haus. Während er ihnen das Wort Gottes verkündete, wurde ein Gelähmter gebracht; vier Männer trugen ihn. Sie wollten mit ihm zu Jesus, doch es herrschte ein solches Gedränge, dass sie nicht zu ihm durchkamen. Da deckten sie das Dach über der Stelle ab, wo Jesus sich befand, und machten eine Öffnung, durch die sie den Gelähmten auf seiner Matte hinunterließen. Als Jesus ihren Glauben sah, sagte er zu dem Gelähm-ten: »Mein Sohn, deine Sünden sind dir vergeben!« Einige Schriftgelehrte, die dort saßen, lehnten sich innerlich dagegen auf. »Wie kann dieser Mensch es wagen, so etwas zu sagen?«, dachten sie. »Das ist ja Gotteslästerung! Niemand kann Sünden vergeben außer Gott.« Jesus hatte in seinem Geist sofort erkannt, was in ihnen vorging. »Warum gebt ihr solchen Gedanken Raum in euren Herzen?«, fragte er sie. »Was ist leichter – zu dem Gelähmten zu sagen: ›Deine Sünden sind dir vergeben‹ oder: ›Steh auf, nimm deine Matte und geh umher!‹? Doch ihr sollt wissen, dass der Menschensohn die Vollmacht hat, hier auf der Erde Sünden zu vergeben.« Und er wandte sich zu dem Gelähmten und sagte: »Ich befehle dir: Steh auf, nimm deine Matte und geh nach Hause!« Da stand der Mann auf, nahm seine Matte und ging vor den Augen der ganzen Menge hinaus. Alle waren außer sich vor Staunen; sie priesen Gott und sagten: »So etwas haben wir noch nie erlebt.«

“Ein Freund, ein guter Freund, das ist das Beste, was es gibt auf der Welt.” Freunde wie diese vier kann man sich nur wünschen. Freunde, die mich tragen und ertragen, wenn ich selbst nicht kann, gelähmt durch Krankheit oder Traurigkeit oder Angst. Freunde, die mich zu Jesus schleppen, die bei Jesus für mich um Hilfe bitten, die sogar für mich glauben und nicht aufgeben, wo ich alles hinwerfen will und resigniert habe. Freunde, die Fantasie und Mut aufbringen, ein Dach aufzureißen, nur damit Jesus mich sieht. Solche Freunde wünsche ich mir – und frage mich zugleich, ob ich für andere ein so guter Freund sein kann.

Was geschah im Haus, als das Dach geöffnet wurde, als sie den Lehm wegspitzten und Staub und Dreck nach unten fiel? Erstaunen, Erschrecken, Ärger, vielleicht hat jemand die Verrückten da oben beschimpft: „Hört sofort auf!“ „Hilfe, mein Haus!“ Jesus sieht zuerst die vier Freunde, die Strohmatten abheben und Balken wegzerren. Als er erkennt, warum sie in das Haus einbrechen, freut er sich: Jesus sieht ihren Glauben. Er lacht. „Was für verrückte Kerle! Was für Freunde! Was für ein Glauben!“ Die Leute im Haus vergessen ihren Ärger und warten gespannt, was nun geschieht. Ich sehe die Geschichte vor mir wie einen Film: Die Kamera zeigt die Menschenmenge in und vor dem Haus, die Freunde, die zu viert einen tragen, auf seiner Matte der verbittert dreinschauende Gelähmte. Sie bleiben stehen, drängen sich dann bis in den Hof, steigen auf das Dach, reißen es auf – Holz splittert, der Lehm spritzt nur so. Langsam sinkt die Matte mit ihrem Freund durch die Decke hinab. Jesus in Großaufnahme: Er schaut den Gelähmten an und sagt: „Mein Sohn, deine Sünden sind dir vergeben!“

Was ist das? Warum spricht Jesus auf einmal von Sünde? Ist der Gelähmte gelähmt, weil er sündig ist? Muss er für eine Schuld büßen, eigene Schuld oder die seiner Väter? So denken und reden wir manchmal: „Womit hab ich das verdient? Warum trifft mich Krankheit oder Leid? Warum geschieht das ausgerechnet mir?“ Manche Menschen haben für ihr Leid auch noch ein schlechtes Gewissen – „ich muss etwas falsch gemacht haben“. Natürlich hat jede Krankheit und jedes Unglück eine Ursache, aber die Frage nach Schuld führt in eine Sackgasse. An anderer Stelle weist Jesus den Zusammenhang von Krankheit und Schuld ausdrücklich zurück.

„Mein Sohn, deine Sünden sind dir vergeben!“ Jesus sagt das nicht, um die Schriftgelehrten zu ärgern oder es ihnen mal so richtig zu zeigen, was er für eine Vollmacht hat. Er spricht den gelähmten Menschen an und er meint ihn auch. Liebevoll, vertraulich nennt er ihn „mein Sohn, mein Kind“. Jesus sieht die Menschen genau an. Er sieht, was den Kranken bewegt, seine Verletzung und Scham, seinen Schmerz, seine Enttäuschung, Bitterkeit, Verzweiflung, Wut und was ihn sonst bewegt. Jesus erkennt ihn: „Mein Kind, krankes, geplagtes, geliebtes Kind“. Jesus sieht auch das verletzte Vertrauen, die Unfähigkeit zu glauben, die Auflehnung gegen Gott, die bösen Gedanken, die dieser Menschen hegt. Sünde ist alles, was uns trennt von Gott: Enttäuschung, gestörte Beziehung, Verletzungen, Bosheit. Jesus spricht ihm Vergebung zu: Du bist und bleibst Gottes geliebtes Kind. Gott sagt Ja zu dir. Gott heißt gewiss nicht einfach alles gut, was du tust und denkst. Aber er unterscheidet dich von deinem Tun. Du, du selbst bist Gottes geliebtes Kind, selbst wenn vieles, was du tust und denkst, anderen Menschen weh tut und zwischen dir und Gott steht. Jesus spricht nicht von Sünde, um den Gelähmten auch noch schlecht zu machen. Im Gegenteil: Er macht ihn stark. Er richtet ihn auf. „Du darfst sein. Du bist Gottes Kind. Was dich von Gott getrennt hat, ist vergeben.“ Jesus heilt zuerst seine Beziehung zu Gott. Er weckt sein Vertrauen wieder. Das ist etwas ganz Großes, wenn Sie sich vorstellen wie manche Menschen von Misstrauen und Angst regelrecht zerfressen sind, wie tief oft die Lähmung in uns greift.

„Was redet der so? Er lästert! Wer kann Sünden vergeben außer Gott?“ Jesus bringt das Weltbild der Gelehrten durcheinander. Er nimmt Gottes Vollmacht zu vergeben in Anspruch. Ja: „dir sind die Sünden vergeben“ – in seinen Worten spricht Gott selbst. Es gilt! Der Gelähmte kann sich darauf verlassen. Das ist nicht die mehr oder weniger interessante Meinung eines Menschen. In Jesus spricht Gott ihn an. Die Gelehrten sind so empört, weil sie Jesus nicht vertrauen.

Jesus hat seiner Kirche, uns, die Vollmacht weitergegeben. Wir dürfen Vergebung zusagen im Namen Gottes. Und wir dürfen uns sollen in jedem Gottesdienst, hören: Gott meint mich. In allem, was im Namen Gottes geschieht, kann Gott mich heute und hier ansprechen, mir Vergebung und Leben zusagen, mich heilen von dem, was mich lähmt.

Der rote Faden in der ganzen Geschichte ist das Vertrauen zu Jesus. Der Gelähmte wird zuerst innerlich aufgerichtet. Er hört: Ich bin Gottes geliebtes Kind. Sein Misstrauen, seine Angst wird geheilt. Er kann sich auf Jesus einlassen, kann ihm glauben. Als Jesus schließlich sagt: „Steh auf!“, folgt er, ohne zu zögern. Was für eine gewaltige Wandlung in diesem Menschen! Was für ein Vertrauen! Die misstrauischen Gelehrten werden eines Besseren belehrt. Sie trauen dem Wort nichts zu. Aber sie dürfen erleben, wie Gott selbst durch Jesus spricht und handelt.

Wie schön, dass es solche Freunde gibt, Menschen, die sich nicht anstecken lassen von der Lähmung, Menschen, die andere zu Jesus schleppen! Sie sagen nicht: „Ach da kann man nichts machen.“ Wie gut, dass andere Menschen für uns einstehen, ja, sogar für uns glauben, und dass wir umgekehrt für andere glauben und vertrauen und beten dürfen. Das ist unsere Aufgabe als Christen, unser Freundesdienst.

In der aktuellen Herausforderung durch die vielen Flüchtlingen erleben wir beides: großes Vertrauen und lähmende Angst. Wir lassen uns leicht von der Angst mitreißen – es ist schwer Vertrauen zu stiften. Aber wir sind Kinder Gottes und wir feiern die Freiheit der Kinder Gottes.

Oder wenn wir in einem Streit stehen: Wie leicht fühlen wir uns angegriffen. Wie schnell sind wir selbst aggressiv und verletzend. Der Kampf um unser gutes Recht kann uns beherrschen und eng machen, lähmen. Hoffentlich finden wir dann wieder zu Gelassenheit und Vertrauen. Hoffentlich lassen wir uns von Jesus aufrichten und auf den Weg bringen.

Wir sind Kirche Jesu Christi, Kinder Gottes. Wir lassen uns sein Wort der Vergebung sagen. Wir sagen es selbst weiter. Alles, was uns lähmt, kann Jesus überwinden. Der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen

– ———————————–