Hesesekiel/Ezechiel 18,1-4.21-23.30

Predigt am 6.Juli 2014 von Andreas Hansen über Hesekiel 18,1-4.21-23.30

Liebe Gemeinde, Gott ist nicht immer lieb zu uns. Gott kann auch erschreckend zornig sein. Neues wie Altes Testament reden davon. Damit kommen wir nur schwer zurecht. Aber die dunkle Erfahrung Gottes können wir nicht einfach ausblenden. Sie entspricht dem, was wir in der Welt sehen. So dunkel, bedrohlich, unverständlich ist die Welt. Wir tragen selbst dazu bei. Gottes Zorn aber ist nicht blinde Wut. Gottes Zorn ist die Kehrseite seiner brennenden Liebe. Gott ist nicht etwa wie ein trotteliger alter Mann, der freundlich nickt, während die Kinder Gift ausstreuen oder das Haus anzünden. Gott ist zornig über das Böse, über das, was Leid und Tod bringt, über die Sünde, die uns von ihm fort treibt. Gott liebt uns Sünder, aber er hasst die Sünde. Gott liebt uns und das ist ihm ernst.

Heute hören wir Worte des Propheten Ezechiel. Der sieht schreckliches Unheil kommen. In einer Zeit, als der Staat zusammenbricht, das Heiligtum verwüstet wird und viele fern der Heimat, in der Verbannung leben müssen, mitten in dieser Verunsicherung redet Ezechiel von Gottes Zorn und seiner Strafe, aber auch von Gottes großer Geduld und seinem brennenden Wunsch, dass sein Volk doch umkehrt. Denn Gott liebt uns Menschen und will, dass wir leben. Wir hören Verse aus Ezechiel 18 (1-4.21-23.30b).

Und das Wort des HERRN erging an mich: Was soll das bei euch, dass ihr diese Redensart braucht auf Israels Boden: Die Vorfahren essen unreife Früchte, den Kindern aber werden die Zähne stumpf! So wahr ich lebe, Spruch Gottes des HERRN, diese Redensart werdet ihr nicht mehr verwenden in Israel! Seht, alle Menschenleben gehören mir! Das Leben des Vaters wie das Leben des Sohns – mir gehören sie! Derjenige, der sündigt, der muss sterben! … Wenn aber der Ungerechte sich abkehrt von all seinen Sünden, die er begangen hat, und alle meine Satzungen hält und nach Recht und Gerechtigkeit handelt, wird er am Leben bleiben, er muss nicht sterben. Alle seine Vergehen, die er begangen hat, werden ihm nicht angerechnet; der Gerechtigkeit wegen, die er geübt hat, wird er am Leben bleiben. Habe ich etwa Gefallen am Tod eines Ungerechten?, Spruch Gottes des HERRN. Nicht vielmehr daran, dass er zurückkehrt von seinen Wegen und am Leben bleibt? ….. Kehrt um und bleibt am Leben!

Ezechiel muss sein Volk wachrütteln, wie man jemandem einen Eimer Wasser über den Kopf schüttet oder eine Ohrfeige gibt, damit er zu sich kommt. Gott nennt sie ein Haus des Wider-spruchs und klagt über ihre steinharten Herzen. Ezechiel nimmt kein Blatt vor den Mund. Er beschimpft seine Zeitgenossen, die ihre Mistgötzen, Scheißgötzen, sagt er, anbeten, die habgierig ihre Mitmenschen ausbeuten und Unrecht tun. Sie haben sich beschmutzt, verunreinigt. Ezechiel muss das darstellen, indem er sein Brot auf Kuhmist backt – Menschenkot bleibt ihm gerade noch erspart, als er gegen den Befehl protestiert. Gott will, dass sie aufwachen, umkehren. „Ihr sollt erkennen, dass ich Gott bin!“ Umkehr, Buße ist nicht säuerliche Entsagung. „Kehrt um und bleibt am Leben!“ In der Zeit der Verunsicherung ist das eine Chance, eine Befreiung, ein Neuwerden, dem Leben zugewandt. Gott fragt: „Meint ihr denn, dass ich den Tod des Ungerechten will und nicht vielmehr, dass er umkehrt und lebt?“ Gottes Zorn ist die Kehrseite seiner brennenden Liebe. Er will, dass wir leben. Ich rede von uns. Betrifft uns das, was Ezechiel vor rund 2600 Jahren schrieb? Ich meine, ja. Jesus ruft uns zu: „Die Herrschaft Gottes ist nah. Kehrt um und vertraut auf das Evangelium!“ Gottes Herrschaft ist nah. Gott regiert. Weil das wirklich so ist, weil Gott regiert, darum können Menschen und Völker umkehren, sich dem Leben zuwenden, auf Gott hören. Luther meinte in der ersten seiner berühmten 95 Thesen: Das ganze Leben der Gläubigen soll Buße sein. Umkehr ist eine tägliche Übung und ein lebenslanger Weg.

Wir werden in diesem Jahr an das erinnert, was wir vor 25 Jahren ungläubig staunend erlebt haben. In Ungarn wurde die Grenze geöffnet. Tausende kamen über die Botschaft in Prag aus der DDR heraus. In Leipzig beteten und demon-tierten jeden Montag die Menschen, bis die Mauer fiel. Wir hatten uns schon so an das Unrecht gewöhnt, dass wir das kaum glauben konnten. „Ihr sollt erkennen, dass ich Gott bin!“

Gott regiert. Nicht Terror, Fanatismus und Gewalt regieren. Ein Terrorist ruft den islamischen Staat aus und ernennt sich selbst zum Kalifen. Nein, das ist nicht der Islam. Hier wird Gott verachtet. Hier geschieht Götzendienst in seiner scheußlichsten Form. Der Götze heißt Macht und Gewalt. Gott regiert. Davon sind Juden wie Christen und auch Muslime zutiefst überzeugt. Der barmherzige Gott regiert und wir hoffen auf ihn. In seinem Namen wenden wir uns gemein-sam gegen Hass und Fanatismus. In allen drei Religionen wurde und wird Glaube verkehrt und missbraucht. Umso dringender ruft uns Gott zu Frieden und Versöhnung.

Gott regiert. Vor 80 Jahren, Ende Mai 1934, kamen Theologen und Verantwortliche der evangelischen Kirchen in Barmen zusammen. Sie wollten die Kirche gegen den totalen Anspruch des Nazi-Staates wappnen. Das Barmer Bekenntnis ist bis heute wegweisend und gehört zu den grundlegenden Dokumenten unserer Kirche. Darin heißt es: Jesus Christus ist „… Gottes kräftiger Anspruch auf unser ganzes Leben; durch ihn widerfährt uns frohe Befreiung aus den gottlosen Bindungen dieser Welt zu freiem dankbarem Dienst an seinen Geschöpfen.“ „gottlose Bindungen“: Dinge, Mächte, Ziele, die uns zu sehr beherrschen, zu wichtig sind. Z.B. sagen wir und leben nach der Devise: „Geld regiert die Welt.“ Wohlstand zählt. Wachstum muss sein. Das ist bei uns persönlich nicht viel anders als bei großen Unternehmen. Kehrt um und bleibt am Leben!

Gott regiert. Die Frage ist, ob wir glauben, dass Gott regiert. Ezechiel wehrt sich gegen ein Sprichwort: „Was soll das bei euch, dass ihr diese Redensart braucht auf Israels Boden: Die Vorfahren essen unreife Früchte, den Kindern aber werden die Zähne stumpf!“ Also die Kinder können nichts dafür. Sie müssen eben auslöffeln, was die Eltern ihnen eingebrockt haben. Wir rechtfertigen uns mit Zwängen, denen wir nicht entkommen: „So sind eben die Verhältnisse, die Gesellschaft, der Trend, die Sachzwänge. Da ist nichts zu machen.“ Auf der einen Seite ist das richtig: Wir können uns nicht einfach lossagen von dem, was unsere Väter angerichtet haben. Die Geschichte unseres Volkes gehört zu uns, auch mit den dunkelsten Kapiteln. Wir sind verstrickt in Schuld, in ungerechte Strukturen, die den Armen der Welt kaum eine Chance lassen. Unseren Kindern hinterlassen wir ungelöste Probleme, die wir geschaffen haben. Und in unseren persönlichen Beziehungen: Unrecht, Schuld, nicht bewältigte Konflikte können Familien über Generationen belasten. So sind wir geprägt durch die Geschichte und durch vieles, was wir als Erbe mit uns schleppen. Und doch tragen wir Verantwortung und können uns so oder so verhalten.

In der tiefsten Krise will Ezechiel sein Volk aufrütteln: „Jetzt kommt es auf euch an! Macht, was ihr heute tun könnt und redet euch nicht heraus! Kehrt um und bleibt am Leben!“ Jetzt ermutigt Gott sein Volk doch umzukehren. Er ist zornig über ihr Verhalten, aber er wartet nur auf eine Gelegenheit neu mit ihnen zu beginnen. Ja, er schafft sogar selbst die Voraussetzung dafür. Er sagt seinem Volk durch Ezechiel: „Ich werde euch mit reinem Wasser besprengen und ihr werdet rein werden; von all euren Unreinheiten und von all euren Mistgötzen werde ich euch rein machen. Und ich werde euch ein neues Herz geben, und in euer Inneres lege ich einen neuen Geist. Und ich entferne das steinerne Herz aus eurem Leib und gebe euch ein Herz aus Fleisch.“ (Ez 36,25+26; vgl 11,19) Liebe Gemeinde, glaubt es doch, dass Gott regiert! Gott will, dass wir frei sind und verantwortlich leben. Er spricht uns frei von dem Zwang, auf falschen Wegen immer weiter zu gehen. Gott ermutigt uns, eingefahrenes Unrecht aufzubrechen. Glaubt es doch und bittet ihn, dass er uns seinen Geist gibt! Amen