Gott geht nach Sodom, Predigt über 1.Mose 18,16-33

Predigt am 29.5.2016 von Andreas Hansen über 1. Mose 18,16-33

Gottesdienst in der katholischen Kirche in Bombach

Weit unten im Tal, das muss Sodom sein. Abraham sieht in der Ferne den Rauch über der Stadt. Er weiß, was dort geschieht. Wüste bleibt, wo einst die Stadt war, nahe bei dem See, der so salzig ist, dass sie ihn das Tote Meer nennen. Kaum etwas  wird erinnern an die Menschen, die hier lebten. Lot wird gerettet, aber so viele kommen um. Abraham weint. Und auch Gott weint.

Darf man so menschlich über Gott reden? Ja,  so sehr nimmt Gott Anteil am Leid der Menschen, dass die Hebräische Bibel, das AT ihn so nah und menschlich zeigen kann. Gott ist nicht ein Prinzip. Gott ist nicht eine kalte Macht, die über uns hinweg regiert. Gott ist voll Leidenschaft für uns, seine Schöpfung, seine Menschen. Darum darf man wohl sagen: Gott weint.

Gott ist entsetzt über die Gewalt, über Drohnen, Fassbomben, Sprengstoffgürtel, dass Menschen einfach andere töten oder auch ihr eigenes Leben wegwerfen. Gott ist traurig über das Leid, auch über das Leid durch Krankheit und Katastrophen. Gott ist bei den  Opfern von Krieg und Not, bei den Flüchtlingen und in den Kliniken. Er will ihr Leben, so unbedingt wie sie selbst. Und Gott weint auch um die Täter, die von fanatischem Hass Verblendeten, die Gierigen, die Abgestumpften,   die Bösartigen – um sie alle weint Gott.  Wir sind und bleiben Gottes Geschöpfe, die ihm am Herzen liegen.

„Das musste ja so kommen. Das war doch klar, dass Sodom untergeht.“ – Nein! Nein, Gott hatte Sodom noch nicht abgeschrieben. Es war nicht schon entschieden. Abraham kämpft um die Stadt. Gott schaut nicht kalt zu, wie einfach abläuft, was längst entschieden ist.

„Ist denn irgendetwas unmöglich für den Herrn?“ Gott hat Sarah und Abraham ein Kind angekündigt. Sarah lacht. „in unserem Alter? niemals!“ „Du wirst es sehen. Ist denn irgendetwas unmöglich für den Herrn?“ Und dann, gleich danach wenden sich die Boten, wendet sich Gott nach Sodom. Er will dort hingehen, wo das Böse geschieht und wo Menschen leiden.    Die Klage lässt ihm keine Ruhe.

Wie einen Freund zieht Gott Abraham ins Vertrauen. „Ich kann ihm nicht verheimlichen, was ich vorhabe. Er ist doch mein Auserwählter.“ Jetzt machen die Boten sich auf den Weg, aber Abraham bleibt vor Gott stehen. Oder ist es umgekehrt?: Gott bleibt vor Abraham stehen – so steht es ursprünglich geschrieben – Gott wartet geradezu auf den Einspruch seines Freundes. Abraham tritt noch näher, als würde er Gott am Arm packen: „Das kannst du nicht machen, die ganze Stadt! Das kannst du nicht machen, Gott!  Du bist doch gerecht, der Richter aller Welt!“

Ist das nicht unerhört, wie Israel über Gott und den Menschen redet? Man traut seinen Ohren nicht. Es scheint, als habe Abraham mehr Sinn für Recht und Gerechtigkeit als Gott. Er weist ihn zurecht. Doch genau so will Gott seinen Abraham: Mit ganzem Herzen setzt er sich ein für Sodom, für die Bedrängten, aber auch für die ganze böse Stadt. Gott ist auf der Suche nach einem Menschen mit einem Gewissen, nach einem Vater seines Volkes. Gott will, dass Abraham mit ihm feilscht. „Vielleicht sind 50 Gerechte in der Stadt?“ „ Dann soll Sodom leben.“ „Vielleicht sind es aber nur 45, 40, 30, 20, 10?“ „Ja, auch dann bleibt die Stadt.“ Immer wieder traut sich Abraham weiter vor. Beide wollen nur zu gerne, dass Sodom noch eine Chance bekommt.

Die Barmherzigkeit von wenigen kann die Härte von vielen brechen. Die Gerechten, die Treuen, die Barmherzigen sind nur wenige in unserer Welt – es ist immer so. Aber sie sind eine Kraft. Viel können sie bewirken, Segen für eine ganze Stadt. Die Barmherzigkeit von wenigen kann die Härte von vielen brechen.

Gott hört auf Abraham. Natürlich weiß Abraham, vor wem er steht, welcher Platz ihm gebührt, und dennoch lässt er nicht locker und bedrängt Gott geradezu: „Sieh, ich habe es gewagt zu meinem Herrn zu reden, obwohl ich Staub und Asche bin. Vielleicht fehlen an den fünfzig Gerechten fünf.    Du bist doch kein Pfennigfuchser, Gott, du bist doch barmherzig.“ Darauf setzt Abraham, dass  Gott barmherzig ist. Darum wagt er so mit Gott zu sprechen. Abraham vertraut auf Gott. Darum bittet er wieder und wieder für die Stadt. Abraham ist kein Mensch ohne Fehler. Aber er ist ein Gerechter, weil er Gott so beharrlich vertraut und auf ein gutes Ende hofft für Sodom. Gott wartet auf die Gerechten. Gott wartet auf die wenigen Barmherzigen, die die Härte der vielen brechen. Er will, dass wir nicht locker lassen und ihm vertrauen. Gott wartet auf unser Gebet.

Eine ganz andere Geschichte will ich nun erzählen: Die Hölle war überfüllt. Dennoch warteten viele vor der Tür. Einen letzten Platz hatte der Teufel zu vergeben. Er ging raus um die Leute zu befragen. Den Schlimmsten wollte er sich aussuchen, aber kein Vergehen schien ihm böse genug. Schließlich fragte er einen, der etwas abseits stand: „Und Sie?“ „Ich bin ein guter Mensch. Ich bin nur aus Versehen hier. Ich dachte, die Leute stehen hier Schlange um Zigaretten zu holen.“ „Jeder Mensch hat was auf dem Kerbholz.“ brummte der Teufel. „Aber nein,  ich nicht! Ich habe immer nur zugesehen. Ich hab mich nie eingemischt, wenn sie einander erschlagen oder beraubt haben. Ich hab nie den Mund aufgemacht, wenn sie Flüchtlinge in ihr Land zurückgeschickt haben oder Kinder verhungert sind. Ich habe mit dem Bösen nichts zu tun. Ich hab nie was getan!“ „Sind Sie sicher, dass Sie nichts getan haben?“ „Nicht einmal, wenn es direkt vor meiner Haustür geschah. Ich hab immer nur zugesehen.“ „Aha! Sie sind mein Mann. Der Platz gehört Ihnen.“ Diesen `guten Menschen´ holte der Teufel, und als er ihn in die Hölle einließ, drückte er sich zur Seite, damit er ihn nur ja nicht berührte.

Sodom und Gomorra wurden sprichwörtlich für Abgründe menschlicher Bosheit. Schon in der Bibel werden die beiden Städte immer wieder genannt. Ihr Name lässt an sexuelle Perversion denken, aber kritisiert werden vor allem die Verachtung für die Armen, die Missachtung des Gastrechts, Geiz, Gewalttätigkeit, Fremdenfeindlichkeit. Sodom ist ein Inbegriff von Egoismus und Rücksichtslosigkeit.

Aber ist das denn so ungewöhnlich? Funktioniert die Welt nicht genau so, dass jeder das Beste für sich herausholt? Nein, wenn alle so leben, wie in Sodom, geht die Welt zugrunde. Wenn alle Amerikaner wie der Milliardär Trump schreien „America first“, wenn alle Russen wie Putin meinen „wir sind die Größten“, wenn alle Türken vor Erdogan kuschen und die Franzosen Marine Le Pen auf den Leim gehen, wenn wir Deutschen wieder in dumpfen Nationalismus  fallen, dann sind wir bald in Sodom. Wenn alle Autobauer bei den Abgaswerten schummeln, wenn Kernkraftwerke Sicherheitskontrollen nur vortäuschen, wenn Großkonzerne Kleinbauern in Afrika ihr Land wegnehmen, wenn überall nur Wachstum und Profit zählen, dann sind wir bald in Sodom.

Der Teufel mag sich ekeln vor denen, die meinen „Ich bin ein guter Mensch. Mit dem Bösen habe ich nichts zu tun.“ Die dabei rücksichtslos auf Kosten anderer leben, die ungerührt an Unrecht und Leid vorbeigehen.

Gott aber geht nach Sodom. Er will wissen, was den Armen geschieht. Und sogar die Unterdrücker tun ihm Leid. Gott wartet auf die Gerechten, die Barmherzigen.

Bitten wir ihn für unsere Welt und für uns selbst. Amen