Hebräer 12,1-3

Predigt am 13. März 2014 von Andreas Hansen über Hebr 12, 1-3

Palmsonntag

Hebräer 12,1-3: „Darum auch wir: Weil wir eine solche Wolke von Zeugen um uns haben, lasst uns ablegen alles, was uns beschwert, und die Sünde, die uns ständig umstrickt, und lasst uns laufen mit Geduld in dem Kampf, der uns bestimmt ist, und aufsehen zu Jesus, dem Anfänger und Vollender des Glaubens, der, obwohl er hätte Freude haben können, das Kreuz erduldete und die Schande gering achtete und sich gesetzt hat zur Rechten des Thrones Gottes. Gedenkt an den, der so viel Widerspruch gegen sich von den Sündern erduldet hat, damit ihr nicht matt werdet und den Mut nicht sinken lasst.“ Liebe Gemeinde,

„Was ist ein Held?“ – so fragen sich ein zwölfjähriger Junge und sein Urgroßvater. Die beiden haben viel Zeit, über die Frage nachzudenken. Der Junge kann mit seinem Gipsbein nicht in die Schule. Und so erfinden sie Geschichten über Helden und lesen sie sich gegenseitig vor. James Krüss schrieb das Kinderbuch „Urgroßvater, die Helden und ich“. Ich erinnere mich an eine der Geschichten: Ein paar Jungen graben eine Höhle in den Sand und krabbeln hinein. Heinrich traut sich als Letzter hinein. Er hat Angst. Dann bricht die Höhle ein und ausgerechnet der ängstliche Heinrich rettet die anderen, denn er stützt den Eingang ab, bis alle unter ihm hindurch ins Freie geklettert sind. „Heinrich halt aus!“ jammern sie, und Heinrich hält dem Druck stand für sie – ein Held. Eine Heldin oder ein Held tut, worauf es ankommt. Im entscheidenden Moment nimmt er sich selbst nicht so wichtig und setzt sich ein. Helden müssen nicht strahlend und stark sein. Heinrich war vielleicht gleich darauf wieder schüchtern und vorsichtig, und doch wuchsen ihm im richtigen Moment der Mut und die Kraft zu.

Das Wort „Held“ ist unmodern und in Verruf geraten wegen falscher Heldenverehrung. Dennoch: Zwölfjährige träumen davon, Helden zu sein. Auch wir Erwachsenen haben vielleicht unsere „Helden“, für die wir schwärmen. Und jede und jeder bräuchte zuweilen eine Portion Heldenmut. Denn jede und jeder kennt das, was gerade sie oder er aushalten muss, mutig und geduldig das Schwere tragen. Wir kennen Situationen, in denen wir unsere Wünsche, Bedenken, Ängste einfach beiseite schieben müssen. Sei es, dass wir in einem Konflikt für eine Sache einstehen, oder dass wir jemanden in seiner Not nicht allein lassen, dass wir aussprechen, was sonst keiner zu sagen sich traut, dass wir eine Aufgabe übernehmen. Manchmal dürfen wir erleben, wie uns Kraft und Mut zuwachsen. Aber wir kennen auch das Gegenteil, dass uns der Mut verlässt und wir am liebsten davonlaufen. An Palmsonntag, beim Einzug in die Stadt genießen die Jünger Jesu den Erfolg ihres Herrn. Aber wenige Tage darauf, als Jesus verhaftet wird, laufen sie verängstigt davon und lassen ihn im Stich. Sie werden sich auch nach Ostern versteckt halten, bis Gott ihnen Mut einflößt. Dann, an Pfingsten, öffnen sie die Türen und reden frei und offen von ihrem Glauben an Jesus. Obwohl sie bedroht und bestraft werden, haben sie keine Angst mehr.

„Uns ist ein Kampf bestimmt“ sagt der Hebräerbrief. Die Christen, an die sich der Brief richtet, sind müde geworden. Sie erleben Anfechtungen. Sie werden verfolgt und unterdrückt. Sie fragen: „Lohnt sich dieser Kampf? Stehen wir auf der richtigen Seite?“ Der Brief hält ihnen entgegen: „Lasst den Mut nicht sinken! Denkt an Jesus!“ Es gibt Länder, in denen Christen heute verfolgt werden. Das können wir uns, Gott sei Dank, gar nicht mehr vorstellen. Wir dürfen sagen, was wir denken, und zum Beispiel ohne Gefahr Gottesdienst feiern. Wer weiß, ob auch ich, wie Petrus in der Nacht vor Jesu Tod, aus lauter Angst meinen Herrn verleugnen würde. Gut, dass auch dies in der Bibel berichtet wird. Petrus ist kein Held, und doch baut Jesus auf ihn. Auch unter normalen Umständen kann es sein, dass unser Glaube in Gefahr gerät, dass wir mit unseren Fragen nicht zurechtkommen, dass alltäglich und belanglos wird, was uns einmal begeistern konnte, dass wir enttäuscht sind von der Kirche, von Mitchristen, von uns selbst. Wie einen Marathonlauf beschreibt der Hebräerbrief den Weg. Wer laufen will, braucht einen langen Atem, Geduld, Engagement. Man kann nicht so nebenbei mit halber Kraft laufen. Der Glaube fordert uns heraus: ein Kampf – für jeden sieht er anders aus. Man kann schließlich auch nicht mit halbem Herzen lieben. Auch in der Liebe braucht es ganzen Einsatz und Geduld, schwierige Strecken auszuhalten. „Lasst uns laufen mit Geduld!“ Aber wer von uns schafft schon einen Marathon? Wir Christen müssen doch keine Leistungssportler sein. Natürlich nicht. Das Bild vom Lauf soll die Christen damals und uns heute ermutigen. Wir laufen nicht jede und jeder für sich. Eine Wolke von Zeugen, das meint eine Fülle von anderen laufen mit uns. Im Kapitel davor zählt der Brief eine Reihe von Frauen und Männern aus der Bibel auf. Durch den Glauben haben Menschen „Königreiche bezwungen, Gerechtigkeit geübt, Verheißungen erlangt“, so heißt es. Wir haben unsere Glaubenszeugen. Für mich sind das: Menschen, die Leid tragen und dennoch Zuversicht ausstrahlen, oder Menschen, die die Wahrheit sagen, selbst wenn sie sich damit unbeliebt machen oder andere Nachteile ertragen müssen. Glaubenszeugen sind auch die, die wissen, wie schwer es manchmal fällt zu glauben, die ehrlich mit ihrer Schwäche und ihren Zweifeln umgehen. Kein Mensch kann und muss alleine Christ sein. Wir brauchen die anderen, die mit uns glauben oder die vor uns glaubten. Gott sei Dank gibt es die Kirche. Wir sind in unserem Lauf nicht allein. Und weiter: wer läuft, schleppt keinen Ballast mit sich. Wir dürfen „ablegen alles, was uns beschwert“. Wir dürfen ablegen, was uns den Mut nimmt. Die Enttäuschungen unseres Lebens, die Tiefpunkte, an die wir immer wieder denken müssen, die Angst vor dem, was unser Leben angreift, Krankheit, Sorgen, Streit. All das muss uns nicht herunterziehen, müde und mutlos machen. Lasst es uns ablegen! Geht das denn so einfach? Im gleichen Satz nennt der Brief „die Sünde, die uns ständig umstrickt“. Die Fesseln unserer Geschichte und die Fesseln der Sünde gehören zusammen. Uns beschwert und uns trennt von Gott die Konzentration auf uns selbst, dieses Nur-uns-selbst-Sehen: Meine Wünsche, meine Angst um mich, mein Erfolg, mein Versagen. Luther nannte Sünde das In-sich-selbst-verkrümmt-Sein. Der um sich besorgte Mensch wird sich selbst zur Last und lebt im Widerspruch zu Gott, in Sünde. Die Sünde ablegen heißt: Annehmen, dass Gott mir vergibt. Was mich beschwert ablegen heißt: Vertrauen, dass Gott für mich sorgt. Geht das denn so einfach?

„Lasst uns laufen mit Geduld in dem Kampf, der uns bestimmt ist, und aufsehen zu Jesus, dem Anfänger und Vollender des Glaubens.“ Wir dürfen von uns selbst weg sehen, auf Jesus hin, „der unserem Glauben vorangeht und ihn vollendet“, so in einer anderen Übersetzung. Jesus selbst weckt den Glauben in uns. Jesus befreit uns vom In-uns-verkrümmt-Sein. Jesus gibt uns den Mut zum Vertrauen. Gott verlangt nicht mehr, als er selbst schenkt. Jesus ist unser Held und ist doch ganz anders, als die meisten sich einen Helden vorstellen. Er hält aus für uns, erträgt Ablehnung, Unrecht, Spott und Gewalt, ohne sich zu wehren, ohne davon zu laufen. Dieser Weg führt ihn zu Gott, zur Rechten von Gottes Thron. Auf diesem Weg kann er allen den Zugang zu Gott öffnen. Die Leidenden dürfen hoffen. Die Schuldigen erfahren Vergebung. Es bleibt uns nicht erspart zu kämpfen und zu laufen auf dem Weg des Glaubens. Aber wir laufen nicht allein. Und wir sehen auf Jesus, der unserem Glauben vorangeht und ihn vollendet. Was uns beschwert, dürfen wir gleichsam ihm aufladen, wegsehen von uns selbst, hin zu ihm. Manchmal hätten wir zu gerne einen Heldenmut. Bitten wir Gott, dass er uns in unseren Kämpfen die Kraft und den Mut zuwachsen lässt, die wir brauchen!

Dietrich Bonhoeffer schrieb: „Ich glaube, dass Gott uns in jeder Notlage soviel Widerstands-kraft gibt, wie wir brauchen. Aber er gibt sie nicht im Voraus, damit wir uns nicht auf uns selbst sondern allein auf ihn verlassen. In solchem Glauben müsste alle Angst vor der Zukunft überwunden sein.“

Der Friede Gottes, der höher ist als unsere Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen