Predigt am 27.3.16 von Andreas Hansen über 1.Kor 15,1-10
Ostern
Geschwister, ich möchte euch an das Evangelium erinnern, das ich euch verkündet habe. Ihr habt diese Botschaft angenommen, sie ist die Grundlage eures Lebens geworden, und durch sie werdet ihr gerettet – vorausgesetzt, ihr lasst euch in keinem Punkt von dem abbringen, was ich euch verkündet habe. Andernfalls wärt ihr vergeblich zum Glauben gekommen!
Zu dieser Botschaft, die ich so an euch weitergegeben habe, wie ich selbst sie empfing, gehören folgende entscheidenden Punkte: Christus ist – in Übereinstimmung mit den Aussagen der Schrift – für unsere Sünden gestorben. Er wurde begraben, und drei Tage danach hat Gott ihn von den Toten auferweckt – auch das in Übereinstimmung mit der Schrift.
Als der Auferstandene hat er sich zunächst Petrus gezeigt und dann dem ganzen Kreis der Zwölf. Später zeigte er sich mehr als fünfhundert von seinen Nachfolgern auf einmal; einige sind inzwischen gestorben, aber die meisten leben noch. Danach zeigte er sich Jakobus und dann allen Aposteln. Als Letztem von allen hat er sich auch mir gezeigt; ich war wie einer, für den es keine Hoffnung mehr gibt, so wenig wie für eine Fehlgeburt. Ja, ich bin der unwürdigste von allen Aposteln. Eigentlich verdiene ich es überhaupt nicht, ein Apostel zu sein, denn ich habe die Gemeinde Gottes verfolgt. Dass ich trotzdem ein Apostel geworden bin, verdanke ich ausschließlich der Gnade Gottes.
„Nicht ins Endlose wälzt sich der Strom der Weltgeschichte, dieser Strom von Blut und Tränen, von Morden und Gemordet-werden. Der Sieg der Liebe wird diesem schrecklichen Strom ein Ende bereiten – ein Ende, in dem Gott abwischen wird alle Tränen von allen Augen, ein Ende, in dem der Tod abgetan sein wird und Gottes Liebe sein wird alles in allem.“
Helmuth Gollwitzer hat das geschrieben. Aber wir sehen: Der Strom von Blut und Tränen ist so breit. Wieder sind viele Menschen ermordet und verletzt worden. Wieder treiben Fanatiker und skrupellose Machthaber die Gewalt weiter. Fast täglich hören wir die schlimmen Nachrichten. Die Welt ist voll von Gewalt und Schmerz und Leid. Der Tod ist nah, gerade auch dann, wenn uns liebe, nahe stehende Menschen oder wenn wir selbst von Unfall oder Krankheit getroffen sind. Und dennoch feiern wir Ostern: Der Tod wird abgetan sein. Das Ende des schrecklichen Stromes ist schon besiegelt. Noch sind unsere Augen feucht von Tränen, aber wir feiern die Auferstehung Jesu. Staunend, zögernd, fragend hören wir, was die Zeugen gesehen haben und nicht fassen konnten.
„Maria! Was ist los mit dir? Wo kommst du her?“ „Ich habe ihn gesehen!“ „Wen hast du gesehen?“ „Ihn! Den Herrn! Er lebt! Ich habe ihn gesehen!“ „Du weißt doch, dass er gestorben ist. Du warst da, als sie seinen Leichnam ins Grab…“ „Aber das Grab ist leer, leer! … Ich musste so weinen. Dann stand er da und ich hab ihn nicht erkannt. Er rief meinen Namen: Maria – seine Stimme! Ich habe ihn gesehen!“ (Joh 20,11-18)
Petrus und sein Bruder laufen los. Sie rennen bis zum Grab. Sie müssen sehen, was geschehen ist. (Lk 24,12; Joh 20,1-9)
Andere Frauen kommen zum Versteck der Jünger. Völlig verstört sind sie. „Das Grab! Es war offen. Jesus ist fort. Da war einer, der sagte: Er ist auferweckt. Was bedeutet das?“ (Mk 16,1-8)
Zwei Jünger kommen mitten in der Nacht. „Wir haben ihn gesehen! Jesus. Er war den ganzen Weg über bei uns – wie blind sind wir neben ihm her gelaufen. Dann reichte er uns das Brot und auf einmal haben wir ihn erkannt. Er lebt! Es stimmt, er lebt!“ (Lk 24,13-35)
Plötzlich steht Jesus bei seinen Jüngern. Sie erschrecken: „Ist das ein Geist, den wir sehen?“ (Lk 24,37) Sie erzählen, wie sie Jesus sehen und zuerst nicht erkennen, wie er plötzlich da ist und ebenso plötzlich wieder fort, leibhaftig da und doch anders. Sie erkennen Jesus. Es ist der Mensch Jesus von Nazareth, den sie kennen. Er erscheint. Sie sehen ihn.
Und doch schreibt Matthäus: „Einige aber zweifelten“ (Mt 28,17), und Markus: „sie glaubten nicht“, was sie hörten (Mk 16,11+13). Johannes berichtet: Thomas will zuerst seinen Finger in die Wunden legen, bevor er glaubt (Joh 20,24-29).
Jesus kehrt nicht zurück in sein altes Leben. Es ist nicht so, als wäre sein Tod nur ein böser Traum und jetzt ist alles wie vorher. Auferstehung ist etwas ganz und gar Neues, ein neues Leben, eine neue Dimension. Gott schafft eine neue Wirklichkeit. Das Verstehen stößt an seine Grenze. Was geschehen ist, lässt sich nicht in bisherige Erfahrungen einsortieren. Ein neues Verstehen erschließt sich. Ein Erkenntnissprung. Sie finden dafür nur schwer Worte: im Licht einer neuen Wirklichkeit sieht alles anders aus.
„Ich möchte euch an das Evangelium erinnern, das ich euch verkündet habe. Ihr habt diese Botschaft angenommen, sie ist die Grundlage eures Lebens geworden, und durch sie werdet ihr gerettet.“ Leid und Tod behalten nicht das letzte Wort. Das ist die Mitte unseres Glaubens. Jesus ist für uns gestorben. Er geht uns voraus. Er erschließt uns neues Leben. Paulus schreibt: Ohne Ostern ist unser Glaube vergeblich. Aber auch er weiß, wie schwer wir uns tun, zu glauben, wie tief die Angst sitzt, wie sehr uns Leid und Tod und Terror erschrecken, wie unfassbar uns der Abschied von geliebten Menschen erscheint.
„Mein Glaube ist des Zweifels voll, weil ich nur dieses Leben sehe, und möchte doch dein Leben schauen, ich bitte, Herr, hilf mir vertrauen!“
Der Glaube muss erzählt werden. Unsere Eltern, Lehrer, andere Menschen haben uns erzählt. Wir sind Glieder in einer Kette, die einander die Botschaft vom Sieg des Lebens weitergeben. Der Heilige Geist wirkt durch uns. Er benutzt unser Erzählen, dass er Glauben weckt. Darum betont Paulus die Übereinstimmung mit der Schrift und die lange Reihe der Zeugen der Auferstehung. In dieser Reihe nennt Paulus zuletzt sich selbst: „ich war wie einer, für den es keine Hoffnung mehr gibt, so wenig wie für eine Fehlgeburt (oder eine Missgeburt). Ja, ich bin der unwürdigste von allen Aposteln. Eigentlich verdiene ich es überhaupt nicht, ein Apostel zu sein, denn ich habe die Gemeinde Gottes verfolgt.“ Seine Selbstbeschimpfung ist durchaus ernst gemeint und gut begründet. Paulus hat die Christen und ihren Glauben bekämpft. „Dass ich trotzdem ein Apostel geworden bin, verdanke ich ausschließlich der Gnade Gottes.“
Allein der Gnade Gottes verdanken wir, dass der Glaube sich uns erschließt. Und dann ist es nicht so, dass wir für immer felsenfest darin stehen. Wir sind nicht jederzeit sicher, dass unser Leben gelingt und alles immer gut geht. Im Gegenteil: Wir wissen darum, wie zerbrechlich das Leben ist. Die Macht des Bösen, die viel zu vielen schlechten Nachrichten, zerstörerische Erlebnisse und immer wieder der Tod nagen beständig an unserer Hoffnung. Wir sind erschüttert von dem, was in der Welt geschieht. So wie die Frauen und Männer um Jesus erschüttert waren von seinem Tod. Sein Leiden zerstörte ihren Glauben. Der Zweifel am Sinn des Lebens und an der Güte von Gottes Schöpfung grub sich tief in ihre Seelen.
Doch dann kam unerwartet, kam von außen, kam gegen alle Wahrscheinlichkeit vom Himmel das Zeichen: Der Gekreuzigte blieb nicht im Tode. Gott hat zu ihm gehalten. Jesus ging nicht verloren. Er ist ein Teil von Gottes Leben geworden. Gottes Macht reicht weiter als die Macht des Todes. Gottes Licht ist stärker als die Finsternis. Gottes Kraft erneuert die Welt und überwindet das Böse.
Immer wieder müssen wir uns gegenseitig an die Botschaft erinnern, dass der Tod seine Macht verloren hat, dass das Leben siegt und die bösen Mächte zum Untergang verdammt sind.
„Christus ist auferstanden! Er ist wahrhaftig auferstanden!“ Durch Gottes Gnade glauben wir an Christus. Wir hoffen über unsere engen Grenzen hinaus. Der Tod behält nicht das letzte Wort. Christus ist auferstanden. Er lebt und schenkt uns Leben.
Amen