Karfreitag, Predigt über Lk 23,33-49

Predigt am 14.4.17 von Andreas Hansen über Lk 23,33-49

Jahr für Jahr lese ich am Karfreitag aus einem der Evangelien vor, wie Jesus stirbt. Es fällt mir nicht leicht, das vorzulesen. Was da geschieht, geht mir nah. Die Evangelisten schreiben nicht als betroffe-ne Augenzeugen. Sie deuten und bekennen ihren Glauben. Und doch ist es schwer zu ertragen.
Ich stelle mir vor, wie die Frauen von fern zusehen und geschüttelt sind vor Entsetzen. Wie muss es sein, den liebsten Freund so leiden und sterben zu sehen? So hilflos ausgeliefert, so gequält und verspottet?
Wir kennen in Ansätzen ähnliche Situationen: Ein geliebter Mensch ist krank und leidet, und wir können fast nichts tun. Oder „unsere Flüchtlinge“ hören verzweifelt, dass ihre Freunde und Verwandte in der Heimat verletzt oder gefoltert werden.

Wir sehen auf das Kreuz Jesu. Der Karfreitag zwingt uns hinzusehen. Wir denken an die zahllosen Opfer von Unrecht und Gewalt, von Giftgas erstickt, von Terroristen ermordet, traumatisiert, auf der Flucht, ein verhungertes Kind auf dem Schoß.
Wie die meisten Opfer von Gewalt wird Jesus nicht nur körperlich sondern auch psychisch gequält. Alle können seinem Sterben zusehen. Nackt und hilflos hängt er am Kreuz und kämpft mit Schmerzen und Todesangst. Die Römer wollen die zum Kreuzestod Verurteilten beschämen, entwürdigen, vernichten – entlaufene Sklaven, gewalttätige Gegner, für sie der Abschaum der Menschheit. Pilatus ist ein grausamer Statthalter Roms. Er verspottet Jesus, er verspottet auch die Juden mit der Inschrift „Dies ist der Juden König“.
Und dieser verachtete Mensch ist der Christus?

Leid kann so groß sein, dass wir keine Worte dafür finden. Glückliche können die Trauernden nicht wirklich verstehen, Gesunde die Schmerzen der Kranken nicht empfinden. Wir weichen dem Leid oft aus. Wir wollen es nicht sehen. Wir lassen es nicht an uns heran.
Jesus weicht nicht aus. Immer wieder verspotten sie Jesus: „Hilf dir doch selbst!“ Er will sich nicht helfen. Er gebraucht nicht die Macht, mit der er anderen geholfen hat. Er wehrt sich nicht gegen das Unrecht, das ihm geschieht.
Hier verzichtet Gott selbst auf seine Macht. Gott erträgt den Schmerz.
Wenn ich nach dem Sinn dieses Geschehens frage, fällt mir das als erstes ein: Gott will bei den Opfern sein. Er ist nicht unberührt und überlegen. Gott leidet. Er leidet mit allen und für alle, denen Unrecht angetan wird und die Schmerzen haben, mit allen, die sterben. Bis in die tiefste Tiefe geht er. In keinem Leid lässt Gott uns los. Niemals verlieren wir seine Liebe.
Wir bleiben seine geliebten Kinder.

Was sind das für Menschen, die Soldaten? Sie foltern und töten und verspotten ihre Opfer, als wäre es nichts. Vielleicht sind sie so geworden. Sie halten es anders nicht aus. Und sie haben Angst: Wer nicht mitmacht, ist selber dran. Jesus bittet für sie: „Vater, vergib ihnen!“ Die Macht des Bösen ist begrenzt. Jesus sieht auch in seinen Henkern Menschen die Gott liebt und für die er Gutes will.
Der eine Übeltäter verspottet Jesus, der andere bittet ihn: „Denk an mich, Jesus, wenn du in dein Reich kommst!“ Jesus schaut ihn an und sagt: „Heute wirst du mit mir im Paradies sein.“
Da ist nach menschlichem Ermessen nichts mehr zu erwarten. Und Jesus spricht Hoffnung zu. Dieser Mensch ist gescheitert. Er sagt von sich selbst, er wird zu Recht bestraft. Und Jesus verspricht einen Weg zu Gott. Die Tür ist offen. Der Weg ist frei. Jesus ist Weg zu Gott, Wahrheit der Liebe Gottes, das Leben.
Aber was ist mit der Schuld? Der hat doch keine Vergebung verdient! Wer weiß, was er getan hat, vielleicht gemordet oder andere schlimme Verbrechen. Was ist mit all der Schuld, mit dem Bösen, mit den Kriegsverbrechen Assads und dem Terror der IS-Leute, mit den vielen großen und kleinen Verletzungen, die wir einander zufügen, und sei es dadurch, dass wir einfach nur zuschauen und nicht helfen? Ist alles einfach vergeben und vergessen?
Die Opfer von Gewalt tragen schwer an dem, was sie erleben mussten. Manche sind so tief verletzt, dass sie den Schrecken tief in sich vergraben. Scham und Angst halten sie fest. Sie können nicht vergessen.
Jesus bittet für die Täter um Vergebung, er spricht selbst Vergebung zu – „du wirst im Paradies sein“ – aber vergessen ist nichts.
Wir bekennen: Jesus wird kommen zu richten.
Ich glaube, Jesus wird uns unsere Schuld und das Böse, das wir zu verantworten haben, zeigen. Und ich glaube und hoffe, seine Vergebung wird größer sein, als wir alle verdient haben.
Ich glaube, Jesus wird das Böse vernichten. Er wird heilen, was Menschen angetan wurde. Jesus wird kommen zu richten.
Er wird uns zurechtbringen.
Am Kreuz aber setzt Gott sich selbst dem Bösen und der Schuld aus. Gott antwortet in Jesus am Kreuz auf die Schuld der Welt, auf das Böse. Jesus sagt: „Ich bin gekommen, um die Verlorenen zu suchen und zu retten.“ Auch die schuldig gewordenen Menschen lässt Gott nicht los.
Gottes Liebe gilt auch dem, der ihm widerspricht.

Mit dem Tod Jesu beginnt eine neue Zeit. Lukas beschreibt sein Sterben als einen Wendepunkt. Die Sonne verfinstert sich. Der Vorhang zum Allerheiligsten im Tempel reißt entzwei. Das Heiligste ist nicht mehr verhüllt. Alle Menschen können Jesus erkennen. Der heidnische Hauptmann bekennt Jesus als Gerechten. Das Volk, das zuvor gespottet hat, kehrt um. Niemand bleibt unberührt. Jesus stirbt im Vertrauen auf Gott. „Vater, ich befehle meinen Geist in deine Hände.“
Er gibt sich selbst in Gottes Hand und fällt nicht in ein Nichts. Er ist auch in der Tiefe des Todes gehalten von Gott.
Von Ostern her zeigt uns der Evangelist den Tod Jesu am Kreuz.
Jesus gibt sich in Gottes Hand und erscheint wieder von Gott auferweckt. Der Weg durch Leid und Tod führt ins Leben.
Die Liebe Gottes hält ihn und lässt ihn nicht los.

Wir sehen auf Jesus am Kreuz. Zentral hängt das Bild des Gekreuzigten hier in unserer Kirche. Ohne Karfreitag und Ostern wären wir nicht Christen. Und doch nehmen wir das Kreuz oft nicht wahr, sehen darüber hinweg, verdrängen es.
Das Kreuz steht für Leid und Schuld und Tod und für den Sieg über Leid und Böses, für Vergebung und Leben.
So viel Leid und Böses ist in der Welt, so mächtig ist der Tod – sollen wir das auch noch verherrlichen? Keineswegs! Aber wir nehmen es ernst.
Gott ist auf der Seite der Opfer. Gerade so widerspricht Gott dem Leid und dem Bösen und dem Tod.
Die Liebe Gottes lässt uns nicht los. Amen