Matthäus 15,21-28 Der Glaube der Fremden

Predigt am 27.9.15 von Andreas Hansen über Mt 15,21-28

Abendgottesdienst mit Taizéliedern

Mt 15,21-28

Jesus machte sich wieder auf den Weg und zog sich in das Gebiet von Tyrus und Sidon zurück. Da kam eine kanaanäische Frau aus jener Gegend und rief: »Herr, du Sohn Davids, hab Erbarmen mit mir! Meine Tochter wird von einem Dämon furchtbar gequält.« Aber Jesus gab ihr keine Antwort. Schließlich drängten ihn seine Jünger: »Erfüll ihr doch die Bitte, sie hört ja nicht auf, hinter uns her zu schreien!« Er aber entgegnete: »Ich bin nur zu den verlorenen Schafen des Volkes Israel gesandt.« Da kam die Frau näher, warf sich vor Jesus nieder und bat: »Herr, hilf mir!« Jesus wehrte ab: »Es ist nicht recht, den Kindern das Brot wegzunehmen und es den Hunden vorzuwerfen.« »Das stimmt, Herr«, erwiderte sie, »aber immerhin fressen die Hunde die Brotkrumen, die vom Tisch ihrer Herren herunterfallen.« Da sagte Jesus zu ihr: »Frau, dein Glaube ist groß! Was du willst, soll geschehen.« Von diesem Augenblick an war ihre Tochter gesund.

Das kann doch nicht wahr sein! Jesus, was ist los mit dir? So unfreundlich, so engstirnig, so verletzend – das bist doch nicht du, oder doch? Mir wird schlecht, wenn ich das lese.

Eine Frau bittet dich um Hilfe für ihr krankes Kind und du antwortest nicht mal. Epileptische Anfälle schütteln das Kind. Hilflos sieht die Mutter zu. Sie schildert ihr Leid, ihre Verzweiflung. Sie nennt dich Kyrios, Herr, und Sohn Davids, der versprochene Retter. Sie fleht um dein Erbarmen. Du schweigst einfach. Als deine Jünger das Jammern nicht mehr aushalten, „jetzt stell sie doch endlich zufrieden, damit wir sie los sind!“, antwortest du ihnen, nicht der Frau, so als wäre sie Luft. „Nur für Israel bin ich gesandt.“ Hast du das im Ernst gemeint? Waren dir alle anderen egal? Ich fass es nicht! Es kommt noch schlimmer. Sie kniet vor dir, versperrt dir den Weg und bettelt für ihr Kind: „Herr, hilf mir!“ Da endlich, endlich sprichst du zu ihr, aber was du sagst, verschlägt mir den Atem: »Es ist nicht recht, den Kindern das Brot weg-zunehmen und es den Hunden vorzuwerfen.« Eine wüste Beleidigung. Natürlich: die reichen Händler in Tyrus haben von der Not in Galiläa profitiert und haben den Menschen in Israel das Brot weggenommen. Aber was hat das mit der Not dieser Mutter zu tun? Das kann doch nicht wahr sein, Jesus!

Kaum zu ertragen ist es für die Mutter, wenn ihre Tochter die Anfälle hat. „Mein Kind, warum musst du so leiden? Wie kann ich dir nur helfen? Wenn ich nicht da bin, fällst du und verletzt dich. Ich habe Angst um dich. Wie besessen zuckst und bebst du, verdrehst die Augen, Schaum vor dem Mund. Was ist das nur? Hinterher bist du fast ohnmächtig, nicht ansprechbar über Stunden. Was hast du, mein Liebes? Was ist das für ein Dämon, der dich so plagt?“ So vieles hat die Frau schon vergeblich versucht. Niemand hat ihr geholfen. Die Leute meiden sie und ihr Kind. Sie haben Angst vor den Anfällen. Sie fragen: „Was hast du getan, dass Gott dich so schwer bestraft?“ Sie hört von Jesus aus Nazareth. Er hat schon viele Menschen geheilt. Sie redet oft mit den Leuten aus Galiläa. Jesus kommt von Gott. Er muss der Retter sein, auf den die Juden warten. Sie nennen ihn Sohn Davids. Und jetzt ist er hier. Das ist ihre letzte Chance. Er muss ihr helfen. „Herr, du Sohn Davids, hab Erbarmen mit mir! Versteh doch, Jesus, ich bin eine Fremde für dich, aber Gott ist doch für alle da. Hör mir zu! Mein Kind braucht Hilfe. Geh nicht weiter! Herr, hilf mir! Du kommst von Gott, sagen sie. Wenn es wahr ist, dann bist du auch für mich da. Es muss wahr sein! Auch die Hunde leben. Selbst wenn für sie nur ein paar Krümel vom Tisch der Herren fallen.“

Jesus ist nicht immer lieb und sanft und freundlich. Wir hätten ihn gern so und erschrecken, wie fremd und hart er sein kann, ein Mensch mit den Vorstellungen seiner Zeit. Gott ist nicht immer der liebe Gott. Wir hätten ihn gern so. Wir lassen Gott gerne einen guten Mann sein. Das ist bequem. Aber es stimmt nicht. Gott ist größer als alle unsere Bilder von ihm. Gott kann rätselhaft sein und bedrängend. Es ist schrecklich, wenn Gott einfach schweigt. Wir kennen die Frage: „Warum, Gott?“, die Anfechtung unseres Glaubens. Unrecht und Leid geschehen, und Gott schweigt. Krieg und fanatische Gewalt, und Gott schweigt. Ein lieber Mensch wird krank, und Gott schweigt. Entsetzlich. Darum klagt und drängt der Beter oder die Beterin in Psalm 13: „HERR, wie lange willst du mich so ganz vergessen? Wie lange verbirgst du dein Antlitz vor mir? Wie lange soll ich sorgen in meiner Seele und mich ängsten in meinem Herzen täglich? Wie lange soll sich mein Feind über mich erheben?“ Gott schweigt, aber das kann doch nicht wahr sein! Beharrlich und klug ist die Frau. Sie lässt sich nicht abwimmeln. Sie setzt Jesus zu. Es kann nicht sein, dass dieser Gottesmann einfach an ihr vorbei geht. „So bist du doch nicht, Jesus. So ist Gott doch nicht!“

Martin Luther sagt: „unser Herz ist angefochten, es meint, es sei nur nacktes Nein da, wie Christus sich hier stellt, darum muss sich das Herz von solchem Fühlen kehren. Und das tiefe, geheime Ja hinter dem Nein mit festem Glauben fassen und halten, wie es dies Weiblein tut. So haben wir gewonnen und fangen Gott in seinen eigenen Worten.“ Das „tiefe, geheime Ja hinter dem Nein“? Wir kommen nicht automatisch dorthin. Wir haben den „festen Glauben“ nicht auf Knopfdruck. Gott kann uns verborgen bleiben. Und doch beten und drängen wir: „Du bist doch barmherzig, Gott. Zeig uns doch deine Güte!“

Hier geschieht es. Jesus kehrt um. Er ändert seine Haltung. Er bleibt nicht unnahbar. Er wendet sich zu ihr. Er gibt ihr nach. „Frau, dein Glaube ist groß.“ Von ihrem großen Glauben lässt Jesus sich belehren. Der Glaube der Frau aus Kanaan zeigt die große Vision, auf die so viele hoffen. Die Frau hat schon viele Grenzen überschritten: Sie, die Frau, hat von sich aus einen Mann angesprochen – das ist ein Skandal. Sie, die Fremde, bittet einen Juden – das ist unmöglich. Sie, die Heidin, setzt alles auf den Glauben an den einen Gott – das ist wunderbar. Jesus folgt ihr. Er hat Grenzen gesehen und betont. Das geht nicht mehr. Der Glaube überwindet Grenzen.

Matthäus stellt die anstößige Geschichte vom starken Glauben der Heidin mitten hinein in sein Evangelium. Jesus muss lernen. Das Brot reicht für alle. Alle kommen zu Gott. Kurz vorher hat Jesus Tausenden Brot ausgeteilt. Es blieben 12 Körbe von den Brocken – ein Hinweis auf die 12 Stämme Israels. Später wird Jesus noch einmal Brot an eine große Menschen-menge austeilen. Sieben Körbe mit Brocken wird man sammeln – sieben: die Zahl für alles, für das alle umfassende Wirken Gottes. Am Ende des Matthäusevangeliums wird Jesus seine Jünger in alle Welt schicken. Alle Menschen sollen glauben und zu Gott kommen. Der Glaube überwindet Grenzen. Paulus schreibt: „Hier gibt es keinen Unterschied mehr zwischen Juden und Griechen, zwischen Sklaven und freien Menschen, zwischen Mann und Frau. Denn durch eure Verbindung mit Jesus Christus seid ihr alle zusammen ein neuer Mensch geworden.“

„Unser Glaube ist der Sieg, der die Welt überwunden hat.“ (1.Joh 5,4) So wirksam soll unser Glaube sein. In einer Welt mit vielen Grenzen sind wir gerufen Grenzen zu überwinden, neue Wege zu gehen, zu vertrauen. Alles Neue und Fremde verunsichert, macht Angst: Menschen, die uns herausfordern, die uns lästig sind, die das Gewohnte verändern.

Ich will von der kanaanäischen Frau lernen, beharrlich zu beten, nicht aufzuhören zu hoffen, Grenzen zu überwinden. Jesus lehrt uns, vollmundig und unverschämt und zuversichtlich zu beten: „Dein Reich, Gott, komme!“ Gott wird unserem schwachen Glauben aufhelfen. Jesus wird, auch im Unverhofften, bei uns sein.

Amen

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