19.9. Klagelieder Jeremias 3,22-24

19.9.21    16. Sonntag nach Trinitatis,

Pfarrer Andreas Hansen, Kenzingen

 

Wir feiern unseren Hausgottesdienst im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen

 

Lied 445,1+5

1 Gott des Himmels und der Erden, Vater, Sohn und Heilger Geist, der es Tag und Nacht lässt werden, Sonn und Mond uns scheinen heißt, dessen starke Hand die Welt, und was drinnen  ist erhält:

5 Führe mich, o Herr, und leite meinen Gang nach deinem Wort; sei und bleibe du auch heute mein Beschützer und mein Hort. Nirgends als von dir allein kann ich recht bewahret sein.

 

Im Psalm dieser Woche stehen die Verse:

Gelobt sei der Herr täglich. Gott legt uns eine Last auf, aber er hilft uns auch. Wir haben einen Gott, der da hilft, und den Herrn, der vom Tode errettet. Ps 68,20f

Wir feiern, was du uns verheißt, lebendiger Gott, Christus, unser Herr. Wir preisen dich für deine Güte. Und doch hören wir die Klage derer, deren Last übergroß ist, die von Terror und Gewalt betroffen sind, die Unrecht und Demütigung erfahren, die Krankheit und Unglück erleben.

Sag ihnen allen, sag uns dein Wort des Lebens.

Sprich du das Wort, das tröstet und befreit. Amen

 

Lied 382

1 Ich steh vor dir mit leeren Händen, Herr;

fremd wie dein Name sind mir deine Wege.

Seit Menschen leben, rufen sie nach Gott;

mein Los ist Tod, hast du nicht andern Segen? Bist du der Gott, der Zukunft mir verheißt?

Ich möchte glauben, komm mir doch entgegen.

2 Von Zweifeln ist mein Leben übermannt,

mein Unvermögen hält mich ganz gefangen.

Hast du mit Namen mich in deine Hand,

in dein Erbarmen fest mich eingeschrieben? Nimmst du mich auf in dein gelobtes Land?

Werd ich dich noch mit neuen Augen sehen?

3 Sprich du das Wort, das tröstet und befreit

und das mich führt in deinen großen Frieden. Schließ auf das Land, das keine Grenzen kennt, und lass mich unter deinen Kindern leben.

Sei du mein täglich Brot, so wahr du lebst.

Du bist mein Atem, wenn ich zu dir bete.

 

Predigtgedanken zu Klagelieder Jeremias 3,22-24

 

Wie liegt die Stadt so verlassen da, die voll Volks war. Mit einem Aufschrei beginnen die Klage-lieder. Jeremia hat die Katastrophe angekündigt und miterlebt – darum werden ihm die Lieder in den Mund gelegt. Er hat das zerstörte Jerusalem vor Augen, ein Bild wie Ground Zero in New York vor 20 Jahren. Die Klagelieder sind Katastrophen-literatur, fünf erschütternde Darstellungen von Leid, Entsetzen und Not. Sie werden am 9.Tag des jüdischen Monats Av im Gottesdienst gele-sen. Am 9. Av wurde der erste Tempel zerstört und am gleichen Tag im Jahr 70 der zweite durch die Römer. Am 9. Av im Jahr 136 wurde die Stadt endgültig verwüstet. Mehrmals wurden die Juden am 9. Av vertrieben, 1290 aus England, 1492 aus Spanien und 1942 begann die Deportation aus dem Warschauer Ghetto nach Treblinka, in das Vernichtungslager.

Da heißt es: Ich bin ein vom Leid geprüfter Mann. Gott schlug mich mit der Rute seines Zorns. …

Er ließ meine Zähne auf Granit beißen, er trat mich nieder in den Staub. Gott, du hast mir meinen Seelenfrieden genommen!  (3,1+16+17)

Bittere, heftige Anklage gegen Gott steht hier in der Heiligen Schrift. Darf man das? Ja, was den Beter entsetzt, was seinen Glauben tief infrage stellt, das darf und soll auf den Tisch kommen.

In der Bibel wird nichts vertuscht oder versteckt. Da gibt es keine Denk- oder Redeverbote. Und wenn Entsetzen und Schmerz einen Menschen verstummen lassen, finden wir hier Worte für die Not: Warum muss ich so lange warten auf dich, Gott – warum lässt du mich allein? Wer klagt, lässt Leid und Unrecht nicht einfach geschehen. Er wehrt sich. Er lehnt sich auf. Er protestiert.

Und wer klagt, bleibt nicht für sich.

Er bringt sein Leid vor Gott. Er bedrängt Gott. Aber er wendet sich doch zu Gott hin.

Er flieht vor Gott zu Gott.

Dann, mitten in der Klage ist ein anderer Ton zu vernehmen. Das ist der heutige Predigttext:

Die Güte des Herrn ist´s, dass wir nicht gar aus sind, seine Barmherzigkeit hat noch kein Ende, sondern sie ist alle Morgen neu, und deine Treue ist groß. Der Herr ist mein Teil, spricht meine Seele; darum will ich auf ihn hoffen. (3,22-24)

Israel ist mit seinem Schmerz nicht fertig.

Wir kennen Menschen, deren Last zu groß ist, deren Glaube und Hoffnung zerbricht. Die Klagelieder enden nicht versöhnlich. Aber hier ist ein Schimmer von Hoffnung, bevor im nächsten Kapitel wieder das Grauen und die Not beklagt werden. Aus der Klage heraus sucht die Beterin oder der Beter einen Halt, eine andere Sicht.

 

Die Güte des Herrn ist´s, dass wir nicht gar aus sind, seine Barmherzigkeit hat noch kein Ende, sondern sie ist alle Morgen neu, und deine Treue ist groß. Der Herr ist mein Teil, spricht meine Seele; darum will ich auf ihn hoffen.                   Mit großem Respekt lesen wir das Bekenntnis der Hoffnung mitten im Leid. Fast ausgelöscht ist das Volk Gottes und doch wagen sie zu hoffen.        Es ist nicht unsere Geschichte, die die Klagelieder besingen. Und wir müssen sagen:

Christen waren immer wieder die Täter in den Leidensgeschichten der Juden.

Wir können uns aber an die Seite der Klagenden stellen, ihnen Raum geben, sie achten. So ist es ja oft: Wer nicht selbst ein Kind verloren hat, wer nicht selbst flüchten musste, wer nicht krank ist, kann nur ahnen, wie es den Betroffenen geht, hören, was sie berichten, bei ihnen bleiben.  Wenn im eigenen Leben das Schlimmste ge-schieht, sieht die Welt auf einmal anders aus.

 

Die Klagelieder gehen weiter als das Jammern, das uns oft begegnet: Jeremia kann auch Schuld ansprechen. Sie haben Anteil an der Zerstörung, die sie trifft. Seine Klage reicht dann aber auch bis zum Trost, dass Gottes Barmherzigkeit noch kein Ende hat. Mitten in der Klage, sagt Jeremia zu Gott: Deine Treue ist groß. Der Herr ist alles für mich. Deshalb setze ich meine Hoffnung auf ihn. Noch lebe ich. Noch atme ich. Und immer noch hoffe ich.

Deine Treue ist groß. Ganz direkt spricht er Gott an. Er verzweifelt an seinem Leid. Er wirft Gott sein Elend vor, klagt ihn an, schreit ihn an, aber er wirft sich doch Gott in die Arme. Gott bleibt ein Du, ein Gegenüber: „Deine Treue ist groß, Du, mein Gott.“

Ich staune über Menschen, die großes Leid erfahren, und dennoch vertrauen und dankbar sind. Seine Barmherzigkeit hat noch kein Ende, sondern sie ist alle Morgen neu. Das ist nicht leicht dahingesagt, aber von vielen Glaubenden empfunden. „Selbst wenn ich am Leid zerbreche, deine Treue ist groß; ich halte mich fest an dir.“

Wir schauen auf Jesus. Er ist bei denen, die leiden und klagen. Wir haben eine Adresse für unsere Klage. Jochen Klepper schrieb:

In jeder Nacht, die mich umfängt,

darf ich in deine Arme fallen,

und du, der nichts als Liebe denkt,

wachst über mir, wachst über allen.

Du birgst mich in der Finsternis.

Dein Wort ist noch im Tod gewiss.

 

Für alle, die mit leeren Händen vor Gott stehen, deren Last zu groß ist, denen Gott fremd ist, für sie ist es ein schwerer Weg, dennoch auf Gottes Güte und Treue zu hoffen. Die Güte des Herrn ist´s, dass wir nicht gar aus sind. Ich höre jetzt hinter Israels Bekenntnis zu Gottes Treue, die Klage, die Anklage, das Ringen um Hoffnung.

All Morgen ist ganz frisch und neu des Herren Gnad und große Treu. (EG 440) Fröhlich klingt das Morgenlied. Aber die es singen, wissen auch, wie bedrängend die Finsternis sein kann.

Gott hat unser Dunkel geteilt. Er ist bei uns in Jesus Christus. „Wir leben aus, deiner Güte. Ohne dich kommen wir keinen Schritt voran.    Auf dich wollen wir hoffen.“ Amen

 

Lied 440, Text: Joh. Zwick, Mel: Joh. Walter, 1541

1 All Morgen ist ganz frisch und neu

des Herren Gnad und große Treu;

sie hat kein End den langen Tag,

drauf jeder sich verlassen mag.

2 O Gott, du schöner Morgenstern,

gib uns, was wir von dir begehrn:

Zünd deine Lichter in uns an,

lass uns an Gnad kein Mangel han.

3 Treib aus, o Licht, all Finsternis,

behüt uns, Herr, vor Ärgernis,

vor Blindheit und vor aller Schand

und reich uns Tag und Nacht dein Hand,

4 zu wandeln als am lichten Tag,

damit, was immer sich zutrag,

wir stehn im Glauben bis ans End

und bleiben von dir ungetrennt.

 

Gebet

Treib aus, o Licht, all Finsternis.

Wir bitten für die, die im Finstern sind, die nur klagen können und keinen Ausweg sehen.

Hilf uns auf, Gott, erinnere uns an deine Güte  und Treue.

Wir bitten für die, die getroffen sind von Unglück, die die Katastrophe immer noch vor Augen haben und geplagt sind von Verzweiflung und Schmerz.

Hilf ihnen auf, Gott, erinnere sie an deine Güte  und Treue.

Wir bitten für die Menschen in Afghanistan, für alle, die Unterdrückung und Verfolgung fürchten, für die Hungernden, für die Flüchtenden. Wir bitten um Frieden und Gerechtigkeit in der Welt. Hilf uns auf, Gott, dass wir den Geplagten Recht schaffen.

Wir bitten dich für unser Land in den Tagen der Wahl. Wir bitten für die, die gewählt werden wollen und für uns alle um Redlichkeit, Achtung voreinander, Mut und Geduld. Hilf uns auf, Gott, steh uns bei in den Aufgaben, die vor uns liegen.

Wir bitten dich für die Menschen, um die wir uns sorgen, für unsere Kranken: behüte sie in Schmerzen und Angst. Für die, deren Kräfte abnehmen, die auf Hilfe für die Trauernden.

Wir beten mit den Worten Jesu: Vaterunser

 

Lied 157

Lass mich dein sein und bleiben, Du treuer Gott und Herr; von dir lass mich nichts treiben, halt mich bei reiner Lehr’; Herr, lass mich nur nicht wanken,

Gib mir Beständigkeit! Dafür will ich dir danken

In alle Ewigkeit.

 

Segen

Gott segne dich und er behüte dich.  

Gott lasse sein Angesicht leuchten über dir

und sei dir gnädig.  

Gott hebe sein Angesicht über dich

und gebe dir Frieden. Amen