Nehmt einander an, Röm 15,7

Predigt am 18.1.15 von Andreas Hansen über Römer 15,7

Jahreslosung 2015 als Predigttext, Gottesdienst in Bombach

Liebe Gemeinde, „Nehmt einander an wie Christus euch angenommen hat zu Gottes Lob.“ Dieser Satz aus dem Römerbrief des Paulus ist die biblische Jahreslosung für 2015. „Nehmt einander an wie Christus euch angenommen hat zu Gottes Lob.“

Das klingt so nett und friedlich, regt keinen weiter auf – weit gefehlt! Schon zu Paulus´ Zeit steckte in diesen Worten eine enorme Herausforderung. Die Anschläge vom 7.Januar 2015 machen uns bewusst: Es ist notwendig, einander anzunehmen, und es ist schwer zu überwinden, was uns trennt. Der Schreck steckt uns noch in den Gliedern. Anschläge in Nigeria oder Pakistan nehmen wir kaum zur Kenntnis. Man kann fragen, warum wir erst jetzt so sehr erschrecken und Hunderttausende für Menschlichkeit und Freiheit demonstrieren. Mit den Anschlägen in Paris ist uns bewusst geworden, wie bedroht wir sind: Juden, Muslime und Christen. In Belgien verhaftet die Polizei Leute, die Anschläge geplant und Waffen gesammelt haben. Die Gefahr durch gewaltbereite Fanatiker ist überall groß. Besonders erschreckt, dass sich die Mörder auf ihren Glauben berufen, dass sie ernsthaft meinen, im Namen Gottes zu handeln.

Ich möchte ein Gebet der Pfarrerin Sylvia Bukowski aus Wuppertal sprechen: Wie lange noch, Gott, wie lange soll es weitergehen, dass Mörder deinen Namen missbrauchen für ihre Verbrechen, dass Hass mit Glauben gerechtfertigt wird, dass die Seelen junger Menschen vergiftet werden mit menschenverachtender Propaganda? Wie lange noch Gott, wie lange soll es weitergehen, dass Menschen zu Opfern von Menschen werden, dass Weinen und Klagen die Welt erfüllt und die Hoffnung auf Frieden wieder und wieder zertreten wird? Steh auf, Gott, treib uns mit deinem Geist zum Widerstand gegen die Mächte des Bösen, erfüll uns mit heilender Kreativität und dem Witz der Freiheitsliebe. Vereine alle deine Kinder in Schalom, in Salam, in Frieden.

Widersteht den Mächten des Bösen! Nehmt einander an! Der Hass kann ein Gift sein, Gift für unsere Seele, Gift, wie eine Droge. Wir sind anfällig dafür, andere zu verachten, auf sie herab zu sehen. Wer genießt nicht das Gefühl, überlegen zu sein, besser als andere? Wer lästert oder spottet nicht hin und wieder? Über jemanden, der sich unmöglich anzieht oder sich lächerlich macht. Über Leute, deren Meinung uns nicht passt. Über die Eltern, die Lehrer, die Vorgesetzten, die Politiker, die Beamten, die Kirchenleitung. Das ist vielleicht ganz gesund, meist auch harmlos. Wir machen uns Luft und meinen es eigentlich nicht böse. Aber ein, zwei Schritte weiter wird es gefährlich: Wenn wir selbstgerecht und verletzend sind. Wenn diese Verachtung für andere uns Halt gibt. Wenn wir das brauchen, dass wir gegen jemand sind. Wenn wir Ängste schüren und Vorurteile verbreiten gegen eine ganze Religion. Eine Gruppe, die das Gegen-andere-Sein schon im Namen führt, zieht schwache, unsichere Leute an. „Hasst du was, dann bist du was.“ – Hassen mit zwei S. Widersteht den Mächten des Bösen! Nehmt einander an! Wie schwer ist das!

„Ehrt Gott, indem ihr einander annehmt, wie Christus euch angenommen hat.“ Ein tiefer Konflikt entzweit die Christen zur Zeit des Paulus. Auf der einen Seite Menschen aus vielen Völkern, die zum Glauben an Jesus gefunden haben. Auf der anderen Seite die Judenchristen, die die Gebote der jüdischen Religion befolgen und ebenfalls an Jesus glauben. In Rom kommen alle zusammen, eine bunte Vielfalt, tatsächlich Multikuli. Die strengen Juden und mit ihnen die Judenchristen gelten als verbohrt und intolerant. Jahrelang hatte sie Kaiser Claudius darum aus der Stadt verbannt. Die Heidenchristen sind liberaler. Das ergibt eine Menge Stoff für Konflikte, Unverständnis und gegenseitige Ablehnung. Schon beim Essen gibt es Streit. Aus Furcht, sich mit nicht koscherem Fleisch zu verunreini-gen, leben die Judenchristen lieber vegetarisch. Die Heidenchristen essen ohne Scheu das, was nach römischen Sitten geschlachtet ist. Wie die ökumenische Bewegung heute, so träumt Paulus damals von der einen Kirche. Er hat heidenchristliche Gemeinden gegründet. Er unterstützt ihre Freiheit. Zugleich mahnt er: „Wir als die im Glauben Starken sind verpflichtet, die Bedenken der Schwächeren ernst zu nehmen, statt in selbstgefälliger Weise nur an uns zu denken. Jeder von uns soll auf den anderen Rücksicht nehmen und danach fragen, was gut für ihn ist und für den Bau.“ (Röm 15,1f) Was gut ist für den Bau? So heißt es wörtlich. Paulus sieht vor sich ein Haus. Judenchristen und Heidenchristen bauen gemeinsam daran. Sie gehören zusammen, obwohl sie unterschiedlich sind. Sie brauchen einander. Zu unserem Glauben gehören bis heute die Wurzeln im Judentum und die Freiheit der Kinder Gottes durch Jesus Christus. Ein Grundpfeiler in dem gemeinsamen Haus der Glaubenden ist die Rücksicht. Es muss möglich sein, dass wir einander gelten lassen, dass wir, wie Paulus den Römern rät, aus Liebe auf das verzichten, was den anderen verletzt. Wie schwer ist es, das richtige Maß zu finden! Wie schwer, voneinander Gutes zu erwarten!

„Ehrt Gott, indem ihr einander annehmt, wie Christus euch angenommen hat.“ Wer je in einer Wohngemeinschaft gelebt hat, weiß wie groß die Herausforderung ist. Die Macken des anderen zu ertragen ist so mühsam. Jeder denkt: „Ich würde ja an meinen Fehlern arbeiten, wenn ich welche hätte.“ Oje! Ein Haus, in dem wir einander ertragen, gelten lassen, sogar unterstützen. Ein Haus, in dem wir uns nicht den Platz streitig machen. Evangelische und Katholiken haben heute ein gemeinsames Haus. Beide wissen wir: Wir sind nur in diesem Haus, weil Christus uns angenommen hat. Durch Gottes Barmherzigkeit dürfen wir hier wohnen. Wir schauen manchmal noch misstrauisch in das Zimmer des anderen. Es sieht anders aus. Es riecht anders. Aber wir fühlen uns eigentlich recht wohl unter dem gleichen Dach. Einheit in versöhnter Verschiedenheit – zumindest hier gelingt das.

„wie Christus euch angenommen hat“ – das ist unser Maßstab. Jesus Christus hat Menschen angenommen, die gar nicht zu Gott passten. Auch einem Offizier der Besatzungsmacht half er, einer Frau aus Syrien, der Samariterin am Jakobsbrunnen. An seinem Tisch saßen die, die ihn im Stich ließen, und der der ihn verriet. Jesus heißt uns willkommen an seinem Tisch. Er will uns bei sich haben. Er will Gemeinschaft mit uns, obwohl wir ihm in Gedanken, Worten und Werken so oft widersprechen. Jesus nimmt uns an – er überwindet, was zwischen uns steht.

„Ehrt Gott, indem ihr einander annehmt, wie Christus euch angenommen hat.“ Die Welt ist zusammengerückt. Was in anderen Ländern und in anderen Religionsgemeinschaften geschieht, ist jetzt auch unsere Sache. Konflikte und Krisen wirken sich auf alle aus. Was fremd und fern war, ist jetzt hier. Heute schauen wir auf die Leute, die ins Nachbarhaus eingezogen sind. Wir wohnen nicht ganz im gleichen Glaubens-Haus, aber doch Tür an Tür. Ob der Islam zu Deutschland gehört, ist nicht so wichtig. Wichtig ist, wie wir mit den Muslimen in unserem Land leben. Lange waren sie wie in einer eigenen Welt, eine Parallelgesellschaft. Aber das geht heute nicht mehr. Wir leben zu eng nebeneinander. Wir dürfen nicht Angst voreinander schüren. Das Gift der Überheblichkeit müssen wir austreiben. Wir alle brauchen Geduld: Es wird dauern, bis wir einander verstehen und gelten lassen können. Wir Christen haben den Auftrag, andere zu achten, sie willkommen zu heißen, für den Frieden zu wirken und den bösen Mächten zu wehren.

Wir dürfen auch träumen und hoffen wie Paulus. Frieden unter den Religionen, ein Haus für alle Glaubenden, von dem der Friede in die Welt getragen wird. Das wäre ein Ziel. Der Friede Christi erfülle und bewahre unsere Herzen. Amen