Predigt am 16.Februar 14 von Andreas Hansen über 1.Mose 50,15-21
Predigt im Ökumenischen Gottesdienst zur Bibelwoche 2014, 1.Teil Andreas Hansen, 2.Teil Christian Erath
Liebe Gemeinde, liebe katholische und evangelische Mitchristen, was ist Ihnen am wichtigsten für Ihr Leben? Auf dem ersten oder zweiten Platz steht für die meisten: Meine Familie. So antworten Kinder, Konfirmanden, fast alle. Eltern und Geschwister haben uns geprägt, für Partner, Kinder, Enkel wollen wir da sein. Wir geben einander Geborgenheit, Halt, Zärtlichkeit. Wie schön! Die Menschen, die wir lieb haben und die uns nahe stehen, können uns jedoch auch verletzen wie niemand sonst. Viele Familien zerbrechen. Die Betroffenen leiden tief unter dieser Erfahrung. Der Schmerz wird immer wieder angerührt. Manche kommen ihr Leben lang nicht über das hinweg, was ihnen angetan wurde. Auch eigene Schuld lässt uns nicht los. Familie, die Menschen, die zu uns gehören – das ist kostbar und schön, aber auch empfindlich und manchmal leidvoll. Nebenbei: Viele „Ersatzfamilien“ verdienen große Achtung und nicht Misstrauen. Nach dem Leid z.B. einer gescheiterten Beziehung kann von ihnen vieles aufgefangen werden und heilen.
Die Bibel erzählt von den alten Zeiten in einer Familiengeschichte. Abraham und Sara, Isaak und Rebekka, Jakob mit seinen Frauen und Söhnen sind auf dem Weg mit Gott. Wir hatten zwei Bibelabende über Jakobs Söhne, Josef und seine Brüder. Schonungslos erzählt die Bibel von den Gemeinheiten in dieser Familie. Die Brüder hassen Josef. Josef ist Vaters Liebling und wird ganz offen bevorzugt. Nur ihm schenkt der Vater einen bunten Ärmelrock. Eifersüchtig hassen sie ihn noch mehr. Er gibt an. Er verpetzt sie. Der Hass wächst. Er erzählt von seinen Träumen, dass sie vor ihm knien. Unerträglich! Da ergibt sich eine Gelegenheit, es ihm heimzuzahlen und ihn loszuwerden. Sie wollen ihn zuerst ermorden. Sie reißen ihm seinen bunten Rock vom Leib, werfen ihn in eine leere Zisterne und verkaufen ihn schließlich an vorbeiziehende Händler. Dem Vater schicken sie das zerrissene, blutgetränkte Gewand – er soll glauben, sein Liebling Josef sei tot. Aber sie werden Josef nicht los. In unstillbarer Trauer hängt der Vater weiterhin nur an ihm. Und die Schuld, die sie auf sich geladen haben, werden sie ebenfalls nicht los. Der um Erbarmen bettelnde Bruder bleibt ihnen vor Augen. Wie eine dunkle Wolke bleibt die Untat über ihnen.
Josef wird in Ägypten als Sklave verkauft. Er hat seine Familie verloren. Er ist schutzlos und allein. Aber in ihm scheint eine Wandlung vor sich gegangen. Der verwöhnte Angeber wird ein kluger, ja ein weiser Mensch. Er vertraut Gott in allem. Als Sklave steigt er schnell auf und wird zur rechten Hand seines Herrn. Und wieder wird er ein Opfer von Unrecht. Die Frau seines Herrn verleumdet ihn. Josef wird ins Gefängnis geworfen. Auch dort erarbeitet er sich eine besondere Stellung und darf die vornehmsten Gefangenen betreuen, die direkt vom Hof des Pharao kommen. Mit Gottes Hilfe versteht Josef, ihre Träume zu deuten. Jahre später hat der Pharao einen Traum, der ihm keine Ruhe lässt. So kommt Josef an den Königshof. Er sagt dem Pharao voraus, dass auf sieben Jahre von Reichtum und Überfluss sieben Jahre bitterer Not folgen werden. Josef wird zum mächtigsten Mann Ägyptens. Die Not trifft auch die Heimat der Familie. Josefs Brüder kommen nach Ägypten, um Getreide zu kaufen. So begegnen sie sich wieder. Josef erkennt seine Brüder sofort, sie jedoch wissen nicht, wer der mächtige Ägypter ist, der sie so ausfragen lässt. Josef stellt sie hart auf die Probe, jagt ihnen Angst ein. Sie müssen wieder an ihr Verbrechen und ihre Schuld denken. Dann erst gibt sich Josef seinen Brüdern zu erkennen. „Ich bin Josef, euer Bruder, den ihr nach Ägypten verkauft habt.“ Gen 45,4 Was für ein Erschrecken! Da steht ihr Bruder, den sie ermorden wollten, den sie in die Zisterne warfen und verkauften. Was wird er mit ihnen tun? Josef redet lange auf sie ein, weint, umarmt sie, bis sie in der Lage sind zu antworten. 45,15 Josef ist froh, dass er seine Familie retten kann. Er lässt alle und vor allem seinen Vater nach Ägypten holen. Jakob glaubt seinen Söhnen zuerst nicht, als sie ihm erzählen, dass Josef lebt. Dann sieht er ihn wieder, den er so viele Jahre tot geglaubt hatte.
Musik
1.Mose/ Genesis 50,15-21
Die ganze Familie ist wieder vereint und in Ägypten versammelt. Und wenn sie nicht gestorben sind, dann leben sie immer noch glücklich und harmonisch zusammen? Also alles wieder gut? Jakob starb. Wie es danach weiter ging, berichtet das Buch Genesis: Als Josefs Brüder sahen, dass ihr Vater tot war, sagten sie: Wenn sich Josef nur nicht feindselig gegen uns stellt und uns alles Böse vergilt, das wir ihm getan haben. Deshalb ließen sie Josef wissen: Dein Vater hat uns, bevor er starb, aufgetragen: So sagt zu Josef: Vergib doch deinen Brüdern ihre Untat und Sünde, denn Schlimmes haben sie dir angetan. Nun also vergib doch die Untat der Knechte des Gottes deines Vaters! Als man ihm diese Worte überbrachte, musste Josef weinen. Seine Brüder gingen dann auch selbst hin, fielen vor ihm nieder und sagten: Hier sind wir als deine Sklaven. Josef aber antwortete ihnen: Fürchtet euch nicht! Stehe ich denn an Gottes Stelle? Ihr habt Böses gegen mich im Sinne gehabt, Gott aber hatte dabei Gutes im Sinn, um zu erreichen, was heute geschieht: viel Volk am Leben zu erhalten. Nun also fürchtet euch nicht! Ich will für euch und eure Kinder sorgen. So tröstete er sie und redete ihnen freundlich zu.
Jakob ist gestorben:. Beginnt also alles wieder von vorn? Der ganze Streit. Die Unsicherheit der Brüder, ob sie noch gut und ohne schlechtes Gewissen leben können? Josefs Brüder sind dieser Ansicht. Diese Situation ist wirklich eine Zäsur. Wie für viele Menschen, wenn ein Familienmitglied stirbt. Nicht nur den Verlust des Angehörigen muss verkraftet werden. In vielen Familien brechen gerade dann viele Familienkonflikte auf. Wenn’s Streit ums Erbe gibt, ist das meist nur ein Anzeichen für bisher schon vorhandene Konflikte, auch wenn sie vielleicht eine Zeit lang befriedet schienen. Die einen fühlen sich das ganze Leben schon benachteiligt oder man kann den anderen schon lange nicht mehr richtig leiden oder es gibt ein Ereignis, das man dem anderen nie richtig verzeihen konnte. Bei den Söhnen Jakobs kam noch die damalige Gesellschaftsstruktur dazu. Die war patriarchalisch. Nun starb der Patron Jakob. Er hatte bisher immer noch das Sagen. Zum einen: Wer sollte nun seine Stellung in der Sippe einnehmen – also der Chef werden – das Sagen haben? Zum anderen schienen die Brüder Josefs zu denken, dieser hätte die Vergebung nur dem Vater zuliebe vorgegeben, den Brüdern nur zum Schein verziehen. Aber nein, er meinte es damals schon so und jetzt erst recht, trotz dieser Enttäuschung. Das erweist sich als eine wirkliche Versöhnung. Was Josef gesagt hat, hat er auch so gemeint! Das begreifen die Brüder jetzt endlich. Josef ist enttäuscht. Sie vertrauten ihm und seinen Worten nicht. Ihr schlechtes Gewissen wirkt immer noch nach. ER hatte das schon längst für überwunden und vergessen gehalten. Josef lädt seine Brüder und uns zu einer Haltung der Versöhnung ein. Das ist das wunderbare Ende – das happy end dieser schönen Josefsgeschichte. Alles Erlebte und Erlittene ließ Josef hinter sich. Vom Lieblingssohn zum Sklaven, dann zum Gefangenen und dann zum obersten Verwalter des Pharaos – eine extreme Achterbahnfahrt. Er wusste sich immer von Gott begleitet. Deshalb fand er die Kraft, seinen Brüder zu vergeben – wirklich zu vergeben. Was der Welt ohne Verzeihung fehlen würde, bringt Eleonore Beck in folgende Worte: Wie sähe unsere Welt aus, wenn man das Wort Verzeihung aus den Wörterbüchern streichen würde? Wenn die Sache, der Lebensvollzug, der damit gemeint ist, nicht mehr zu den Erfahrungen gehörte, die jeder machen kann? Wenn der Schuldiggewordene schuldig bleiben müsste? Wenn jeder mit seinem Versagen auf sich allein gestellt bliebe? Wenn nur noch Vergeltung, nicht mehr Vergebung zählen würde? Wie sähe es dann aus? Ja, wie sähe die Welt aus? Ich denke, das kann sich jeder gut ausmalen. Denn es gibt nicht viel, was so sehr zu Frieden und Gerechtigkeit beiträgt wie die Haltung der Verzeihung. Nur wenn Geschehenes verziehen wird, kann man wirklich neu beginnen. Leider fällt es vielen Menschen schwer und führt in vielen Gegenden dazu, dass Konflikte immer wieder neu aufbrechen. So ziehen sich Kriege und Streitigkeiten über Jahre und Jahrzehnte hin: Denken Sie an das Heilige Land. Immer wieder wird in solchen Situationen verhandelt. Friedensverhandlungen, Versuche einen friedlichen Zustand für alle zu schaffen. Erfolg kann so etwas dauerhaft nur haben, wenn nicht jeder auf den eigenen Vorteil bedacht ist, sondern, wenn auf das große Ganze geschaut wird. Wenn ich den Frieden nicht nur um meinetwillen verhandeln will. Wenn ich auch den anderen den Frieden gönne. Das geht nur, wenn ich Schuld des anderen verzeihe und meine eigenen Fehler einsehe und darum um Verzeihung bitten kann. Das bewirkt Versöhnung. Ansonsten setzt sich die Spirale der Gewalt immer wieder und wieder und wieder fort. Josef hätte die Macht gehabt, diese Spirale der Gewalt weiterzutreiben. Seine Stellung in Ägypten hatte ihn in die Nähe des Pharaos gebracht. Und dieser ließ sich als Gott verehren. Dahinter steckt der Gedanke eines Herrenmenschen. Bei diesem Wort wird’s mir nochmal ganz anders zumute. Menschen die sich über andere erheben und die in unserer Welt schon sehr viel Unheil angerichtet haben. Dies schiebt Josef weit von sich, wenn er seine Brüder fragt: „Stehe ich denn an Gottes statt“. Er findet so zu wirklicher Versöhnung. Eine Versöhnung, die die gemeinsame, schreckliche Familiengeschichte nicht einfach wegwischt und übergeht, als wäre nie etwas gewesen. Die Versöhnung zwischen den Brüdern klappt nur deswegen, weil sie anfangen, die Last der Schuld gemeinsam zu tragen und zu neuem Leben zu finden. Ein neues Leben, das nicht nur den Brüdern, sondern auch ihren Kindern verheißen ist. Das kann man mit dem Kopf begreifen. Der Trost, den Josef seinen Brüder spendet, geht noch tiefer: ins Herz. Nur so können die Brüder es wirklich begreifen, lässt sie durchatmen, frei werden. Versöhnende Worte, die ins Herz gehen und den Kreislauf von Gewalt und Gegengewalt aufsprengen.
Amen.