Predigt am 7.4.19 von Andreas Hansen über Joh 18,28-19,5
Jubelnd wird Jesus kurz vor dem Passafest in Jerusalem empfangen: „Sohn Davids, König!“ schreit die Menge ihm entgegen. Es sind die Festpilger, die so rufen, die Leute vom Land. Sie haben ja keine Ahnung, wie gefährlich das ist. Die Stadt ist voller Soldaten. Die Lage ist gespannt. Jeder Aufstand wird im Keim erstickt. Darum sind die Priester alarmiert, als sie die Demonstration für Jesus sehen. Sie fürchten Strafaktionen der Besatzungsmacht – ihre Sorge ist durchaus berechtigt. Jahre später werden die Römer einen Aufstand niederschlagen und den Tempel zerstören. „Alle Welt läuft Jesus nach. Darum muss er weg!“ Sie machen noch in der Nacht kurzen Prozess mit ihm. Nur schnell, bevor das Fest beginnt! Hier setzt der Predigttext aus dem Johannesevangelium ein:
Johannes 18,28-19,5
Da führten sie Jesus von Kaiphas vor das Prätorium; es war aber früh am Morgen. Und sie gingen nicht hinein in das Prätorium, damit sie nicht unrein würden, sondern das Passamahl essen könnten. Da kam Pilatus zu ihnen heraus und sprach: Was für eine Klage bringt ihr vor gegen diesen Menschen? Sie antworteten und sprachen zu ihm: Wäre dieser nicht ein Übeltäter, wir hätten dir ihn nicht überantwortet. Da sprach Pilatus zu ihnen: So nehmt ihr ihn und richtet ihn nach eurem Gesetz. Da sprachen die Juden zu ihm: Es ist uns nicht erlaubt, jemanden zu töten. So sollte das Wort Jesu erfüllt werden, das er gesagt hatte, um anzuzeigen, welchen Todes er sterben würde. Da ging Pilatus wieder hinein ins Prätorium und rief Jesus und sprach zu ihm: Bist du der Juden König? Jesus antwortete: Sagst du das von dir aus, oder haben dir’s andere über mich gesagt? Pilatus antwortete: Bin ich ein Jude? Dein Volk und die Hohenpriester haben dich mir überantwortet. Was hast du getan? Jesus antwortete: Mein Reich ist nicht von dieser Welt. Wäre mein Reich von dieser Welt, meine Diener würden darum kämpfen, dass ich den Juden nicht überantwortet würde; aber nun ist mein Reich nicht von hier. Da sprach Pilatus zu ihm: So bist du dennoch ein König? Jesus antwortete: Du sagst es: Ich bin ein König. Ich bin dazu geboren und in die Welt gekommen, dass ich die Wahrheit bezeuge. Wer aus der Wahrheit ist, der hört meine Stimme. Spricht Pilatus zu ihm: Was ist Wahrheit? Und als er das gesagt hatte, ging er wieder hinaus zu den Juden und spricht zu ihnen: Ich finde keine Schuld an ihm. Ihr habt aber die Gewohnheit, dass ich euch einen zum Passafest losgebe; wollt ihr nun, dass ich euch den König der Juden losgebe? Da schrien sie wiederum: Nicht diesen, sondern Barabbas! Barabbas aber war ein Räuber. Da nahm Pilatus Jesus und ließ ihn geißeln. Und die Soldaten flochten eine Krone aus Dornen und setzten sie auf sein Haupt und legten ihm ein Purpurgewand an und traten zu ihm und sprachen: Sei gegrüßt, König der Juden!, und schlugen ihm ins Gesicht. Und Pilatus ging wieder hinaus und sprach zu ihnen: Seht, ich führe ihn heraus zu euch, damit ihr erkennt, dass ich keine Schuld an ihm finde. Da kam Jesus heraus und trug die Dornenkrone und das Purpurgewand. Und Pilatus spricht zu ihnen: Sehet, welch ein Mensch!
„Da schaut ihn euch an, den Menschen!“
Die koptische Kirche verehrt Pilatus als Märtyrer. Einer Legende nach ist er Christ geworden und darum gestorben. Eric-Emanuel Schmitt schrieb vor ein paar Jahren einen Roman über ihn. Er vermutet, Pilatus sei vielleicht der erste Christ.
Dass Johannes so feindselig über die Juden schreibt, hat zu Missverständnissen geführt. Der Evangelist schreibt in einer Zeit, als Christen verfolgt werden und die jüdische Gemeinde sich von ihnen lossagt, um sich vor der Staatsmacht zu schützen. Später aber werden Juden von Christen angeschwärzt und grausam verfolgt.
„Da schaut ihn euch an, den Menschen!“
Ich glaube, Pilatus grinst die Priester hämisch an, als er sein grausames Spiel mit Jesus treibt. Er verspottet sie auch mit der Tafel über dem Gekreuzigten „König der Juden – seht, so eine Jammergestalt ist euer König!“ Pilatus hat keine Skrupel. Warum sollte er eine Fehlentscheidung fürchten? Er will Ruhe in der Stadt. Aber was dieser Störenfried sagt, und worüber sich die Priester aufregen, das ist ihm doch sowas von gleichgültig! Er spielt mit Jesus und benutzt ihn, um die Priester zu ärgern.
„Da schaut ihn euch an, den Menschen! – ein bisschen Prügel, dann werdet ihr schon zufrieden sein. Nein? Na, dann soll er halt ans Kreuz.“ Er spielt ein zynisches, Menschen verachtendes Spiel.
Aber Pilatus ist auch neugierig, etwa so wie ein Kind ein Tier quält, nur um zu sehen, was es wohl macht: „Was hast du getan? Warum wollen sie deinen Tod? Bist du einer von denen, die König sein wollen?“ Er redet an Jesus vorbei. Er redet von Macht, während Jesus von Gott spricht. Pilatus kann ihn nicht verstehen. „Also bist du doch ein König?“ „Das hast du gesagt. Ich selbst sage über mich: Ich bin in die Welt gekommen, um für die Wahrheit Zeugnis abzulegen. Jeder, der aus der Wahrheit Gottes kommt, hört auf mein Wort.“ „Was ist Wahrheit?“ Damit ist das Gespräch für Pilatus beendet.
Das kennen wir. Wir reden miteinander und reden aneinander vorbei. Es ist als lebten wir in verschiedenen Welten. Jeder kennt nur seine Sicht der Dinge, die er sich immer wieder bestätigen lässt, und bezichtigt den anderen der Lüge. Und tatsächlich werden falsche Nachrichten, Fakenews zu Hauf in den sogenann-ten sozialen Medien verbreitet. Jeder hört seinen Nachrichtenkanal und glaubt nur ihm. Jeder lebt in seiner Blase. So teilen wir die Welt in die, die so sind und denken wie wir, und die anderen auf der falschen Seite. So lassen wir uns zu Hass und Verachtung erziehen.
„Was ist Wahrheit?“ Die Frage hat für Pilatus keine Bedeutung. Er hat für sich entschieden, was zählt. Alles andere interessiert ihn nicht. Seine Haltung: „Dort sind deine Gegner: schade ihnen, so gut du kannst. Vertraue niemandem!“
„Bei dem, was die Bibel unter “Wahrheit“ versteht, müssen wir kräftig umlernen.“ Ich zitiere Klaus Berger, und weiter: „Denn in der gesamten Bibel ist die Wahrheit nicht etwas, mit dem man einfach Recht hat, sondern Wahrheit ist viel mehr: Sie ist die Kraft, die einem hilft zurechtzukommen, und zwar mit Leben und Tod. Wahrheit ist das, was bleibt, indem es den Tod überwindet. Das schließt ein, dass das „stimmt“, was man glaubt; aber es ist mehr, nämlich das, was immer sein wird, was am Ende siegreich über alles Vergängliche triumphiert Dessen liebevolle Zuwendung und Stellvertretung diesen Sieg vermittelt.- Wahrheit ist keine Sache, sondern Gott selbst ist die Wahrheit.“ So Berger.
Jesus legt Zeugnis ab für die Wahrheit Gottes. Jesus ist die Wahrheit – er schenkt Gottes Liebe. Er sagt: „Die Wahrheit wird euch frei machen – nichts steht zwischen Gott und euch.“ Wahrheit ist eine verlässliche, tragfähige Beziehung. Sie tröstet mich und hält mich im Leben und im Sterben.
„Da schaut ihn euch an, den Menschen!“
Pilatus sieht einen Gescheiterten, einen, der nichts mehr zu melden hat, der am Ende ist. Von der Wahrheit Jesu hat er keine Ahnung. Sie ist ihm auch gleichgültig.
Wir sind Pilatus wohl manchmal ähnlich: Hart in unserem Urteil, gleichgültig gegenüber dem Leid anderer, auf unseren Vorteil bedacht.
”Da schaut ihn euch an, den Menschen!“
Jesus lässt sich schlagen und verspotten. Er schlägt nicht zurück. Er erträgt die Erniedrigung und die Schmerzen. Er bleibt sich treu und geht seinen Weg. Der König der Wahrheit, der Mensch nach Gottes Bild. So schildert ihn der Evangelist Johannes.
Jesus gibt sich uns.
Von Sünde lässt er sich nicht abschrecken.
Er sagt Ja, obwohl wir Nein sagen.
Er bezeugt Gottes Wahrheit. Amen