Predigt über Hebr 5,7-9, gehalten von Pfr. Ewald Förschler am 26.3.23

Lesung aus dem Hebräerbrief im 5. Kapitel die Verse 7-9: Christus hat in den Tagen seines irdischen Lebens Bitten und Flehen mit lautem Schreien und mit Tränen vor den gebracht, der ihn aus dem Tod erretten konnte; und er ist erhört worden, weil er Gott in Ehren hielt. So hat er, obwohl er der Sohn war, doch an dem, was er litt, Gehorsam gelernt. Und da er vollendet war, ist er für alle, die ich gehorsam sind, der Urheber der ewigen Seligkeit geworden. AMEN
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Liebe Gemeinde,
als ich diese Woche in der Breisgau S-Bahn von Freiburg nach Bahlingen unterwegs war, hörte ich, wie sich zwei Jungs unterhielten. Sie sprachen über Fußball. Dann redeten sie über die Schule. Einer von ihnen sagte, er brauche, um versetzt zu werden, in der nächsten Deutscharbeit mindestens eine Drei. Thema sei das Buch „Geschichten aus dem Wienerwald“. Ich merkte dem jungen Mann an, dass ihm das ordentlich Druck machte und ich konnte es ihm echt nachfühlen, weil ich das von meiner Schulzeit kenne.
Was uns von Jesus heute berichtet wurde, können wir auch nachempfinden. Wir haben in der Lesung gehört, dass er in den Tagen seines irdischen Lebens laut schreiend und weinend betete, Gott möge ihm den Tod ersparen. Wir können uns in Jesus geradezu hineinversetzen und auch wenn wir unser Leid und unsere Angst vor dem Tod nicht laut hinausschreien, so bitten wir doch Gott darum, er möge uns beistehen. So gibt es in der Welt ein Mitfühlen mit dem anderen. Und wir können uns mit Jesus und Jesus kann es mit uns, weil wir mit ihm und er mit uns im Menschsein verbunden sind.
In der Zeit seines irdischen Lebens. Ja, Jesus hat gelebt. Nur kommt das oft zu kurz. Angesprochen auf die Frage, was Jesus für uns getan hat, antworten bestimmte Kreise: Jesus ist für uns gestorben. Dabei greift das zu kurz. Denn Jesus hat auch für uns gelebt. Und deshalb macht es Sinn zu sehen, wie er als Mensch gelebt hat, wo und wie er aufgewachsen ist, was er gesagt und getan hat und wie das dann gekommen ist mit seinem viel zu frühen Tod. Denn es muss sonderbar anmuten, dass selbst im Glaubensbekenntnis das Leben Jesu zu kurz kommt.
Dort haben wir vorhin bekannt: empfangen durch den Heiligen Geist, geboren von der Jungfrau Maria, gekreuzigt, gestorben, begraben, hinabgestiegen, auferstanden. Es könnte der Eindruck entstehen, als wäre Jesus nur auf die Welt gekommen, um zu sterben. Der Gedanke greift allerdings zu kurz. Es lohnt sich, ja es ist geradezu notwendig, sich in die Zeit zu versetzen, in der Jesus gelebt hat.
Die Frage „Warum musste Jesus sterben?“ führt uns erst einmal in sein irdisches Leben hinein. Wie war dieser Jesus als Mensch? Ihm konnte der Kragen platzen und er konnte mit Kindern spielen und sie liebkosen. Er verkündigte und lebte eine radikale Liebe, die den Feind miteinschließt. Sein Herz schlug für die Armen. Ihnen sagte er: Ihr seid das Licht der Welt. Ihr seid das Salz der Erde. Er heilte und vergab und gab so Menschen eine neue Lebensperspektive. Im 7 Quellenland bei Kapernaum am See Genezareth sprach er vom Kommen des Reiches Gottes. Wenn wir Jesus mehr und mehr verstehen und kennenlernen, stellt sich die Frage dann eben so: Warum musste dieser Mensch als Verbrecher draußen vor den Toren Jerusalems am Kreuz verrecken? Wie kann das sein? Diese Frage zuzulassen, ernst zu nehmen und in ihrer Tiefe zu erfassen, wurden die Jesusgläubigen durch die Auferweckung Jesu ermutigt. Jetzt wussten sie: wenn dieser Mensch Jesus so sinnlos gestorben ist, dann muss das eine tiefe Bedeutung haben. Und so finden wir im Neuen Testament viele Antworten auf diese Frage. Und eine dieser Antworten gibt uns heute der Hebräerbrief. Jesus wird dort der wahre Hohepriester genannt. Das ist ein Affront gegenüber dem amtierenden Hohepriester im Tempel. Der Hohepriester ist nämlich der Einzige, der das Allerheiligste im Tempel betreten darf. Dort steht die Bundeslade mit den Gesetztafeln, die Mose am Sinai empfangen hat. Auf der Bundeslade stehen sich zwei abgebildete Engel gegenüber. Sie bewachen die Bundeslade. Über ihnen wohnt Gott. Er ist dort gegenwärtig mit seiner Herrlichkeit. Der Hohepriester kommt mit den Sünden des Volkes in dieses Allerheiligste, opfert Gott, damit er sich über das Volk und – jetzt kommt´s! – auch über ihn selbst erbarme. Wenn jetzt Jesus der wahre Hohepriester ist, dann verändert sich was.
Wir müssen uns das jetzt so vorstellen. Während Jesus draußen vor den Toren Jerusalems am Kreuz leidet und stirbt, wird im Tempel vom Hohepriester Kaiphas Gottesdienst gefeiert. Der Hohepriester geht ins Allerheiligste, bringt Gott Opfer dar und bitten ihn um Vergebung für die Sünden des Volkes und seiner eigenen. Der Hebräerbrief fragt uns jetzt: Wo steht ihr? Feiert ihr mit der Masse im Tempel oder seid ihr bei Jesus unter dem Kreuz draußen vor der Stadt auf unreinem Gelände? Welchen Gottesdienstraum wählt ihr: den irdischen oder den himmlischen? Denn parallel zum Gottesdienst im Tempel lief ein himmlischer Gottesdienst ab und der, der vor der Stadt stirbt, der ist der wahre Hohenpriester. Er vereinigt in sich alle Opfer und ist das einzige Opfer. Er bringt sich selber dar. Will sagen: im Tempel in Jerusalem gab es viele Opfer und viele Priester. Aber im Himmel gibt es nur ein Opfer und einen Hohepriester. Und der ist Jesus und nur er wird dort willkommen geheißen.

Mit lautem Schreien, mit Verzweiflung, mit Bitten und Flehen ist Jesus diesen Weg gegangen, auch da hinein, wo das Leben Aua macht. Und er hat was gelernt dabei. Er hatte sich entschieden, diesen Weg der radikalen Liebe zu gehen und ganz ins zutiefst Menschliche hinabzusteigen. Dass er dafür mit seinem Leben bezahlen würde, hatte er nicht auf der Rechnung. Doch er entschied sich, den Weg zu vollenden. Er blieb sich treu. Das lernte er. Sich treu bleiben. Denn, liebe Gemeinde! Jesus ermutigt uns, auf dieses leise, feine Gefühl zu achten, das einen sagt: So machst du es richtig! Du bist auf deinem Weg. Geh weiter! Verstehen wir jetzt, warum Jesus sagt: Ich bin der Weg?
Als ich, in Bahlingen angekommen, aus der S-Bahn ausstieg und die zwei Jungen vor mir laufen sah, ist es mir wie Schuppen von den Augen gefallen. Ich habe den Jungen verstanden, weil ich das Gleiche erlebt habe. Genauso ist es mit Jesus. Er hat alles schon erlebt, was mir passiert ist und passieren wird, damit er ganz bei mir sein, bei mir stehn, mir beistehn und mich so verstehen kann. Damit ich nicht allein verzweifelt sein muss. Und mit der Kraft seiner Gegenwart den nächsten Schritt gehen kann.
Und ich merkte, als ich durch Bahlingen ging: Ich habe meinen Platz gefunden. Bei IHM draußen…
Und der Friede Gottes, welcher höher ist als alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus, unserem Herrn. AMEN