Predigt am 22.11. von Andreas Hansen über Mt25,1-13
Lied vor der Predigt, EG 147: Wachet auf, ruft uns die Stimme
„Wacht auf!“ ruft die Stimme. „Das Fest beginnt! Kommt mit in den Freudensaal!“ Frohe Erwartung haben wir besungen. Bei uns steht das Lied am Ende des Kirchenjahres. Im katholischen Gesang-buch ist das ein Adventslied. Jesus kommt zu uns – Hoffnung für die Welt. Draußen ist es jetzt nach vielen Sonnentagen doch novembergrau und nass. Stürmischer Wind reißt die letzten Blätter von den Bäumen. Im trüben Licht kreisen unsere Gedanken um Sterben und Tod. Totensonntag: Wir denken an unsere Toten, an die, die uns persönlich nahe und lieb waren, auch an die Toten und die Trauernden in Paris. Ewigkeitssonntag: Wir fragen über den Tod hinaus. Was trägt uns wirklich? „Wacht auf!“ Jesus erzählt von einer Hochzeit. Ein großes Fest ist die Gemeinschaft mit ihm, der Himmel ein Festsaal. Mit allen will Jesus feiern. Keiner soll fehlen. Jesus erzählt von der schrecklichen Möglichkeit, dass wir sein Fest verpassen könnten und vor verschlossener Türe stehen. Eindringlich warnt er uns, wachsam zu sein, bereit für sein Fest.
Mt 25,1-13 »Wenn der Menschensohn kommt, wird es mit dem Himmelreich wie mit zehn Brautjungfern sein, die ihre Fackeln nahmen und dem Bräutigam entgegengingen. Fünf von ihnen waren töricht, und fünf waren klug. Die Törichten nahmen zwar ihre Fackeln mit, aber keinen Ölvorrat. Die Klugen dagegen hatten außer ihren Fackeln auch Gefäße mit Öl dabei. Als sich nun die Ankunft des Bräutigams verzögerte, wurden sie alle müde und schliefen ein. Mitten in der Nacht ertönte plötzlich der Ruf: ›Der Bräutigam kommt! Geht ihm entgegen!‹ Die Brautjungfern wachten alle auf und machten sich daran, ihre Fackeln in Ordnung zu bringen. Die Törichten sagten zu den Klugen: ›Gebt uns etwas von eurem Öl; unsere Fackeln gehen aus.‹ Aber die Klugen erwiderten: ›Das können wir nicht, es reicht sonst weder für uns noch für euch. Geht doch zu einem Kaufmann und holt euch selbst, was ihr braucht!‹ Während die Törichten weg waren, um Öl zu kaufen, kam der Bräutigam. Die fünf, die bereit waren, gingen mit ihm in den Hochzeitssaal. Dann wurde die Tür geschlossen. Später kamen auch die anderen Brautjungfern und riefen: ›Herr, Herr, mach uns auf!‹ Doch der Bräutigam antwortete: ›Ich kann euch nur das eine sagen: Ich kenne euch nicht!‹« »Seid also wachsam!«, schloss Jesus. »Denn ihr wisst weder den Tag noch die Stunde im Voraus.«
„Man sieht die Sonne langsam untergehen und erschrickt doch, wenn es plötzlich dunkel ist.“ Der Satz von Franz Kafka steht manchmal über Todesanzeigen. Oft ist es so: Wir wissen um den nahen Tod, und doch überrascht er uns. Undenkbar ist der Verlust des geliebten Menschen, erschreckend die Leere, groß der Schmerz. In unseren Herzen sind unsere Toten noch bei uns. Und doch sind sie uns genommen. Umso schrecklicher, wenn der Tod aus heiterem Himmel kommt: eine unerkannte Krankheit, ein Unglück, Unfall, gar Verbrechen. Wir trauern heute auch mit den Angehörigen der Opfer in Paris und der Opfer in Syrien, im Irak, an vielen Orten der Erde.
„Seid wachsam!“ ruft Jesus. Eindringlich, erschreckend. Wir sollen nicht so tun, als wären wir unverletzbar. Gewalt und Unrecht gehen uns an. Unglück kann auch uns treffen. Keiner entgeht dem Tod.
Natürlich stehen wir gern auf der Seite der klugen Jungfrauen. Wir sehen unser Leben gerne im Licht. Wir betonen unsere guten Absichten. Ach ja. Aber Jesus erzählt aus der Sicht der anderen. Sie haben nicht genug vorzuweisen. Sie kommen zu spät und stehen vor verschlossener Tür. Sie sind draußen. Oft genügen wir nicht. Wir sollen leuchten, aber es will nicht gelingen. Wir wollen auf einen anderen zugehen, aber uns fehlt der Mut. Wir wissen das Gute, und tun es doch nicht – selbstsüchtig oder gleichgültig, rechthaberisch, habgierig. Wer von uns mag sagen: „Ich habe genug Licht“? Alle sind sie eingeschlafen. Keine bleibt wach. Alle überrascht mitten in der Nacht der Ruf. Es geht uns, wie Meister Eckhart schreibt: „Gott ist allezeit bereit, wir aber sind sehr unbereit; Gott ist uns nahe, wie aber sind ihm fern; Gott ist drinnen, wir aber sind draußen.“
„Seid wachsam!“ Jesus will uns aufrütteln. „Macht euch nichts vor über euch selbst! Kehrt um!“ Mitten im Leben sind wir vom Tod umgeben. Was ist unser Halt im Leben und im Sterben? Was hilft uns, diese Zerbrechlichkeit zu ertragen? Jesus ruft uns, aber er kennt ja unser Dunkel, unser Versagen. Er erleidet es selbst am Kreuz und er geht uns voraus ins Leben. „Hilf uns, wachsam zu sein, Jesus! Gib uns von deinem Licht!“
Ich las den Bericht einer jungen Frau, die das Attentat beim Konzert in Paris überlebt hat. Sie blieb eine Stunde am Boden liegen und stellte sich tot. Sie schreibt: „Als ich da im Blut fremder Leute lag und auf die Kugel wartete, die meinen 22 Jahren ein Ende setzen sollte, sah ich vor meinen Augen jedes Gesicht, das ich je geliebt habe und dem ich zugeflüstert habe: Ich liebe dich. Ich dachte über die Höhepunkte meines bisherigen Lebens nach. Ich wünschte mir, dass die, die ich liebe, das auch wissen, wünschte mir, dass sie, unabhängig davon, was mit mir geschehen würde, weiter an das Gute in den Menschen glauben, dass sie diese Leute nicht gewinnen lassen.“
Mitten im Leben sind wir vom Tod umgeben. Aber mitten im Tod wissen wir uns vom Leben umfangen. Gott hat uns das Leben geschenkt. Jesus hat ja zu uns gesagt. Keine Macht der Welt wird uns von ihm trennen. Er lässt den Hass und die Gewalt nicht gewinnen. Er erleidet sie selbst und stirbt am Kreuz, und lebt. Die Liebe bleibt. Seine Liebe umfängt unsere Verstorbenen und uns.
Mag kommen, was will: Gott wird bei uns sein. Sein Ja gilt. Seine Liebe bleibt. Aber dennoch: „Seid wachsam! Ihr wisst weder Tag noch Stunde.“ Der Friede Gottes, höher als all unser Verstehen, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen
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