Ostern Predigt über Joh 20,11-18

Predigt am 21.4.19 von Andreas Hansen über Joh 20,11-18

Lesung vor der Predigt Joh 20,1-11, die Gemeinde hat das Bild Noli me tangere von Fra Angelico vor sich, https://de.wikipedia.org/wiki/Datei:Angelico,_noli_me_tangere.jpg

Es ist noch finster, als Maria sich auf den Weg macht am ersten Tag der Woche, finster wie am ersten Tag der Schöpfung, bevor Gott sprach: „Es werde Licht.“ Maria findet das Grab leer und läuft zu den anderen. „Wo ist er, unser Jesus?“
Petrus und der andere Jünger rennen zum Grab, fast wie ein Wettlauf. Der andere kommt als erster dort an, aber Petrus geht zuerst in das leere Grab. Auch Maria kommt wieder.
Von dem rätselhaften anderen Jünger heißt es, er sah und glaubte, aber dann zieht er sich doch mit Petrus zurück. Bleibt er mit seinem Glauben lieber im stillen Kämmerlein? Oder ist sein Glaube nur ein kleiner Funke, der gleich wieder verglimmt?

Es ist dunkel für die Gemeinde des Evangelisten Johannes. Sie sind enttäuscht. Die römischen Behörden verfolgen sie. Die jüdische Gemeinde will nichts mehr mit ihnen zu tun haben. Was wird aus uns? Und wo ist Jesus? Viele ziehen sich zweifelnd und resigniert zurück.

Nicht ins Endlose wälzt sich der Strom von Gewalt und Unrecht, Leiden und Sterben. Wir bekennen und hoffen, dass Gott alle Tränen abwischen wird, dass die Liebe siegt. Aber dann fragen auch wir: Wo ist Jesus? Wir möchten gegen den Tod protestieren, aber er scheint so übermächtig.

Maria bleibt weinend am Grab stehen, als die anderen wieder fort sind. Und weiter:
Maria aber stand draußen vor dem Grab und weinte. Als sie nun weinte, beugte sie sich in das Grab hinein und sieht zwei Engel in weißen Gewändern sitzen, einen zu Häupten und den andern zu den Füßen, wo der Leichnam Jesu gelegen hatte. Und die sprachen zu ihr: Frau, was weinst du? Sie spricht zu ihnen: Sie haben meinen Herrn weggenommen, und ich weiß nicht, wo sie ihn hingelegt haben.
Und als sie das sagte, wandte sie sich um und sieht Jesus stehen und weiß nicht, dass es Jesus ist. Spricht Jesus zu ihr: Frau, was weinst du? Wen suchst du? Sie meint, es sei der Gärtner, und spricht zu ihm: Herr, hast du ihn weggetragen, so sage mir: Wo hast du ihn hingelegt? Dann will ich ihn holen. Spricht Jesus zu ihr: Maria! Da wandte sie sich um und spricht zu ihm auf Hebräisch: Rabbuni!, das heißt: Meister! Spricht Jesus zu ihr: Rühre mich nicht an! Denn ich bin noch nicht aufgefahren zum Vater. Geh aber hin zu meinen Brüdern und sage ihnen: Ich fahre auf zu meinem Vater und eurem Vater, zu meinem Gott und eurem Gott. Maria Magdalena geht und verkündigt den Jüngern: »Ich habe den Herrn gesehen«, und was er zu ihr gesagt habe.

Maria weint und sieht nichts. „Sie haben meinen Herrn weggenommen.“ Für nichts anderes hat sie Augen.  Im Grab sitzen zwei Engel. Maria nimmt sie nicht wahr. Sie beeindrucken oder erschrecken sie nicht. Sie sieht nur die Tücher, die Stelle, wo Jesus gelegen hat.
Trauernde schauen auf den Platz, der leer bleibt. „Hier hat sie immer gesessen.“ „Das hat er oft getan.“ „So schön hat sie gelacht.“ „Dort waren wir gemeinsam.“ Unfassbar, dass er nicht mehr da ist. „Sie haben meinen Herrn weggenommen.“
Was ist, wenn wir Jesus verlieren, wenn kein Bezug mehr zu ihm da ist, wenn uns unser Jesus, wie wir ihn geglaubt haben, fremd geworden ist? Auch so kann uns Jesus genommen werden, wenn der Glaube verblasst oder ganz erlischt.

Maria weint und erkennt selbst Jesus nicht, als er vor ihr steht. Sie dreht sich wieder zum Grab um. „Er ist weg. Hast du ihn fortgebracht? Ich will ihn wieder holen.“ Seltsam ist die Frage der Engel und die gleiche Frage Jesu: „Warum weinst du? Wen suchst du?“ Am Grab weinen wir um die, die wir verloren haben. Wir sehen zurück, auf das, was uns fehlt. Die Engel wissen schon mehr. Sie sehen das Licht Gottes, wenn für uns der Tag noch finster ist. Jesus weiß mehr. Er öffnet Maria den Blick für das Leben. „Maria!“ Sie fährt herum, erkennt ihn. Seine Stimme! Das ist er! Ihr Name in Jesu Mund! „Mein Meister! Rabbuni!“ und sie will ihn umarmen, den geliebten, so sehr vermissten Freund, aber das geht nicht. „Rühre mich nicht an! Noli me tangere! Du kannst mich nicht festhalten, Maria.“

Wir haben ja nur, was sie erzählt hat, um uns ein Bild davon zu machen. Zum Glück hat sie erzählt, Maria, die erste Zeugin des Auferstandenen, die Apostelin der Apostel! Zu Recht hat Fra Angelico ihr einen Heiligenschein gemalt. Für uns alle hat sie erzählt, dass der lebendige Jesus ihr begegnet ist. Er lebt. Jetzt erkennt sie ihn. Und doch ist er nicht wieder da, als sei nichts gewesen. Sein Leben ist nicht einfach das alte. Er ist auferstanden. Er lebt. Alles, was er gesagt hat, gilt. Sein Leben, alles, was er getan hat, ist von Gott bestätigt. Aber nun gehört er ganz zu Gott.
„Rühre mich nicht an! Ich gehe zu meinem Vater und zu eurem Vater, zu meinem Gott und zu eurem Gott.“ In den Psalmen haben sie Worte dafür gefunden, die wir bis heute bekennen: Jesus lebt. Er sitzt zur Rechten Gottes. Und er ist doch auch bei uns alle Tage.

Maria sieht ihn an und meint, es ist der Gärtner. Ist das ein dummes Missverständnis oder eine tiefe Wahrheit? Sehen Sie, wie Frau Angelico entschieden hat: Eine Hacke trägt der Auferstandene über der Schulter. Üppig grünt der Garten. Paradiesisch blüht das Leben um das Grab. In der Mitte steht eine Palme, ein Lebensbaum, dort, wo das Kreuz stand. Jesus lebt. Alles Leben wird geheilt – was für eine wunderbare Hoffnung! – Gottes Liebe behält das letzte Wort, auch über unser zerbrechliches Leben und über die geschundene Schöpfung. Maria kann Jesus nicht festhalten, aber sie ist ihm begegnet. Jesus lebt. Sein Licht erfüllt sie. Sie wird vom Leben erzählen und seine Botin sein.

Und wir? Was wird aus uns, wenn unsere Tage dunkel sind, und wir unseren Glauben lieber verstecken? Was sollen wir glauben, wenn der Tod so mächtig erscheint, und wir auf die Gräber starren? „Wo ist Jesus? Wo ist unser Herr?“ fragte Maria und die anderen Jünger, fragt die Gemeinde des Johannes und fragen oft auch wir.

Gott sei Dank hat Maria davon erzählt: „Ich sah Jesus stehen und wusste nicht, dass es Jesus ist. Ich stand wie blind vor ihm. So kann es sein, dass unsere Augen blind sind, unsere Herzen verzagt, unser Glaube viel zu schwach. Aber Jesus ist mir begegnet. Er hat meinen Namen gesagt – da hab ich ihn erkannt. Und auch ihr sollt ihn erkennen.“

So erzählt es Maria den Jüngern und uns. So sollen wir es weitersagen.

Der Friede Gottes, der höher ist als alle unsere Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen