Predigt am 12.Januar14 von Andreas Hansen über Jesaja 42,1-4
Liebe Gemeinde,
„Gott nahe zu sein ist mein Glück“ heißt die Jahreslosung, das Bibelwort, das uns 2014 begleiten soll. Auf der kleinen Karte mit der Jahreslosung sieht man, was die Konfirmanden des letzten Jahrgangs gestaltet haben, eine Erinnerung an unsere Taufe. Gott will uns nahe sein. Das hat er uns in der Taufe zugesagt. Gott nahe zu sein ist mein Glück. Allerdings beschreibt der Psalm, in dem unsere Jahreslosung steht, einen tief erschütterten Glauben. Der Beter hätte seinen Glauben beinahe verloren, denn es ist so viel Unrecht in der Welt. Denen, die sich über alles Recht hinwegsetzen, geht es blendend – wie kann das angehen? Vielen Menschen geschieht Unrecht, den Opfern von Krieg, Terror, Fanatismus – dahinter stehen oft nur Machtgier und Habgier. Viele werden unterdrückt, sie dürfen ihre Meinung nicht sagen, in Russland oder in der Türkei, oder sie bekom-men nicht, was jedem Menschen zusteht, z.B. Mädchen in Pakistan, die nicht in die Schule dürfen. Wir leben in so viel besseren Verhältnis-sen, aber wir wissen doch, wie es denjenigen geht, denen ihr Recht vorenthalten wird. Wir selbst sind empört und verletzt, wenn wir nicht zu unserem Recht kommen. Kleinigkeiten wie eine Unhöflichkeit können uns aus der Fassung bringen. Tief erschüttert sind die, die machtlos hinnehmen müssen, wenn ihr Recht mit Füßen getreten wird. Gott nahe zu sein ist unser Glück, denn Gott kennt unsere Sehnsucht nach Recht. Allen soll Recht geschehen. So wird es sein – dann wird Gottes Friede herrschen.
Hören wir jetzt den Predigttext, Jesaja 42,1-4: Gott spricht: Seht meinen Diener, ich halte ihn, meinen Erwählten, an ihm habe ich Gefallen. Ich habe meinen Geist auf ihn gelegt, das Recht trägt er hinaus zu den Nationen. Er schreit nicht und wird nicht laut und lässt seine Stimme nicht hören auf der Gasse. Das geknickte Rohr zerbricht er nicht, und den verglimmenden Docht löscht er nicht aus, treu trägt er das Recht hinaus. Er erlischt nicht und wird nicht geknickt, bis er das Recht in Kraft gesetzt hat auf der Erde; auf seine Weisung warten die Inseln. „Seht meinen Diener, meinen Erwählten“ Gott ernennt einen Minister. Minister heißt übersetzt Diener. Ein Minister hat viel Macht und soll doch dienen, dem Staat oder Gott dienen. Gott hat einen Minister ausgewählt und setzt ihn nun ein. Er soll mit ihm und für ihn regieren. Er soll Gottes Recht zu den Völkern bringen, denn alle Welt wartet sehnlich auf das Recht.
Wer ist dieser Diener? Darüber rätseln wir bis heute. Viermal ist im Jesajabuch von Gottes Diener die Rede. Die Forscher nennen diese vier Stellen Gottesknechtslieder. Wer ist das? Das Volk Israel oder viele aus dem Volk lebt in jener Zeit in der Verbannung, fern von zuhause eingesperrt, unterdrückt, ausgeraubt, rechtlos. Will Jesaja sein Volk mit der Hoffnung auf einen Retter trösten? Ist das Volk Israel selbst der Diener Gottes, der alle Völker erreichen soll? Wir hören, der Diener hat ein besonderes Gespür für die Leidtragenden. Er brüllt nicht herum wie ein Rambo. Er hilft den Geknickten auf. In den anderen Texten heißt es, dass der Diener selbst angegriffen und geplagt wird. Die ersten Christen meinten und bis heute verstehen wir: Jesaja beschreibt, was in Jesus geschieht. Und doch geht diese Deutung nicht ganz auf. Wer ist der Diener Gottes? Tragen auch wir manchmal seine Züge? Sollen wir in seinem Sinn leben, Gottes Diener und Ministerinnen sein? Seht meinen Diener, ich halte ihn, meinen Erwählten, an ihm habe ich Gefallen. Ich habe meinen Geist auf ihn gelegt, das Recht trägt er hinaus zu den Nationen. Gott ernennt einen Minister. Er gibt einen Auftrag und er gibt ein Versprechen: Sein Recht kommt zu den Völkern. Allen Menschen wird Recht geschehen. Sein Reich kommt, sein Frieden. Denn nach Gottes Weisung und seinem Recht sehnen sich die Inseln, also alle Menschen bis zum hintersten Winkel der Erde.
Gott kennt unsere Sehnsucht nach Recht. Menschen, deren Rechte lange missachtet wurden, reagieren überempfindlich. Ihnen soll Recht geschehen. Der Aufreger der letzten Tage ist der Bildungsplanentwurf für unser Bundesland. Homosexuelle Menschen sollen nicht verspottet und ausgegrenzt, sondern akzeptiert werden. Natürlich ist das richtig. Ihnen ist lange Zeit grausam Unrecht geschehen. Die aktuelle Hetzkampagne zeigt, wie nötig es ist, das zurecht zu rücken. Was ich im Entwurf des Bildungsplanes gelesen habe, mag etwas übertrieben klingen, aber ich sehe keine Gefahr, dass ab 2015 die Lehrer unsere Kinder verstören werden. Im Gegenteil: es wird wohl noch lange dauern, bis Kinder auf dem Schulhof einander nicht mehr als schwul beschimpfen. Das geknickte Rohr zerbricht er nicht, und den verglimmenden Docht löscht er nicht aus. Die Verachteten und Gedemütigten sollen Recht bekommen. Der Minister Gottes ist an ihrer Seite.
Gott kennt unsere Sehnsucht nach Recht. Wie empfindlich reagieren wir, wenn wir unser Recht in Gefahr sehen, wenn Menschen uns angreifen und Unrecht tun. Wie sehr nehmen uns Konflikte gefangen, wenn Interessen gegeneinander stehen und jeder versucht sich durchzusetzen, wenn wir uns ange-griffen fühlen, uns wehren und so leicht über das Ziel hinaus schießen, wenn ein alter Streit immer wieder ausgegraben wird und uns zermürbt. Wir wollen, dass allen und vor allem uns selbst Recht geschieht – natürlich! Und natürlich gibt es selbst in so netten Gemeinden wie der unseren oder in jeder Familie, jedem Freundeskreis, jeder Schulklasse, jedem Kollegenkreis Empfindlichkeiten, dass sich jemand zurückgesetzt fühlt, verletzt und beleidigt schweigt oder lauthals seinem Ärger Luft macht. Wie sehr zehrt das an uns, was nicht recht läuft und was nicht gerecht ist. Wie sehr kann uns das erschöpfen und frustrieren, wenn wir keinen Ausweg sehen. Jesaja spricht vom geknickten Rohr und vom glimmenden Docht – da ist fast kein Lebensmut und keine Energie mehr. Wir kennen das bei manchen Menschen und vielleicht bei uns selbst.
Ich hatte einen lieben Kollegen, der sagte einen guten Spruch, wenn wir nicht weiter wussten oder miteinander ein wenig gejammert haben: „Der Herr wird´s richten.“ Das hat mich immer wieder erstaunt und gut getan: „Der Herr wird´s richten.“ Das geknickte Rohr zerbricht er nicht, und den verglimmenden Docht löscht er nicht aus, treu trägt er das Recht hinaus. Er erlischt nicht und wird nicht geknickt, bis er das Recht in Kraft gesetzt hat auf der Erde. Jesaja weiß: Gott wird es richten. Das Volk Israel weiß das, trotz seiner unvorstellbar leidvollen Geschichte. Jesus setzt für die Geknickten und Bedrängten Gottes Recht in Kraft und bringt für uns alle das Recht des barmherzigen Vaters im Himmel. „Der Herr wird´s richten.“ Es ist so schwer, dass allen Menschen Recht geschieht. Wir sind manchmal so verzweifelt um unser Recht oder um das anderer besorgt. Aber wir können einen kleinen Schritt zurücktreten von dem, was solche Mühe macht. Gott ist uns nah, zum Glück. Und vielleicht meint er auch uns, wenn er seinen Minister ernennt: Seht meinen Diener, ich halte ihn, meinen Erwählten, an ihm habe ich Gefallen. Ich habe meinen Geist auf ihn gelegt, das Recht trägt er hinaus zu den Nationen. Amen