Predigt über Jesaja 55,6-13, 31.1.16

Predigt am 31.1.16 von Andreas Hansen über Jes 55,6-13

Gottesdienst am Abend mit besonderer Einladung an Menschen, die neu zugezogen sind oder Neues beginnen

Jesaja 55,6-13 Der Prophet spricht:

Sucht den HERRN, da er sich finden lässt, ruft ihn, da er nahe ist! Der Gottlose verlasse seinen Weg und der Mann des Unheils seine Gedanken, und zum HERRN kehre er zurück, dann wird dieser sich seiner erbarmen, zu unserem Gott, denn er ist reich an Vergebung.

Gott spricht:

Denn meine Gedanken sind nicht eure Gedanken, und eure Wege sind nicht meine Wege, Spruch des HERRN, denn so hoch der Himmel über der Erde ist, so viel höher sind meine Wege als eure Wege und meine Gedanken als eure Gedanken.

Gott spricht:

Denn wie der Regen und der Schnee herabkommen vom Himmel und nicht dorthin zurückkehren, sondern die Erde tränken und sie fruchtbar machen und sie zum Sprießen bringen und Samen geben dem, der sät, und Brot dem, der isst, so ist mein Wort, das aus meinem Mund hervorgeht: Nicht ohne Erfolg kehrt es zu mir zurück, sondern es vollbringt, was mir gefällt, und lässt gelingen, wozu ich es gesandt habe.

Der Prophet spricht:

Denn mit Freude werdet ihr ausziehen, und in Frieden werdet ihr geleitet. Vor euch werden die Berge und die Hügel in Jubel ausbrechen, und alle Bäume des Feldes werden in die Hände klatschen. Wacholder wird sprießen statt der Dornen, Myrte wird sprießen statt der Nessel. Und dem HERRN zum Ruhm wird es geschehen, als ewiges Zeichen; nie wird es getilgt.

Der Prophet spricht. Er lädt ein, er ermutigt, er drängt. Jetzt ist Gott nah. Ruft ihn! Jetzt lässt Gott sich finden. Sucht ihn! Hört doch, wie gut Gott zu euch ist! Lasst diese Chance nicht ungenutzt! Zuletzt schwärmt der Prophet von einem wunderbaren Neubeginn. „mit Freude werdet ihr ausziehen, und in Frieden werdet ihr geleitet“ Er überschlägt sich fast in wunderschönen Bildern. Selbst Berge und Hügel brechen in Jubel aus, Bäume klatschen in die Hände, in der dürren Steppe wachsen Wachholder und Myrte. Am Ende wird alles heil und gut – so könnte man seinen Jubel zusammenfassen.

Ob sein Volk ihn hören kann? Seit Jahrzehnten leben sie fern von Israel in Babylon. Eine ganze Generation hat den Tempel in Jerusalem nie gesehen und nie einen Gottesdienst erlebt. Ihr Glaube ist ihnen fremd geworden. Sie haben ihre Wurzeln verloren. Manche sind darüber verzweifelt und verbittert. „Gott hat uns vergessen.“ klagen sie, „wir verlieren uns in dieser Fremde, in Unfreiheit und Unterdrückung.“ Die Meisten aber haben sich längst in Babylon eingerichtet. Hier sind sie nun zuhause. Etwas anderes können und wollen sie sich nicht vorstellen. Sie vermissen nichts. Auch den Gott Israels vermissen sie nicht. Der Prophet spricht. Erreicht er die einen in ihrer Hoffnungslosigkeit, in ihren Zweifeln? Hören ihm die Gleichgültigen überhaupt zu?

Ein unbekannter Prophet schreibt die Kapitel, die man auch das Trostbuch Israels nennt. Sie gehören zu den schönsten Abschnitten der Bibel. Wir nennen ihn etwas hilflos den zweiten Jesaja, Deuterojesaja, weil er im Buch Jesaja, Kapitel 40 bis 55 zu finden ist – unsere Verse sind der Abschluss seiner Gedanken. Der Prophet spricht von einem Neubeginn mitten in der schlimmsten Krise, nach der Vertreibung, in der Fremde, zutiefst in Frage gestellt. In dieser Krise findet Israel zu sich selbst. Hier ist der jüdische Glaube eigentlich entstanden.

Herrmann Hesse schwärmt vom Zauber des Anfangs, der uns beseelt. In diesen Zeiten wachsen wir. Aber ganz oft ist es einfach mühsam, verbunden mit Krisen und Schmerzen, wenn wir Neues beginnen. Es kostet Kraft sich umzustellen. Es ist schmerzhaft, auf das zu sehen, was war.

Am Mittwoch erinnerte sich unser Land an die Befreiung des Vernichtungslagers Auschwitz am 27. Januar 1945 – was für ein Schock bis heute! Nichts ist mehr wie es war nach so unvorstellbaren Verbrechen. Wir Deutschen haben lange gebraucht um uns mit dieser Vergangenheit auseinander zu setzen und wirklich neu zu beginnen. Auch für die Opfer und ihre Nachkommen beginnt nach Auschwitz gleichsam eine neue Zeitrechnung.

Ein anderer leidvoller und hoffnungsvoller Beginn: Am dritten Montag im Januar ist in den USA Feiertag. Man erinnert an Martin Luther King, der am 15. Januar 1968 ermordet wurde. Inzwischen wird in allen US-Staaten dieser Tag gefeiert, ein Aufbruch in die Freiheit, ein Schritt hin zu mehr Gerechtigkeit. Martin Luther King sagte: „Du bist nur solange Sklave, wie Du Dich selbst mit dieser Rolle abfindest.“

Werden wir irgendwann sagen, dass der Herbst 2015 mit der Aufnahme so vieler Flüchtlinge ein guter Neuanfang war? Gewiss leidvoll und mühsam, eine Krise. Vieles ändert sich, aber es ist doch ein Weg zu mehr Gerechtigkeit. Werden wir so reden können über diese Zeit?

Der Prophet spricht: „Jetzt ist Gott nah. Ruft ihn! Jetzt lässt Gott sich finden. Sucht ihn! Der Gottlose verlasse seinen Weg. Kehrt um zu Gott. Er ist reich an Vergebung.“ Gott sei Dank sind unsere Neuanfänge selten so gewaltig. Das wäre ja auch nicht zu verkraften. Aber manche und mancher von uns kennt Neuanfänge im Leben, die uns tief erschüttern und nur schwer zu bestehen sind. Scheidung und Abschied oder ein Neuanfang, belastet von Konflikten und Ängsten.

Der Prophet ermutigt uns, den Schritt zu wagen: Vertraut eure neuen Wege Gott an! Aber auch: Kehrt um, nehmt Gott beim Wort, folgt ihm! Der Prophet spricht damals gegen die Resignation der einen und die Gleichgültigkeit der anderen. Wie er wird auch Jesus sagen: „Kehrt um zu Gott! Mitten unter euch ist Gottes Reich. Nehmt Gott ernst!“

Unsere Fragen bekommen einen anderen Klang, wenn wir sie an Gott richten. „Wie gehst du weiter mit mir? Was hast du mit mir vor, Gott? Was soll ich tun? Und was sollen wir tun?“ Das Leben wird nicht mit einem Male klar und leicht. Die Fragen sind nicht erledigt. Aber wir bekommen eine andere, weitere Sicht.

Der Prophet sagt Gottes Wort. Gott spricht. „Denn meine Gedanken sind nicht eure Gedanken, und eure Wege sind nicht meine Wege, Spruch des HERRN, denn so hoch der Himmel über der Erde ist, so viel höher sind meine Wege als eure Wege und meine Gedanken als eure Gedanken.“

Einige meiner Drittklässler fragen: „Gibt es Gott?“ Sie erleben selten Menschen, denen der Glaube an Gott etwas bedeutet und die davon auch reden. In ihrem Leben, im Leben vieler Menschen kommt Gott nicht vor. Ein Wort ohne Bedeutung? Nein, wir verstehen Gott nicht einfach. Auch denen, die ihn suchen, die beten und in die Kirche gehen, ist Gott immer wieder ein Geheimnis und manchmal entsetzlich fern. Das Wort von den viel höheren Gedanken und Wegen Gottes lässt uns bescheiden werden. Gott lässt sich nicht einpassen in unsere Vorstellungen. Aber wir hören es auch als Trost: Gott sieht viel weiter als wir. Gott sieht einen Weg, es gibt einen Weg, wo uns alles so aussichtslos festgefahren erscheint, wie im Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern. Gott sieht einen Weg, es gibt einen Weg, wo wir vor Trauer und seelischer Not nicht weiter wissen. Wir verstehen Gott nicht. Es gibt ihn nicht so, wie sich das ein Drittklässler vorstellen mag, und nicht so, wie wir denken. Der Unterschiede ist unendlich, seine Gedanken nicht unsere, unsere Wege nicht seine. Aber da ist ein Weg für uns, ein Denken und Wollen. Und Gott kommt über den unendlich Abstand zu uns, indem er spricht, uns anspricht.

Gott spricht: „Denn wie der Regen und der Schnee herabkommen vom Himmel und nicht dorthin zurückkehren, sondern die Erde tränken und sie fruchtbar machen und sie zum Sprießen bringen und Samen geben dem, der sät, und Brot dem, der isst, so ist mein Wort, das aus meinem Mund hervorgeht: Nicht ohne Erfolg kehrt es zu mir zurück, sondern es vollbringt, was mir gefällt, und lässt gelingen, wozu ich es gesandt habe.“

Gott spricht ein Wort und wirkt Segen, Brot, Leben. Gott spricht, und sein Wort vollbringt, was ihm gefällt. Gott spricht uns an und überwindet in seinem Wort den unvorstellbar großen Abstand. Er ist bei uns in seinem Wort. Gott lässt sich finden. Jesus wird das aufnehmen und verstärken. Die Verlorenen will er suchen und retten. Menschen, die nicht mehr mit Gott rechnen, will er erreichen, Gott-lose, Gott-fremde, an Gott Verzweifelte, Gleichgültige, alle sucht er.

Der Prophet hat Gott gehört. Darum muss er sprechen: Sucht Gott, denn er lässt sich finden! Ruft ihn, denn er ist nah! Und darum ist er so tief überzeugt, dass der Schritt in das Neue gelingen wird: Mit Freude werdet ihr ausziehen und in Frieden werdet ihr geleitet.

Der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen

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