Predigt am 13.1.19 von Andreas Hansen über Jos 3,5-11.17
Und Josua sprach zum Volk: Heiligt euch, denn morgen wird der HERR Wunder unter euch tun.Und Josua sprach zu den Priestern: Hebt die Bundeslade auf und geht vor dem Volk her! Da hoben sie die Bundeslade auf und gingen vor dem Volk her. Und der HERR sprach zu Josua: Heute will ich anfangen, dich groß zu machen vor ganz Israel, damit sie wissen: Wie ich mit Mose gewesen bin, so werde ich auch mit dir sein. Und du gebiete den Priestern, die die Bundeslade tragen, und sprich: Wenn ihr an das Wasser des Jordans herankommt, so bleibt im Jordan stehen. Und Josua sprach zu den Israeliten: Herzu! Hört die Worte des HERRN, eures Gottes! Daran sollt ihr merken, dass ein lebendiger Gott unter euch ist und dass er vor euch vertreiben wird die Kanaaniter, Hetiter, Hiwiter, Perisiter, Girgaschiter, Amoriter und Jebusiter: Siehe, die Lade des Bundes des HERRN der ganzen Erde wird vor euch hergehen in den Jordan. Und die Priester, die die Lade des Bundes des HERRN trugen, standen still im Trockenen mitten im Jordan. Und ganz Israel ging auf trockenem Boden hindurch, bis das ganze Volk über den Jordan gekommen war.
Meine Familie hat mir davon erzählt, von der Flucht in den kalten Januartagen in Ostpreußen vor 74 Jahren. Man hatte noch verboten, Vorbereitungen für die Flucht zu treffen, als Königsberg schon besetzt war. Vom Sieg wurde geredet, als schon alles verloren war.
Dann musste es plötzlich ganz schnell gehen. Heimlich hatte fast jede Familie doch einen Wagen gepackt. Aber in der Hektik des Aufbruchs haben sie dann doch Unentbehrliches vergessen – eigentlich war es egal, denn das Meiste ging sowieso verloren – mit fast nichts kamen sie an.
Sie haben mir davon erzählt, aber ich kann es mir kaum vorstellen, wie es war: der Abschied, die Strapazen auf dem erzwungenen Umweg zur Küste, das Gedränge auf dem Schiff – andere Schiffe mit Tausenden Menschen liefen auf Minen oder wurden getroffen – dann in Schleswig-Holstein und später hier: ein Flüchtling sein, ein Niemand, ein Bittsteller, widerwillig aufgenommen, argwöhnisch auf Abstand gehalten.
Vielleicht ist diese Erinnerung verblasst, weil die andere so stark wirkte: der Neubeginn mit Arbeit und den ersten Anschaffungen – wie Könige fühlten sie sich in der ersten Wohnung, die sie nicht mehr mit den Großeltern teilen mussten. An Krieg und Flucht wollten sie nicht denken. Nur im Albtraum kehrten die Erinnerungen manchmal zurück und haben manche dieser Generation im Alter noch geplagt.
Wie beginnt man neu, wenn alles, was war, zerbrochen ist?
Wie ist es für „unsere“ Flüchtlinge heute und hier?
Alle Brücken abbrechen und neu anfangen: So ähnlich erleben es Menschen, die ihre Arbeit und ihr Zuhause verlieren, oder wenn Beziehungen zerbrechen und man plötzlich alleine dasteht.
Wie geht es weiter?
Wo ist eine Hand, die mich führt, eine Brücke über den Fluss, ein Ausweg aus der Not?
Die Israeliten sehen den Jordan vor sich. Es ist eigentlich ein kleiner Fluss, aber jetzt schmilzt der Schnee auf dem Libanon. Das Wasser des Jordan ist tief und reißend schnell und tritt über die Ufer.
Sollen sie warten, so kurz vor dem Ziel? Lang sind sie durch die Wüste gegangen, immer wieder erschöpft, verzweifelt, in Not – aber immer wieder auch bewahrt, gerettet, gestärkt.
Der Prophet Jeremia meint später über diese Zeit: „Wie ein Honeymoon, wie die erste Liebe war diese Zeit in der Wüste. Voll Vertrauen seid ihr Gott gefolgt.“
Soll Josua es wagen, das Volk über den Fluss zu führen? Gott sagt: „Ich werde mit dir sein, wie ich mit Mose gewesen bin. Geh hinüber!“ Wie damals am Schilfmeer stehen sie vor dem Wasser und kommen nicht weiter. Damals drohte hinter ihnen das Heer der Ägypter mit seinen Streitwagen, modernste und weit überlegene Militärtechnik. Da wagten sie den Schritt und das Meer teilte sich und Gott schützte sie. Sie waren gerettet.
„Erinnert euch und habt Vertrauen! Wagt euch über den Fluss, ins Ungewisse, auf den Weg mit all seinen Gefahren! Ihr sollt es erfahren, wie eure Mütter und Väter! Ihr sollt vertrauen wie sie!“
Die Lebens- und Glaubenserfahrungen unserer Mütter und Väter helfen uns weiter. Wir stehen auf ihren Schultern und schöpfen aus dem, was sie erlebt haben. Josua blickt zurück auf den Weg des Mose und bekommt Mut. Wir stehen auf den Schultern derer, die vor hundert Jahren eine demokratische Ordnung nach Krieg und Kaiserreich schufen. Wir bauen auf das, was die Mütter und Väter des Grundgesetzes vor 70 Jahren formulierten. Wir blicken zurück auf die Flüchtlinge, den Fall der Mauer, die Einwanderung der Deutschen aus der ehemaligen Sowjetunion.
Natürlich kann man vieles anführen, was meiner Familie damals nach der Flucht geholfen hat. Sie haben Glück gehabt, dass sie einander fanden, dass sie die Not überstanden und in der Zeit des Aufbaus und dann des Wirtschaftswunders eine Chance bekamen. Aber man kann auch sagen: Gott hat sie bewahrt und ihnen Glauben und Kraft gegeben sich wieder aufzurichten.
Wie also gehen wir den nächsten Schritt, wenn wir vor dem Fluss stehen, Konflikte und Gefahren vor uns – es können auch Übergänge sein, die nur uns persönlich betreffen? Wie geht Josua damals in das, was so unübersichtlich und bedrohlich ist? Die Bundeslade lässt er vorangehen. In dem kostbar verzierten Kasten, den die Priester tragen sind die Tafeln der Gebote. Gott verspricht: „Ich bin dein Gott. Ich habe dich befreit.“ Und Gott wartet auf unsere Antwort. Ein gegenseitiges Versprechen ist der Bund. Den hat Gott uns gegeben. Er ist und bleibt unser Gott, der uns befreit. Wir sind und bleiben die Seinen. Josua sagt zum Volk „Heiligt euch für Gott!“ Dann geht er den ersten Schritt: im Vertrauen auf Gott, der Mose und dem Volk geholfen hat.
Vertrauen ist zuerst passiv: Ich lasse zu, ich lasse an mir geschehen, was jetzt kommt, denn Gott ist bei mir, was auch geschieht. Vertrauen ist aber auch aktiv: Ich gehe den Weg seiner Gebote.
Es mag uns grausam und falsch erscheinen, wenn da von der Vertreibung der Völker die Rede ist und das Josuabuch auch sonst sehr kriegerisch klingt. Nehmen wir das nicht zu wörtlich. Es ist in viel späterer Zeit geschrieben. Israel wird immer wieder von benachbarten Völkern gedemütigt und bedrängt. Sieben Völker will Gott für sie vertreiben – damit sagt Gott symbolisch: „In allem, was kommt, will ich euch bewahren.“
Wie also gehen wir den nächsten Schritt, wenn das Leben chaotisch und unübersichtlich ist wie ein wirbelnder Fluss und es keine bequeme Brücke gibt?
„Heiligt euch für Gott!“ – wie soll das gehen? Besinnt euch auf euren Bund mit Gott, Gottes Bund mit euch, sein Versprechen in der Taufe, alle Tage bei euch zu sein!
Konzentriert euch wie ein Hochleistungssportler vor dem entscheidenden Lauf – alles ist vorbereitet und jetzt geht es, wie es eben geht!
Schaut auf die, die vor liefen und vor euch glaubten!
Geht im Vertrauen auf Gott!
Der Friede Gottes, höher als unser Verstehen, er bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen