Jesus entdeckt Schätze, Predigt über Mk 12,41-44

Predigt am 19.3.17 von Andreas Hansen über Mk12,41-44

Jesus sieht uns an. Gott sieht uns an.
Jesus hat einen Blick für Menschen. Er sieht, was in ihnen vorgeht. Er weiß, dass seine Jünger ihn verlassen werden, um ihre eigenen Haut zu retten. Jesus durchschaut Menschen, aber er verachtet sie nicht. Er blickt liebevoll auf die Menschen und entdeckt Schätze.
Wir übersehen Menschen so leicht. Oder wir schauen geringschätzig auf andere. Wir achten und beachten die Schönen, die Wichtigen, die Mächtigen, diejenigen, die zu uns gehören, von denen wir uns Vorteile versprechen, vor denen wir Angst haben.  Jesus aber sieht anders auf uns Menschen, aufmerksam und liebevoll.

Hören wir den Predigttext für diesen Sonntag:

Mk 12,41-44 (Übersetzung Klaus Berger)

Jesus setzte sich gegenüber dem Opferkasten nieder und sah zu, wie die Leute Geld hinein-warfen. Etliche reiche Leute warfen viel Geld hinein. Da kam eine arme Witwe daher und warf zwei kleine Kupfermünzen im Wert von etwa einem Pfennig hinein. Jesus rief seine Jünger herbei und sagte zu ihnen: „Amen, ich sage euch: Diese arme Witwe hat mehr in den Opferkasten geworfen als alle anderen. Denn alle anderen haben gegeben, was sie übrig hatten, sie aber hat alles gege-ben, was sie in all ihrer Armut noch besaß. Sie gab ihr ganzes Leben.“

Am Eingang des Tempelhofes stehen die  Opferstöcke für verschiedene Gaben. Der diensthabende Priester muss fragen, wofür die Gabe sein soll. Er muss prüfen, wie viel jemand gibt und ob er die korrekte Währung verwendet. Laut wiederholt er den Betrag. Jeder kann hören, was gespendet wird. Stolze Beträge – das hört man mit Staunen und Bewunderung. Ich staune und freue mich, dass die Spenden in unserer Gemeinde hoch sind. Wir sind sehr darauf angewiesen, und es wird damals im Tempel nicht anders gewesen sein.
Aber nach den großen Gaben der Reichen nennt der Priester den armseligen Betrag, den die Witwe spendet. Was ist das schon? Sie macht sich ja lächerlich.
„Sie gab ihr ganzes Leben.“, sagt Jesus. Jesus sieht und versteht die Frau. Er schaut nicht auf den Kaufwert der beiden winzigen Kupfermünzen. Sie gibt, was sie kann, und sie gibt von Herzen gerne. Sie behält nicht einmal eines von den beiden Geldstücken. Uns mag das unvernünftig oder leichtsinnig vorkommen. Sie sichert sich nicht ein bisschen ab. Sie gibt sich selbst hin. Wer so schenken kann, ist reich. Darum ruft Jesus seine Jünger und macht sie aufmerksam auf die Witwe. Er zeigt ihnen einen Reichtum, der nicht auf Besitz gründet, das Glück mit ganzer Hingabe zu schenken.
Sie gibt ihr ganzes Leben.

Am 22. Februar 1943 wurden Christoph Probst und Sophie und Hans Scholl zum Tod verurteilt und hingerichtet. Wenige Tage vorher waren sie in der Münchener Universität beim Ausle-gen von Flugblättern gegen das NS-Regime entdeckt und verhaftet worden. Sie riefen zum Widerstand gegen den nationalsozialistischen Terror auf. Sophie Scholl studierte wie ihr Bruder in München. Hans versuchte, seine jüngere Schwester davon abzuhalten, sich im Widerstand zu engagieren, aber das gelang ihm nicht. Gegen die herrschende Gleichgültigkeit, Resignation und Apathie setzte die Gruppe „Weiße Rose“ entschlossenes politisches Handeln. In Flugblättern prangerten sie die Verbrechen offen an, z.B. die Ermordung von 300.000 polnischen Juden. Nicht nur die Liebe zur Freiheit und die Empörung über Unrecht trieb sie. Sie handelten auch in der Überzeu-gung: „Es muss ein sichtbares Zeichen des Widerstandes von Christen gesetzt werden.“ Christliche Botschaft und Politik gehören untrennbar zusammen. Sie wussten sehr wohl, in was für eine Gefahr sie sich brachten. Sophie Scholl sagte zwei Tage vor ihrer Verhaftung: „Es fallen so viele Menschen für dieses Regime. Es wird Zeit, dass jemand dagegen fällt.“ Sie wäre heute 95 Jahre alt. Mit 21 starb sie. Sie gab ihr ganzes Leben.

Wenige Tage vor seiner Verhaftung und seinem Tod sieht Jesus im Tempel die Hingabe der Frau, ihre Bereitschaft alles zu geben, ihre Freude zu schenken. Und Jesus weiß: Er selbst  wird bald sein Leben hingeben.

Ich vermute nicht, dass ich so mutig und so frei wäre wie Sophie Scholl. Wir leben 70 Jahre nach Diktatur und Krieg in Freiheit und Frieden. Wir können uns kaum vorstellen, dass es anders sein könnte. Dabei ist klar: Auch heute setzen Menschen ihr Leben ein. In vielen Ländern ist es lebensgefährlich, seine Meinung zu sagen, Unrecht anzuklagen oder auch seinen Glauben zu leben. In vielen Ländern sind heute Recht und Freiheit bedroht, Länder, die lange als gefestigte Demokratien galten. Da ist jedes Engagement wertvoll und gefährlich.
Wir haben nicht das Ziel, unser Leben zu opfern. Schon die Christen der ersten Jahrhunderte wehrten sich gegen Leute, die sich zum Martyrium hin drängten.
Jesus verlangt nicht von uns, dass wir freudlos und gequält dem Leben entsagen. Das ist wohl heute auch nicht unsere Gefahr. Von Natur aus sind wir eher egoistisch und bequem.
Und doch können wir Menschen so großzügig sein, so liebevoll und selbstlos handeln. Jesus sieht und freut sich, wenn wir aus freiem Herzen geben, ohne Angst zu kurz zu kommen. Viele Menschen schenken sehr viel und sind glücklich dabei, reich: Menschen, die jemanden pflegen oder treu immer wieder besuchen. Ehrenamtliche in   den Gemeinden, in Vereinen, in der Hilfe für Flüchtlinge. Menschen, die sich in ihrem Beruf mit ganzem Herzen einsetzen, weit über den Dienst nach Vorschrift hinaus. Die viel gescholtenen Politiker haben Achtung verdient, dass sie zu der schweren Aufgabe bereit sind – und sie sollten einander mehr Achtung zollen. Viele wären noch zu nennen, die für andere arbeiten, Ärger aushalten, auch beten. Sie geben etwas, manchmal sehr viel, von ihrem Leben.
Hingabe ist ein anderes Wort für Liebe. Liebe befreit uns zu schenken und auch über uns hinaus zu wachsen.
Sie gab ihr ganzes Leben. Jesus sieht die Gabe der armen Witwe und er freut sich über sie und schätzt sie hoch.
Wie gut, dass Jesus uns so besonders ansieht. Wie schön, dass er uns so viel Achtung und Aufmerksamkeit schenkt.
Jesus sieht uns liebevoll an.
Gott freut sich über uns.
Der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen