Predigt Johannes 1, 35-51, Sonntag 9.7.23, Andreas Hansen

(Voer der Predigt singen wir Neue Lieder 130 Du siehst mich, nach der Predigt EG 346)

Gibt es Liebe auf den ersten Blick?
Was meinen Sie: Gibt es das?
Jede und jeder von uns hat sofort Geschichten im Sinn, eigene Erfahrungen, Erzähltes, Filme, viele schöne und weniger schöne Liebesgeschichten.
Gibt es Liebe auf den ersten Blick? Es kommt vor, dass es sofort funkt zwischen zweien, dass sie fasziniert sind von einander und ganz schnell wissen, dass sie zueinander gehören. Aber Liebe? Ist das nicht so viel mehr, als ein erster Blick bewirken kann? Sie merken, ich bin da eher vorsichtig.
Und gibt es Glauben auf den ersten Blick?
Kann es sein, dass eine kurze Begegnung ausreicht, dass es funkt, und ein Mensch glaubt?
Da bin ich ebenfalls skeptisch. Aber unser Predigttext, ein langer Abschnitt aus dem ersten Kapitel des Johannesevangeliums, erzählt davon.
Am nächsten Tag stand Johannes (der Täufer) mit zwei seiner Jünger wieder dort. Als Jesus vorbei-ging, schaute Johannes ihn an und sagte: »Seht doch! Das ist das Lamm Gottes!« Die beiden Jünger hörten diese Worte und folgten Jesus. Jesus drehte sich um und sah, dass sie ihm folgten. Da fragte er sie: »Was sucht ihr?«
Sie antworteten: »Rabbi«– das heißt übersetzt »Lehrer« –»wo wohnst du?« Er forderte sie auf: »Kommt und seht selbst!« Da gingen sie mit und sahen, wo er wohnte. Sie blieben den ganzen Tag bei ihm. Das geschah etwa um die zehnte Stunde.
Andreas war einer der beiden Jünger, die Johannes gehört hatten und Jesus gefolgt waren. Er war der Bruder von Simon Petrus. Andreas traf zuerst seinen Bruder Simon und sagte zu ihm: »Wir haben den Messias gefunden« – das heißt übersetzt »der Christus«. Er brachte Simon zu Jesus. Jesus sah ihn an und sagte: »Du bist Simon, der Sohn des Johannes. Dich wird man Kephas nennen« – das heißt übersetzt Petrus und bedeutet »Fels«.
Am nächsten Tag wollte Jesus nach Galiläa aufbrechen. Da traf er Philippus. Jesus sagt zu ihm: »Folge mir!« Philippus kam aus Betsaida, das ist die Stadt, aus der auch Andreas und Petrus stammten. Philippus sucht Natanael auf und sagt zu ihm: »Wir haben den gefunden, von dem Mose im Gesetz geschrieben hat und den die Propheten angekündigt haben. Es ist Jesus, der Sohn Josefs. Er kommt aus Nazaret.« Da fragte ihn Natanael: »Kann aus Nazaret etwas Gutes kommen?« Philippus antwortete: »Komm und sieh selbst!«
Als Jesus Natanael zu sich kommen sah, sagte er über ihn: »Das ist ein wahrer Israelit: ein durch und durch aufrichtiger Mann!« Da fragte ihn Natanael: »Woher kennst du mich?« Jesus antwortete: »Noch bevor Philippus dich rief, habe ich dich unter dem Feigenbaum gesehen. «Natanael erwiderte: »Rabbi, du bist der Sohn Gottes. Du bist der König Israels!« Jesus antwortete: »Glaubst du das, weil ich dir sagte, dass ich dich unter dem Feigenbaum gesehen habe? Du wirst noch viel größere Dinge zu sehen bekommen!« Und er sagte zu ihm: »Amen, amen, das sage ich euch: Ihr werdet den Himmel offen sehen. Und die Engel Gotteswerden vom Menschensohn zum Himmel hinaufsteigen und von dort wieder zu ihm herabsteigen!«

Fünf Jünger in zwei Tagen, zack, zack, Andreas, Simon, Philippus, Natanael und der zweite Johannesjünger ohne Namen. Glauben auf den ersten Blick. Mir geht das zu schnell.
Aber vielleicht ist es wie in einem Film oder einem Theaterstück: Wenige kurze Szenen stehen für eine ganze Geschichte. In Wahrheit dauert alles viel länger.
Einer allerdings versteht oft auf den ersten Blick: Jesus. Nicht nur hier, sondern immer wieder berichten die Evangelien: Jesus hat einen ganz besonderen Blick für Menschen. Er sieht sie an und weiß, was sie tief im Innern bewegt. Dabei will er sie nicht entlarven oder bloßstellen. Sein Blick hilft ihnen sich selbst zu sehen. Manchmal heilt und befreit er. Menschen begegnen Jesus und wissen: Gott sieht mich liebevoll an.
Natanael fühlt sich verstanden. Ja, er will ein aufrichtiger Mensch und ein wahrer Israelit sein.
Er wundert sich: »Woher kennst du mich?« –
»Ich habe ich dich schon längst gesehen.«

Simon sieht Jesus an, dass er wie ein Fels für den Glauben einstehen wird. Die beiden Johannesjünger erkennt Jesus als Menschen auf der Suche: »Was sucht ihr?«
Wir sind nicht Natanael, aber Jesus versteht uns.
Wir sind nicht Simon, aber Jesus sieht unseren Weg. Wir sind nicht die beiden Johannesjünger, aber Jesus kennt unser Fragen und Sehnen.
Wir begegnen Jesus nicht leibhaftig, aber Jesus sieht uns. Du siehst mich, auch wenn mein Blick nur suchen kann. Du hörst mich, auch wenn mein Mund nur stammeln kann. Du liebst mich, auch wenn mein Herz nur zweifeln kann.
Die Antwort, die mir so schnell vorkommt, hat Zeit. Jesus drängt nicht. Sie sollen ihre eigenen Erfahrungen machen: Kommt und seht!
Gibt es Glauben auf den ersten Blick?
Es ist wie bei der Liebe: Am Anfang steht eine Begegnung, eine Faszination, dann, meist viel später, folgt eine Entscheidung, ein Bekenntnis.
Am Anfang stand die Kinder-Kirche, die Eltern und Großeltern, der Jugendkreis, das Konfi-Jahr, der Reli-Lehrer, ein gutes Gespräch – es gibt viele Möglichkeiten für die ersten Impulse.
Dann braucht der Glaube Zeit. Glauben braucht so etwas wie Übung um zu wachsen, Gebet, die Worte der Schrift, gute Lieder, wichtige Orte, Gottesdienst, Gemeinschaft. Und der Glaube fühlt sich immer wieder an, als würde er uns zerrinnen: Ich glaube, hilf meinem Unglauben! Der Glaube wird nicht fertig.
Der Evangelist Johannes erzählt im Zeitraffer-tempo: Wir haben den Christus gefunden. Du bist der Sohn Gottes.
Wir sehen oft erst im Rückblick: „Da hat mich Gott durch Durststrecken hindurch getragen. Wie gut meint es Gott mit mir! Manchmal war ich voll Zweifel und hatte nur einen Dennoch-Glauben. Wie gut, dass ich dennoch vertrauen kann: Du siehst mich!“
Am Ende verspricht Jesus seinen Jüngerinnen und Jüngern, dass sie noch viel mehr sehen werden. Ihr werdet den Himmel offen sehen. Und die Engel Gottes werden vom Menschensohn zum Himmel hinaufsteigen und von dort wieder zu ihm herabsteigen! Der Glaube kann nicht fertig sein.
Es kommt noch so viel.
Wir erwarten und erhoffen noch so viel.
Der Himmel wird offen sein.
Das feiern wir schon jetzt. Mitten in den ungelösten Problemen unseres Lebens,
mitten in dieser zerrissenen Welt
feiert der Glaube, was Jesus uns verheißt.
So ist der Glaube, und ich meine auch die Liebe, ein Weg, ein Wachsen, hin zu einem großen Ziel.
Amen