Antwort auf das Sehnen tief in uns, Predigt über Joh 3,14-21

Predigt am 17.3.19 von Andreas Hansen über Joh 3,14-21

Vor der Predigt singen wir das Lied: Da wohnt ein Sehnen tief in uns, neuer Anhang 116

Jetzt sind wir in der Passionszeit.  Wir sehen auf den Unfrieden, die großen ungelösten Fragen unserer Welt, das Leid vieler Menschen und das Leid der Schöpfung. Es geht uns, wie wir gerade gesungen haben: Da wohnt ein Sehnen tief in uns. Wir sehnen uns nach Frieden – Hass, Gewalt und Terror nun sogar im friedlichen Neuseeland, der endlose Konflikt  zwischen Indien und Pakistan, die Drohung eines neuen Wettrüstens zwischen Russland und den USA hier in Europa: der Frieden ist weit weg, auch unser Frieden ist in Gefahr. Wir sehnen uns nach Freiheit und sehen, wie in vielen Ländern die Freiheit der Presse immer mehr eingeschränkt wird, wie die Justiz von Machthabern benutzt wird, wie Nationalismus die Freiheit bedroht und den Hass schürt. Auch ein Sehnen nach Heilung und Ganzsein in dem, was uns persönlich angreift, belastet oder sogar krank macht. Ein Sehnen nach Glück und Liebe für uns selbst, nach Bewahrung für unsere Welt. Da wohnt ein Sehnen tief in uns, und wir bitten Gott: Sei da, sei uns nahe!

Mitten in der Nacht kommt Nikodemus zu Jesus.   Auch ihn treibt ein Sehnen. Er gehört zum Hohen Rat, den geistlichen Leitern in Jerusalem. Jesus nennt ihn einen Lehrer Israels.  Vielleicht kommt er nachts, damit ihn keiner sieht. Nachts ist auch die Zeit der tiefen Gedanken und der Begegnung mit Gott. Er kommt zu Jesus und beginnt ein Gespräch, man könnte sagen, ein Gespräch unter religiösen Fachleuten. Er will wissen: „Wer bist du, Jesus? Hast du eine Antwort auf das, was mich umtreibt? Man müsste noch einmal von vorne beginnen, aber geht das?“
Unser Predigttext aus dem Johannesevangelium ist ein Teil dieses nächtlichen Gesprächs. Jesus antwortet auf das Sehnen und die Angst und sagt:

Wie Mose in der Wüste die Schlange erhöht hat, so muss der Menschensohn erhöht werden, auf dass alle, die an ihn glauben, das ewige Leben haben.
Denn also hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen eingeborenen Sohn gab, auf dass alle, die an ihn glauben, nicht verloren werden, sondern das ewige Leben haben.
Denn Gott hat seinen Sohn nicht in die Welt gesandt, dass er die Welt richte, sondern dass die Welt durch ihn gerettet werde. Wer an ihn glaubt, der wird nicht gerichtet;  wer aber nicht glaubt, der ist schon gerichtet,  denn er hat nicht geglaubt an den Namen des eingeborenen Sohnes Gottes. Das ist aber das Gericht, dass das Licht in die Welt gekommen ist, und die Menschen liebten die Finsternis mehr als das Licht, denn ihre Werke waren böse. Wer Böses tut, der hasst das Licht und kommt nicht zu dem Licht, damit seine Werke nicht aufgedeckt werden. Wer aber die Wahrheit tut, der kommt zu dem Licht, damit offenbar wird, dass seine Werke in Gott getan sind.        Joh 3,14-21

Johannes schreibt nicht, was Nikodemus dazu sagt. Versteht er, was Jesus meint? Weiß er jetzt, wer Jesus ist? Genügt ihm das als Antwort auf sein Sehnen? Ihr Gespräch endet offen.
Aber später wird Nikodemus sich im Hohen Rat für Jesus einsetzen. Er wird sagen: „Verurteilt ihn nicht, ohne ihn angehört zu haben!“ Und nach dem Tod Jesu wird Nikodemus kostbare Salbe für den Leichnam schenken. Ob er an Jesus glaubt? Auf jeden Fall versteckt er sich nicht mehr in der Nacht, sondern zeigt offen seine Sympathie.

Gott liebt die Welt. Er will sie retten.
Gott will nicht verurteilen und richten, sondern retten. Das ist die Antwort.
Gott will und wird das Sehnen nach Frieden und Freiheit und Ganzsein stillen, weil er die Welt liebt.

Aber wie geschieht das? Wenn wir auf das Unheil in der Welt sehen, auf das Leid und Unrecht, das zahllose Menschen trifft, möchten wir verzweifeln. „Es ist Zeit!“ möchten wir rufen, wie die Jugendlichen auf den Freitagsdemos. „Es ist Zeit. Wir können nicht warten. Zeig uns deine Antwort, Gott!“

Und Jesus zeigt auf das Kreuz. Er zeigt auf sich selbst am Kreuz. Gott schlägt nicht mit Macht auf das Unrecht ein. Er lässt sich selbst schlagen. Er setzt sich selbst dem Unrecht und dem Leid aus. Er gibt seinen Sohn her. Sich selbst gibt er. Sein Weg der Liebe ist nicht Macht. Er gibt sich hin. Er stirbt ohnmächtige am Kreuz.

Jesus erinnert an eine seltsame Begebenheit auf dem Weg des Volkes Israel in das gelobte Land: „Wie Mose damals in der Wüste die Schlange erhöhte, so muss auch der Menschensohn erhöht werden.“ Das Volk auf dem Weg durch die Wüste ist erschöpft und frustriert. Sie schimpfen über Mose und über Gott. Schlangen überfallen sie und beißen sie. Da bittet Mose für das Volk, und Gott lässt ihn eine bronzene Schlange auf einem Stab aufrichten. Wenn die Israeliten dieses Bild ansehen, werden sie zwar noch gebissen, aber sterben müssen sie nicht. So geht es uns, wenn wir auf Jesus am Kreuz sehen. Er bewahrt uns nicht vor allem Unheil, aber er schenkt uns doch Leben, „ewiges Leben“, wahres Leben.

Wir schauen auf zum Gekreuzigten. Das heißt: den Gekreuzigten aushalten. Leiden und Tod aushalten. Nicht davonlaufen. Und darauf vertrauen, dass Gott aus Liebe zur Welt seinen Sohn dahingegeben hat. Er hat es zugelassen. Es ist sein Weg.
Was passiert, wenn wir aufs Kreuz schauen, wenn wir ihm vertrauen? Jesus sagt: „Wer an den Sohn glaubt, der wird nicht gerichtet; wer aber nicht glaubt, der ist schon gerichtet. (…) Das ist aber das Gericht, dass das Licht in die Welt gekommen ist“.
Das Gericht Gottes geschieht nicht irgendwann in ferner Zukunft, sondern jetzt. Das Gericht ist nicht einfach göttliche Strafe. Gericht heißt nicht: hier auf der einen Seite sind die Guten und dort auf der anderen die Bösen. Die mittelalterlichen Angstbilder vom jüngsten Gericht sind falsch. Sie projizieren unsere Rachewünsche auf Gott.
Das Gericht ist Licht, ein Licht, vor dem sich kein Mensch verstecken kann. „die Menschen liebten die Finsternis mehr als das Licht“ sagt Jesus.    Wir bleiben lieber im Dunklen. Wir wollen gar nicht alles wissen. Wir verstecken uns lieber vor unserem eigenen Unrecht.
Unseren Anteil am Klimawandel, unseren Energieverbrauch, unsere bequemen, aber schädlichen Gewohnheiten wollen wir lieber nicht sehen. Unsere Rücksichtslosigkeit gegen andere verleugnen wir. Was wir selbst falsch machen und womit wir andere verletzen, das entschuldigen wir.
Ein Licht leuchtet. Gott schlägt nicht mit Macht auf das Unrecht ein. Er setzt sich selbst dem Unrecht und dem Leid aus. Und wir müssen nicht einfach weitermachen. Wir können umkehren, wie Nikodemus. „Wer aber die Wahrheit tut, der kommt zu dem Licht, damit offenbar wird, dass seine Werke in Gott getan sind.“
Wir werden ins Licht gestellt. Unser Unrecht hält Gott nicht davon ab, uns zu lieben, die Welt, die ihn ans Kreuz bringt, zu lieben.
Wir schauen auf zum Gekreuzigten.
„So sehr hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen Sohn gab, auf dass alle, die an ihn glauben, nicht verloren werden, sondern das ewige Leben haben.“ Amen