Mt 6,25-34

Predigt am 13.9.15 von Andreas Hansen über Mt6,25-34

Matthäus 6,25-34

Zwei Krähen umkreisen einen Milan. Sie stoßen auf ihn zu, aber der Greifvogel weicht aus. Er fliegt steil nach oben. Er lässt sich fallen und fliegt eine enge Kurve. Die beiden Krähen haben keine Chance gegen ihn. Der Milan ist größer und vor allem ist er ein wahrer Flugkünstler. Aber sie lassen nicht locker. Es sieht aus wie ein Spiel, faszinierend. Vielleicht ist es ein Spiel, vielleicht auch bitterer Ernst, dass der Milan seine Angreifer auf diese Weise von seinem Nest vertreibt. Ich weiß es nicht, aber ich schaue begeistert zu, wie wunderschön sie fliegen. Gott sorgt für die Vögel. Gott gibt jedem Geschöpf seinen Platz. Gott schenkt den Blumen ihre Pracht. Diese Fülle, diese Vielfalt! Das wunderbare Zusammenspiel aller Arten! Alles ist aufeinander abgestimmt. Alles passt an seinen Ort. Jedes Tier, jedes Leben hat seinen Platz, an dem es das Nötige findet. Ich komme aus dem Staunen nicht heraus. Wie schön! „Seht nur! Gott sorgt für jedes Geschöpf, für jeden Vogel, jede Blume, jedes Gras. Wird Gott nicht noch viel mehr für euch sorgen?“

Sorgt euch nicht? Das ist leicht gesagt, aber schwer zu beherzigen. Die Sorgen kleben an uns fest. Was uns Sorgen bereitet, verfolgt uns bis in den Schlaf und ist am Morgen schon wieder der erste Gedanke. „Wie geht es den alten Eltern? Wie finden die Kinder ihren Platz?“ Um diese Fragen geht es oft in meinem Freundeskreis. Die Sorgen kreisen um den Vater, der ins Pflegeheim muss, oder das Kind, das nicht weiß, was es studieren oder lernen soll. „Sorge dich nicht? – ach, du verstehst mich nicht, du nimmst mich nicht ernst!“ Manchem kommt es so vor, als lebten wir in unterschiedlichen Welten. Gesunde verstehen die Kranken nicht. Alleinstehende haben ganz andere Sorgen als Familien. Angestellte haben oft keine Ahnung, was es bedeutet, einen Betrieb zu leiten. Sorgt euch nicht? Was für ein herzloser Rat. Ich muss nur die Zeitung aufschlagen oder Radio hören, schon ist die Sorge wieder da, die uns in diesen Tagen umtreibt. Wer sollte sich nicht sorgen, wenn so viele Menschen schreckliche Not leiden und vor Krieg und Verfolgung flüchten? Wie werden wir in Europa, wir in Deutschland mit der Herausforderung der vielen Flüchtlinge fertig? Wie gehen wir menschlich und gerecht mit ihnen um? Und wie gehen wir mit der Angst vor den Fremden um und mit den Problemen, die nun zu bewältigen sind? „Wir schaffen das.“ Ja, aber wie? „Sorgt euch nicht!“ – wie mögen Menschen mit großen Sorgen die Worte Jesu hören? So kann man doch nicht reden, wenn jemand um seinen Arbeitsplatz bangt, wenn ein gelieb-ter Mensch bedrängt ist von Depression oder wenn das eigene Kind mit seinem Leben nicht zurecht kommt. Auch die Leute zur Zeit Jesu hatten große Sorgen. Die Menschen waren weit weniger versorgt und versichert. Wer krank oder behindert war, konnte nur um Unterstützung betteln. Der politische Druck unter der Besatzungsmacht Rom war enorm. Viele gerieten in Schuldknechtschaft. Andere schlossen sich Untergrundkämpfern an. Was für Sorgen überall!

Jesus kennt die Sorgen. Er geht nicht gleichgültig an den Nöten seiner Mitmenschen vorbei. Er weiß, was die Menschen drückt und plagt. Jesus heilt und hilft. Dennoch, in allen berechtigten und belastenden Sorgen sagt er: „Sorgt euch nicht!“ Das ist eine Provokation. Jesus fordert uns heraus. „Ihr Kleingläubigen!“ ruft er, und will unseren verzagten Glauben stärken.

„Wir haben nichts zu fürchten als unsere Furcht.“ sagte Franklin Roosevelt. Da ist was dran. Wenn mich zum Beispiel die Angst vor Höhe packt, bin ich nur noch Angst und keinem vernünftigen Gedanken zugänglich. Ebenso kann sich die Sorge aufblähen und uns beherrschen. Dann sehen wir nicht mehr ein Problem, mit dem man umgehen muss, sondern eine Katastrophe und Untergang. „Ist nicht das Leben mehr als die Nahrung und der Leib mehr als die Kleidung?“ Das Leben selbst ist uns geschenkt. Unser Leib ist uns gegeben. Gott hat für uns gesorgt und wird für uns sorgen. „Sorgt euch nicht!“ Jesus provoziert uns, denn wir sollen vertrauen lernen. Wir können nicht fliegen wie Vögel. Wir sind nicht schön wie Blumen. Auf eine andere Weise sind wir Menschen schön. Auf unsere Weise dürfen wir spielen. Unser Leben ist Gottes wunderbares Geschenk. Gott will, dass wir leben. Darum ist das Sabbatgebot so heilig: Gott gibt uns den Sabbat oder den Sonntag, damit wir das Leben feiern. Selbst die Sklaven und die Ärmsten werden in den Geboten für den Sabbat bedacht. Sie sollen ausruhen und feiern, über die Sorgen hinwegsehen, einen weiten Blick gewinnen. Gott schenkt das Leben.

„Wer ist unter euch, der seines Lebens Länge eine Spanne zusetzen könnte, wie sehr er sich auch darum sorgt?“ Uns sind Grenzen gesetzt. Wir sind vergänglich. Unsere Möglichkeiten, unsere Verantwortung, unsere Zeit ist begrenzt. Jeden Abend können wir feststellen, was unerledigt bleibt, welche Arbeit wir nicht geschafft, welche Probleme wir nicht gelöst haben. Wir müssen uns mit dem Erreichten zufrieden geben. Irgendwann müssen wir loslassen, wofür wir Sorge getragen haben, Verantwortung an andere weitergeben. Wie gehen wir mit unseren Grenzen um? Wie machen wir Feierabend? Wie ertragen wir irgendwann das Abnehmen unserer Kräfte? Wir können uns nicht ein Mehr an Leben verdienen. Wir können nicht mehr aus unserem Leben herausholen. Aber wir hoffen: Gott, der das Leben geschenkt hat, hält uns auch an unseren Grenzen. Wir bleiben in seiner Liebe. Gott nimmt uns die letzte und tiefste Sorge ab: An unserem Ende steht nicht Sinnlosigkeit, Chaos oder ein dunkles Nichts. Am Ende, am Ziel des Lebens ist Gott selbst, der uns das Leben schenkte und der uns in all unserer Begrenztheit liebt und uns niemals loslässt.

„Trachtet zuerst nach dem Reich Gottes und seiner Gerechtigkeit, so wird euch das alles zufallen.“ Jesus fragt nach unseren Maßstäben. Was ist uns am wichtigsten? Woran hängt unser Herz? Worum sorgen wir uns? „Reich Gottes“ heißt: Gott regiert. Gott setzt die Maßstäbe. Das Reich Gottes ist der Tisch, an dem alle feiern und jeder genug hat, der Ort des Friedens, wo der Mensch dem Mensch nicht mehr feind ist, der Tag, an dem alle Gott erkennen und ihn preisen. Das Ziel der Schöpfung Gottes. Ist es nur ein Traum, Illusion? Jesus sieht das Reich Gottes ganz nah, greifbar nahe, mitten unter uns, schon jetzt. Darum provoziert er uns:

„Sorgt euch nicht! Vertraut auf Gott, der euch das Leben geschenkt hat! Macht euch frei von falschen Sorgen! Setzt euch ein für Gottes Gerechtigkeit!“ Da haben wir noch viel vor uns.

Der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen

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