Mk 4,35-41

Predigt am 25.1.15 von Andreas Hansen über Mk4,35-41

Neustart-Gottesdienst für alle, die gerade einen Neuanfang oder einen Einschnitt erleben, die Kantorei gestaltet den Gottesdienst musikalisch

Am Abend jenes Tages sagte Jesus zu seinen Jüngern: »Wir wollen ans andere Ufer fahren!« Sie schickten die Menge nach Hause, stiegen in das Boot, in dem Jesus bereits war, und fuhren mit ihm ab. Einige andere Boote begleiteten sie. Plötzlich brach ein heftiger Sturm los; die Wellen schlu-gen ins Boot, und es begann sich mit Wasser zu füllen. Jesus aber schlief im hinteren Teil des Bootes auf einem Kissen. Die Jünger weckten ihn und schrien: »Meister, macht es dir nichts aus, dass wir umkommen?« Jesus stand auf, wies den Wind in seine Schranken und befahl dem See: »Schweig! Sei still!« Da legte sich der Wind, und es trat eine große Stille ein. »Warum habt ihr solche Angst?«, sagte Jesus zu seinen Jüngern. »Habt ihr immer noch keinen Glauben?« Jetzt wurden sie erst recht von Furcht gepackt. Sie sagten zueinander: »Wer ist nur dieser Mann, dass ihm sogar Wind und Wellen gehorchen?«

Liebe Gemeinde,

am 10. November 1989, am Tag nach der Maueröffnung sprach Willy Brandt von „Winden der Veränderung, die seit einiger Zeit über Europa ziehen“. Er meinte Perestroika und Glasnost, Erneuerung und Redefreiheit, die der russische Präsident Gorbatschow zum Programm gemacht hatte. Auf einmal war vieles möglich, wovon man vorher nicht zu träumen gewagt hatte. Eine friedliche Revolution: Der schönste Neustart, den unser Land je erlebt hat.

Aus den Winden der Veränderung machten die Skorpions ein Lied. „Wind of Change“, angeblich die meistverkaufte Single deutscher Produktion. „Take me to the magic of the moment on a glory night where the children of tomorrow dream away in the wind of change.“ (Bring mich zu der Magie des Moments In einer glorreichen Nacht Wo die Kinder von Morgen vor sich hinträumen Im Wind der Veränderung) Kein sehr tiefsinniger Text, keine musikalische Offenbarung, aber für viele beschrieb das Lied den Zauber des Anfangs, die Ergriffenheit und Freude, die sie bewegte. Viele von uns erinnern sich gut an jene Zeit. Mir hat schon mancher erzählt, dass er vor Rührung geweint hat, als die Mauer fiel. So viel Schmerz hatte die Spaltung Europas gebracht. So viel Hoffnung keimte jetzt. Ich erinnere gerade jetzt gern daran, wie nah wir uns damals den Menschen in Osteuropa fühlten. Noch ein Stück aus dem Lied, das, so die Idee, ein Deutscher in Moskau singt: „Die Welt wird kleiner, und hast du je gedacht, dass wir so nah sein könnten, wie Brüder? Die Zukunft liegt in der Luft. Ich kann sie fühlen, überall. Sie weht mit dem Wind der Veränderung.“ Ein Neuanfang kann sein wie eine Brise nach einem heißen Tag. So willkommen wie frische Luft, die den Mief vertreibt. Aber unversehens kann aus dem angenehmen Lüfterl ein Sturm werden. Neuanfänge können so schön sein und andrerseits so furchtbar schwer. „Was kommt da auf mich zu? Vorher war alles vertraut. Jetzt hab ich den Boden unter den Füßen verloren.“ So ist es, wenn das Neue uns Angst macht, wenn wir uns als Verlierer sehen. Vielen ging damals 1989 alles zu schnell. Sie hatten Angst, im Sturm der Ereignisse unterzugehen. Bis heute wirken die Ängste nach. Pegida und andere Rattenfänger setzen auf die Angst, die Angst unterzugehen, die Angst zu kurz zu kommen, die Angst zu verlieren.

„Eigentlich dürften wir keine Angst haben.“ meint Johannes. „Eigentlich ja“ sagt Petrus, „aber ich habe da so meine Erfahrungen. Auf einmal ist sie da, die Angst, und du bist nicht mehr du selbst.“ In aller Öffentlichkeit haben Petrus und Johannes über Jesus geredet. Sie haben gesagt, dass alle gegen ihn waren, dass er gekreuzigt wurde, aber dass er lebt und bei Gott ist. Finster haben die Priester sie angestarrt, leise miteinander beraten und dann einen Boten fortgeschickt. Jetzt laufen die beiden Apostel allein durch die Gassen Jerusalems. „Meinst du, die vom Hohen Rat werden uns verhaften?“ fragt Johannes. „Das kann gut sein. Als ich sie vorhin sah, wurde mir ganz schwindlig. Ich weiß nicht, ob ich stark sein werde, wenn sie mich verhören.“ „Aber eigentlich dürften wir keine Angst haben.“ sagt Johannes noch einmal. Petrus bleibt stehen. „Erinnerst du dich noch an damals, als wir im Sturm beinahe gekentert wären. Wir hatten Angst. Mann, hatte ich eine Angst! Ich hab ihn angeschrien. Weißt du noch? Ich wünschte, er wäre hier, und würde den Sturm in mir zur Ruhe bringen.“ Johannes sagt: „Er ist ja hier, Petrus.“ Ein paar Tage später werden die beiden vor dem Hohen Rat stehen. Sie werden reden, als wäre es selbstverständlich, vor den hohen Herren zu stehen. Sie werden sagen: „Wir können nicht schweigen. Wir müssen von unserem Herrn erzählen.“

Jesus setzt nicht auf die Angst, sondern auf den Glauben. Er liebt den Wind der Veränderung und den Mut Neues zu beginnen. Er weiß, wie verheerend die Stürme sein können und bleibt doch ruhig. Er legt sich auf ein Kissen und schläft. Dann fragt Jesus: „Warum habt ihr solche Angst? Habt ihr immer noch keinen Glauben?“ Denn das ist sein Ziel, dass seine Jünger glauben. Er ist ja der Meister, der Lehrer des Glaubens. Glauben heißt: Bereit sein für das Ungewisse. So wie einst Abraham und Sara. Die Sachen packen, die Zelte abbauen, sich auf den Weg machen. „Warum habt ihr solche Angst? Habt ihr immer noch keinen Glauben?“ Ach, er weiß ja, wie es um sie steht. Er sieht ihre Gesichter und ihre Herzen. Er kennt sie. Er kennt uns. Die Jünger schauen ihn an wie einen Fremden. Und sie beginnen zu ahnen, dass er noch viel mehr ist als ein Meister. Nein, wir haben keinen Glauben oder doch viel zu wenig. Die kleinen und die großen Ängste befallen uns immer wieder. Wir haben den Glauben nicht, aber wir können ihn bekommen. Wir haben den Glauben nicht, bis Gott ihn uns schenkt. Und selbst dann haben wir ihn nicht fest und sicher ein für allemal. „Glaubst du?“ fragt Jesus den verzweifelten Vater des kranken Kindes, und der schreit: „Ich glaube, hilf meinem Unglauben!“ Ganz recht formuliert Bonhoeffer: „In solchem Glauben müsste alle Angst vor der Zukunft überwunden sein.“ – müsste –

Denn wenn es darauf ankommt, können wir nur schreien: Hilf meinem Unglauben! Hilf mir in der Angst, Jesus! Gib mir, dass ich glauben kann!

Der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen

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