Predigt am 22.10.17 von Andreas Hansen über Lk 10,38-42
Als sie weiterzogen, kam Jesus in ein Dorf. Da war eine Frau mit Namen Marta, die nahm ihn auf. Und sie hatte eine Schwester, die hieß Maria; die setzte sich dem Herrn zu Füßen und hörte seiner Rede zu.
Marta aber machte sich viel zu schaffen, ihnen zu dienen. Und sie trat hinzu und sprach: Herr, fragst du nicht danach, dass mich meine Schwester lässt allein dienen? Sage ihr doch, dass sie mir helfen soll!
Der Herr aber antwortete und sprach zu ihr: Marta, Marta, du hast viel Sorge und Mühe. Eins aber ist not. Maria hat das gute Teil erwählt; das soll nicht von ihr genommen werden.
Maria und Marta – ist das eine Freiheitsgeschichte?
Ja, auf jeden Fall eine Geschichte von der Freiheit der Kinder Gottes, also von uns. Maria nimmt sich die Freiheit aus der Rolle zu fallen und zu tun, was Männern vorbehalten war. Sie entscheidet für sich, bei Jesus zu studieren. Das hat für sie Priorität. Und Jesus gibt ihr Recht – super!
Zuerst muss ich einige Missverständnisse zurechtrücken: Zahllose Frauen ärgern sich über diese Geschichte. Es verletzt sie, wie Jesus Marta herunterputzt, als wäre ihre Arbeit nichts wert. Was Frauen leisten, wird sowieso nicht wertgeschätzt, und jetzt das! Wenn eine heute auch noch Marta heißt … oh, Jesus!
Nein, halt, ganz falsch verstanden!
Marta ist eine starke selbstbewusste Frau. Sie und eine Reihe anderer Frauen gehören zu den Jesusleuten. Ihre Gastfreundlichkeit, Gastfreundlichkeit überhaupt ist wesentlich für uns Christen – davon lebt die Gemeinschaft, das Gespräch über das, was uns wichtig ist – wir erleben das immer wieder, zum Beispiel auch im Vorbereitungskreis für diesen Gottesdienst. Jesus lädt gerne in seinen Kreis ein. Er schätzt und genießt die Gastfreundschaft sehr. Keineswegs putzt er Marta herunter. Marta und Maria werden auch im Johannesevangelium als enge Vertraute Jesu genannt. Ich vermute sogar, Marta war so cool, so souverän, dass sie selbst davon erzählt hat, was ihr mit Jesus passiert ist.
Dass Marta überhaupt Männer in ihr Haus einlädt, ist damals ungewöhnlich, ja anstößig. Jesus und seine Jüngerinnen und Jünger setzen Zeichen. Frau oder Mann, für die Getauften und im Glauben an Jesus spielt das keine Rolle mehr – so wird Paulus schreiben.
Mithin, meine Herren, liebe Männer! Das ist keine Frauengeschichte, sondern genauso bedeutend für uns: wir alle sind Marta und Maria.
„Marta, Marta, du hast viel Sorge und Mühe. Eins aber ist not. Maria hat das gute Teil erwählt; das soll nicht von ihr genommen werden.“
Maria tritt einen Schritt zurück von den Sorgen und Mühen. Sie kümmert sich jetzt nur um das Eine. Maria lässt ihr Smartphone liegen. Sie fragt nicht nach dem, was die Leute sagen. Sie hört nicht auf die innere Stimme, die ihr Pflichten und Karriereziele vorgibt. Sie löst sich sogar von der Sorge um ihre Lieben, um die Not der Welt, um Gesundheit und Zukunft.
Maria tritt von dem allen gleichsam einen Schritt zurück und wählt jetzt das Eine, was not ist. Dieses Eine, das Evangelium spricht sie frei.
Wir sind Maria.
Jesus sagt auch uns, was unser Leben und unsere Freiheit begründet, das Evangelium von der Liebe Gottes, die uns gilt.
Wir sind wie Maria geliebte Kinder Gottes. Wir feiern in jedem Gottesdienst, in jedem Gebet das Vertrauen und die Freiheit der Kinder Gottes. Wie Maria treten wir einen Schritt zurück von den Sorgen und Mühen, nehmen Abstand und konzentrieren uns auf das Eine, was not ist. Wie Maria haben wir nichts Besseres zu tun, als auf Gott zu hören und ihn zu loben.
Der Sonntag ist ein Symbol für unsere Freiheit. Aber auch im Alltag wissen wir, dass wir nicht aufgehen in unseren Sorgen und Mühen.
Wir sind Maria.
Aber wir sind dann auch Marta.
Zu unserem Leben als Christen gehört auch die Marta-Seite. Wir sind bereit uns einzusetzen. Wir sind bereit Verantwortung zu tragen. Wir sind bereit Bindungen einzugehen in Partnerschaft, Familie, Beruf, Ehrenamt.
Das ist Freiheit, dass ich mich entscheide für einen Menschen oder für eine Sache, dass ich meine Zeit, meine Kraft, mein Leben einsetze, dass ich eventuell sogar falsch entscheide und Schuld auf mich nehme. Aber ich gehe nicht auf in dem allen. Mein Selbstwert hängt nicht daran, dass ich mich einsetze und Erfolg habe und anerkannt bin.
Zuerst bin ich wie Maria frei, frei vor Gott.
„Marta, Marta, du hast viel Sorge und Mühe. Eins aber ist not. Maria hat das gute Teil erwählt; das soll nicht von ihr genommen werden.“
Alle schauen jetzt Marta an. Die ist über Jesu Antwort zuerst erschrocken und enttäuscht.
Aber dann sieht sie, wie Jesus sie anlächelt und wie glücklich Maria schaut. „Worüber habt ihr denn geredet?“ fragt sie und setzt sich neben ihre Schwester.
Wir sind Maria.
Wir sind Marta.
Wir sind so frei.
Bleiben wir einen Moment still.