Apostelgeschichte 10

Predigt am 26. Januar 2014 von Andreas Hansen über Apg 10

Liebe Gemeinde,

wie ist es, wenn Gott da ist? Was spüren Menschen, die Gott begegnen? Dafür haben wir eigentlich keine Worte, die wirklich beschreiben können, was uns bewegt, erfüllt, ergreift. Wie ist es, wenn Gott da ist? Ist es wie ein großer Schrecken, erschütternd, wie ein Gewitter neben uns? Ist es friedlich, eine alles umgreifende Geborgenheit? Ist es wie eine heiße, tiefe Glut? Oder kalte Unendlichkeit, still und erhaben? Auf unserer Konfirmandenfreizeit am letzten Wochenende haben wir Bilder zu zwei biblischen Gotteserfahrungen gemalt, einer Vision von Jesaja und einer anderen aus der Offenbarung des Johannes. Wir haben versucht, abstrakt, ohne konkrete Formen ein Gefühl zu malen. Wie ist es, wie mag es sein, wenn Gott da ist?

Viele und ganz unterschiedliche Weisen, Gott zu erfahren beschreibt die Bibel. Und weil unsere Worte und Vorstellungen eigentlich nie hinrei-chen, hilft Gott mit Engeln, Träumen, Visionen, damit die Menschen auf seine Spur kommen. Oft verstehen sie erst mit der Zeit oder wenn es längst geschehen ist, dass Gott bei ihnen war und ist. Unser Predigttext ist ein langer Abschnitt in der Apostelgeschichte, fast das ganze Kapitel 10. Zwei Menschen erfahren da Gott. Beide sind schon vorher offen dafür. Und doch ist für beide überraschend, was geschieht, wenn Gott da ist. Ihr Leben bekommt eine neue Wendung durch die Erfahrung Gottes. Ich erzähle nach, was Lukas in der Apostelge-schichte schreibt: Am Mittelmeer haben die Römer eine neue Stadt gebaut, Caesarea, ein Zentrum ihrer Macht. Hier, nicht in Jerusalem, ist der römische Statthalter zuhause. Hier geht es römisch zu und die Juden sind fremd im eigenen Land. Hier lebt Cornelius, der Haupt-mann in einer römischen Elitetruppe. Wie viele gebildete Römer schätzt und unterstützt Cornelius den jüdischen Glauben. Viele waren angezogen vom Glauben an den einen Gott und von der moralischen Kraft der jüdischen Religion. Man nannte sie Gottesfürchtige. So einer ist der Hauptmann, ein frommer Mann. Aber er kann kein Jude werden. Er wird immer ein Goj, ein Heide bleiben, fremd, ein Zaungast. Die Grenze ist klar gezogen, unüberwindbar. Und nun kommt Gott zu Cornelius. Wie ist es, wenn Gott da ist? Erschrocken starrt Cornelius den Engel an, den er mitten am Tag sieht. Der gibt, als wäre es selbstverständlich, den Auftrag, dass er Petrus aus dem 50 km entfernten Jaffa, heute Tel-Aviv, zu sich holen lassen soll. Die Boten von Cornelius sind schon unterwegs. Da ist Gott auch bei Petrus. Auch Petrus hat mitten am Tag eine Vision. Er ist auf dem Dach des Hauses seiner Gastgeber. Er betet. Da sieht er vom Himmel ein Tuch herabkommen, voll mit Tieren, die für Juden unrein sind. Ich stelle mir das vor, wie von Dali gemalt. Eine Stimme vom Himmel befiehlt: „Schlachte und iss!“ „Niemals!“ ruft Petrus empört. Sein Leben lang hat er nichts Unreines gegessen. Die strenge Abgrenzung von allem „Unreinen“ ist für Juden ein Tabu. Aber Petrus hört die Stimme: „Was Gott für rein erklärt, das behandle du nicht, als wäre es unrein!“ Als kurz darauf die Boten des Cornelius kommen, versteht Petrus seine Vision. Er geht mit ihnen nach Caesarea, in die Stadt der verhassten Besatzungsmacht. Cornelius wartet am Hoftor auf Petrus. Er weiß, ein Jude würde niemals ein römisches Haus betreten. Er, der vornehme Offizier, kniet vor dem einfachen, jüdischen Mann nieder – was für eine Geste! Petrus zieht ihn hoch und betritt ohne zu Zögern das Haus des Römers. Er sagt: „Gott hat mir unmissverständlich klar gemacht, dass man keinen Menschen als unheilig oder unrein bezeichnen darf.“ „Wahrhaftig, jetzt wird mir erst richtig klar, dass Gott keine Unterschiede zwischen den Menschen macht. Er fragt nicht danach, zu welchem Volk jemand gehört, sondern nimmt jeden an, der Ehrfurcht vor ihm hat und tut, was richtig ist.“ Wie ist es, wenn Gott da ist? Da überwinden wir unsere engen Grenzen. Da führt Gott uns in neues Land. Da wird unwichtig, was uns getrennt hat. Petrus hatte viel zu klein und eng von Gott gedacht. Jetzt versteht er: Gott ist größer als unsere Vorstellungen. Für Cornelius beginnt ein neues Leben. Er hört, was Gott ihm durch Petrus sagt, das Evangelium. Er erkennt: Hier bin ich kein Fremder. Gott ist mir begegnet. Gott nimmt mich an. Ich gehöre zu ihm. Lukas beschreibt, dass Gottes Geist Cornelius erfüllt. Er jubelt und lobt Gott. Dann wird er von Petrus getauft. Die Gemeinde der Christen bekommt damals im heidnischen Caesarea einen wichtigen Impuls. Diese Begegnung von Cornelius und Petrus hat eine Tür geöffnet. Das Christentum ist nicht mehr nur ein Teil der jüdischen Glaubensgemeinschaft.

Wie ist es, wenn Gott da ist? Dann erschließt er uns neue Wege. Wir werden geführt wie Cornelius. Oder wir müssen unsere Perspektive ändern wie Petrus. Ich habe noch nie wie Cornelius einen Engel gesehen. Aber ich glaube doch, Gott hat mir Menschen geschickt, Begegnungen, Ereignisse, dass ich meinen Weg fand, dass ich auch bewahrt blieb, wie von Engeln geleitet. Gott ist da, wenn Neues aufbricht, Liebe und Freundschaft, eine Aufgabe, eine Entscheidung. Gott ist da, wenn uns etwas berührt und ergreift, so dass alles in einem anderen Licht erscheint. Oder wir erkennen im Nachhinein, dass etwas wie ein Wink war, der gerade uns meinte. Ich hatte noch nie eine Vision wie Petrus. Aber ich glaube, gerade an unseren Grenzen ist Gott uns besonders nah: in dem, was uns bevorsteht wie ein zu hoher steiler Berg, wo wir meinen: „Das schaffe ich nicht.“ Am Beginn eines neuen Lebensabschnitts schauen wir ein unsicher das Neue an. Wir müssen uns neu verorten. Wir suchen und fragen nach dem, was uns Grund und Halt gibt, wofür wir leben, was zählt. Wir fragen auf diese Weise auch nach Gott, der uns erschaffen hat. Oder Krankheit, Scheitern, Leid bringen uns an unsere Grenze und stellen alles infrage. Wir bitten um Hilfe, dass Gott heile und erlöse.

Wir hörten in der Lesung, dem Lobpreis aus dem Epheserbrief: Jesus wird alles im Himmel und auf Erden zusammenbringen. Wir schauen auf Jesus sehen in ihm Gottes Liebe für alle Menschen, für die ganze Schöpfung. Aber noch ist es nicht soweit. Noch ist so viel Leid und Schmerz und Unrecht da und plagt die Menschen. Im Lobpreis ahnen wir schon die Erfüllung. Ähnlich ist es in Benjamin Brittens Stück aus dem Jahr 1944. Da bedrängen Zweifel und Fragen. Und doch hat Gott eine Hoffnung geweckt. Schon jetzt, mitten in aller Spannung, allem Ungelösten, Schmerzlichen werden wir froh. Te Deum laudamus. Großer Gott, wir loben dich. Du siehst das Ganze, das Ziel unseres Lebens. Du überwindest unsere engen Grenzen. Du weist uns den Weg. Amen

Vor der Predigt singt die Kantorei von Benjamin Britten Te Deum, nach der Predigt singt die Gemeinde Strophen aus “Großer Gott, wir loben dich”