1. Könige 19, 1-8

Predigt am 23. März 2014 von Andreas Hansen über 1Kön 19, 1-8

Liebe Gemeinde, in einem Roman zu Sowjetzeiten sagt ein Vater zu seinem Sohn: „Bei einer Arbeit, Söhnchen, bemühe dich ohne Hast. Und verrichte sie, wie die Seele es gebietet. Die Seele weiß das rechte Maß.“ „Warum redest du bloß immer von der Seele, Vater? In der Schule, da lehren sie, es gibt überhaupt keine Seele, sondern nur Reflexe.“ „Was gibt es?“ „Reflexe. Das ist, wenn einer was will, und schon fließt ihm der Speichel.“ „Richtig lehren sie das“ sagte Jegor nach einigem Überlegen. „So, und wenn einer nicht was will, was fließt dann? Dann, Söhnchen, fließen heiße Tränen, nämlich wenn einer gar nicht mehr was will und aber befohlen kriegt. Und nicht über´s Gesicht fließen diese Tränen, sondern innen drin. Und sie brennen. Darum brennen sie, weil die Seele weint. Also, es gibt sie schon, die Seele, bloß hat jeder wohl so seine eigene. Und darum muss jeder verstehen, auf sie zu hören. Auf das also, was sie ihm sagt.“ Jesus fragt: „was hülfe es dem Menschen, wenn er die ganze Welt gewönne und nähme an seiner Seele Schaden?“ Unsere Seele: was uns im Innersten ausmacht, die Mitte unserer Person, damit auch unser Verhältnis zu Gott und unserer Welt. Achtet auf eure Seele, dass sie nicht Schaden nimmt! Wenige Menschen reden heute von ihrer Seele. „Seele“ klingt für viele unklar, undurchschaubar, wie ein fremdes Land. Erst wenn die Seele krank ist, wenn rätselhafte Mächte im Innern des Menschen ihn lähmen, beängstigen oder verwirren, reden wir wieder von der Seele. Im Alten Testament gibt es ein Wort für Seele. Es bedeutet ursprünglich Atem, also Leben, und Kehle, also das, was gefüttert wird und bedürftig ist, und dann Person, unser Ich. Die Seele ist nicht ein abgetrennter Bereich im Menschen. Anders als in der griechischen Philosophie sind in der biblischen Vorstellung Leib und Seele untrennbar verbunden. Der Mensch ist eine Seele, weil er lebendig ist, bedürftig ist, in Beziehungen lebt. Warum erzähle ich von der Seele? Weil unsere Seele kostbar ist und wir an ihr keinen Schaden nehmen sollen. Weil jeder so seine eigene Seele hat und verstehen muss, auf sie zu hören. Weil wir tiefes Unglück und auch großes Glück in unserer Seele erfahren. In Psalm 6 betet ein Mensch zu Gott – ich lese in der Übersetzung Martin Bubers: „Heile mich, Du, denn mein Gebein ist verstört, und sehr verstört ist meine Seele. Du aber, Du, bis wann noch – ! Kehre wieder, Du, entschnüre meine Seele, befreie mich.“ Wie verschnürt kann unsere Seele sein, dass uns der Atem stockt und wir keine Kraft und keinen Lebensmut haben. Und umgekehrt: Wunderbar ist es, wenn wir aufatmen können, uns aufrichten, gestärkt unseren Weg gehen. Gott sorgt für unsere Seele.

Davon erzählt der Predigttext über den Propheten Elia. Elia ist dabei sich zu verlieren. Erschöpft und verzweifelt liegt er unter dem Strauch in der Wüste. Seine Seele ist verstört, verschnürt wie ein hoffnungslos verheddertes Knäuel Wolle. Mit jedem Versuch den Knoten zu lösen, wird er nur noch fester. Elia ist lebensmüde. „Nun ist´s genug, Gott, nimm meine Seele!“ Wir schauen zurück, was geschehen ist. Elia hat Ahab, dem König über Israel, als Gottes Strafe für seinen Unglauben eine katastrophale Dürre angekündigt. Die Dürre kam. Das Land stöhnte unter ihren Folgen. Elia hat gestritten mit den Propheten Baals. Er hat bewiesen, was für ein Götze Baal ist. Sturmwind und Feuer sind vom Himmel gefallen und haben das für Gott bereitete Opfertier verzehrt. Alle hat Elia von Gott überzeugt. Aber dann hat er sich von dem Gefühl der Macht treiben lassen, sich zur Gewalt hinreißen lassen, und mit dem Schwert den Tod über seine Feinde gebracht. Nun bedrohen der König und seine Frau Elia, und plötzlich ist der furchtlose Kämpfer für Gott wie umgedreht, verzagt, furchtsam, ausgepowert, leergebrannt, gescheitert. Mutig hatte er gerufen: „Gott, zeige, dass du der Herr bist, und ich dein Knecht.” Er war auf der richtigen Seite, der Prophet des wahren Gottes. Er konnte die Baalsdiener vernichten. Was für eine Macht! Aber nun ist Elia ganz klein. Nun fühlt er sich elend, schwach und schuldig: „Ich bin nicht besser als meine Väter.“ Wie eine Blase ist sein Bild von sich selbst geplatzt. Auch große starke Frauen und Männer können auf einmal so klein und schwach sein. Wer unter großen Anforderungen, im täglichen Stress und Streit, enorm viel leistet, sinkt dann auf einmal in sich zusammen und ist am Ende. Jede und jeder kennt die Erschöpfungsphasen nach einer Prüfung, nach großer Anspannung, ja, selbst wenn eine Zeit mit glücklichen Erlebnissen bis zum Rand voll war. Mühsam akzeptieren wir unsere Grenzen: dass wir uns manche Wünsche nicht werden erfüllen können, zum Beispiel dass ein Kind nicht den von uns erträumten Berufsweg schaffen wird, oder dass unsere Kräfte abnehmen und der Kreis enger wird. Viele kennen die Angst, die einen befallen kann: „Ich werde mit all dem nicht mehr fertig. Ich halte dem Druck nicht stand. Ich versage, verliere mein Ansehen, meinen Platz.“ Plötzlich zerbröselt unser Selbstbild von Erfolg, Anerkennung, Glück. Das kann einen lähmen und allen Mut nehmen. Die Seele ist verstört, verschnürt. Wir verstehen nicht recht, was Elia getan und erlebt hat, aber wir können uns vorstellen, wie es ihm geht. Der lebensmüde Streiter für Gott läuft in die Wüste. Er kann und will nicht mehr. Und er legt sich unter einen Strauch, um dort zu sterben. „Nun ist´s genug, Gott, nimm meine Seele!“ Da liegt er sterbensmatt ausgerechnet unter einer Pflanze, die wie ein Lebenskünstler ist. Tief sind die Wurzeln des Ginsterstrauchs in der Wüste. Lange Zeiten der Dürre übersteht er und blüht dann wieder leuchtend weiß. Gott hilft weiter. Gott sorgt für die Seele, für Elias Seele, für unsere Seele. „Seele“ klingt für viele Menschen heute unklar, undurchschaubar, wie ein fremdes Land. Aber in seiner Seelsorge bringt Gott Elia, und uns, zurück auf den Boden der Wirklichkeit, in das Vertraute, in tragfähige Beziehungen, in ein Leben, das wir bejahen, auf Wege, die wir gehen können. Im Schlaf beginnt Gott seine Seelsorge. „Schlaf, der des Grams verworrn Gespinnst entwirrt.“ Wunderbar erreicht uns Gott auch in dem, was uns nicht bewusst ist. Gott löst den Knoten und entschnürt die Seele. Elia versteht sich selbst nicht, aber er darf sich ihm überlassen. Träumt Elia oder begegnet ihm wirklich ein Engel, ein Gottesbote? Behutsam wird er angerührt. „Steh auf und iss!“ Der Duft von geröstetem Brot steigt ihm in die Nase. Ein Krug Wasser steht da. Ganz einfach, und doch köstlich, wunderbar zu riechen und zu schmecken, den Durst zu stillen, satt zu werden. Gott sorgt für Elia ganz elementar. Er berührt ihn. Er regt seine Sinne an. Das Normale ist schon tröstlich, wenn wir im Ausnahmezustand sind. Langsam, ganz langsam erhebt sich die niedergeschlagene Seele. Elia darf noch einmal tief und tröstlich schlafen. Er bekommt die Zeit, die er braucht. Erst dann kann er wieder aufstehen und hören, einen Auftrag annehmen, neue Wege gehen. Er wird demütiger und dankbarer weitergehen. Er wird behutsamer mit seiner Seele umgehen, auf sie hören und auf Gott hören. Wie der Ginsterstrauch wird er tiefe Wurzeln schlagen, die Quellen seines Lebens suchen.

Ich glaube, dass Gott uns anrührt. Er braucht nicht einmal Engel dafür, aber manchmal sendet er wohl seine Boten zu uns. Gott rührt unsere Seele an und sorgt für sie. Unsere Seele soll nicht verschnürt oder heillos verknotet sein, sondern atmen, leben, Gutes aufnehmen. In tragfähigen Beziehungen sollen wir leben und dem Leben, das Gott schenkt, vertrauen.

Der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen