Mk 14,1-9 Palmsonntag

Predigt am 29.3.15 von Andreas Hansen über Mk14,1-9

Palmsonntag

Es waren nur noch zwei Tage bis zum Fest des Passa und der ungesäuerten Brote. Die führenden Priester und die Schriftgelehrten überlegten, zu welcher List sie greifen könnten, um Jesus festzunehmen und dann umzubringen. »Auf keinen Fall darf es während des Festes geschehen«, sagten sie, »sonst gibt es einen Aufruhr im Volk.« Jesus war in Betanien bei Simon dem Aussätzigen zu Gast. Während der Mahlzeit kam eine Frau mit einem Alabastergefäß voll echtem, kostbarem Nardenöl. Sie zerbrach das Gefäß und goss Jesus das Öl über den Kopf. Einige der Anwesenden waren empört. »Was soll das, dieses Öl so zu verschwenden?«, sagten sie zueinander. »Man hätte es für mehr als dreihundert Denare verkaufen und das Geld den Armen geben können!« Und sie machten der Frau heftige Vorwürfe. Aber Jesus sagte: »Lasst sie! Warum macht ihr es der Frau so schwer? Sie hat ein gutes Werk an mir getan. Arme wird es immer bei euch geben, und ihr könnt ihnen Gutes tun, sooft ihr wollt. Mich aber habt ihr nicht mehr lange bei euch. Sie hat getan, was sie konnte: Sie hat meinen Körper im Voraus für mein Begräbnis gesalbt. Ich sage euch: Überall in der Welt, wo man das Evan-gelium verkünden wird, wird man sich auch an sie erinnern und von dem reden, was sie getan hat.«

Liebe Gemeinde, das Haus ist erfüllt von einem wunderbaren Duft. Was für eine liebevolle Geste! Die Frau will Jesus Gutes tun, ein Geschenk machen. Das Beste ist gerade gut genug für ihn. Sie liebt Jesus. Jeder darf es sehen. Und gerade jetzt will sie ihre Liebe zeigen.

Es wird in Jerusalem viel über Jesus geredet. Die einen hoffen: Eine neue Zeit beginnt. Jesus wird Israel befreien. Er ist der Retter, den Gott schickt. Auch andere Stimmen werden laut: Was will er denn, dieser Prophet aus Nazareth? Er bringt nur Unruhe. Das Volk läuft ihm nach. Sie wollen ihn zum König machen. Er bringt uns in Gefahr. Die Römer wittern Aufruhr. Das ist zu gefährlich. Also weg mit ihm! Der Plan ist schon gefasst, Jesus möglichst ohne Aufheben zu beseitigen. Seine Jünger werden ungeduldig: Jesus, nun zeig doch endlich, was du kannst! Sie malen sich Hoffnungen aus, sehen Jesus an der Macht und sich selbst neben ihm. In wenigen Stunden wird Judas ihn verraten – ist er enttäuscht von Jesus? Will er ihn aus der Reserve locken? Oder ist Judas nur geldgierig? Morgen werden sie das letzte Mal mit ihm essen. Sie werden Jesus nicht verstehen, wenn er wieder von Leid und Tod erzählt. In der Nacht wird Jesus verhaftet werden und sie werden in Panik davonrennen. Jesus wird sterben.

Ahnen die Jünger wirklich noch nichts von der Gefahr? Wollen sie es einfach nicht wahrhaben? Auf einmal ist die Frau im Raum und geht auf Jesus zu. Die Gespräche verstummen. Was will sie nur? Ein Fläschchen in der Hand, nicht irgendeines, kostbarer Alabaster. Was macht sie? Ein schwaches Knirschen, als sie den dünnen Hals der Flasche abbricht. Alle schauen sie an, auch Jesus. Sie gießt über seinen Kopf, berührt ihn, reibt das Öl in seine Haare. Was für ein Duft! Ganz still ist es. Immer weiter salbt sie sein Haupt mit dem kostbaren Nardenöl. Jesus genießt den Duft und ihre Hand in seinem Haar. Er versteht sie. Ohne ein Wort zu sprechen, hat sie viel gesagt: Sie schenkt ihm eine Kostbarkeit, eine Gabe für Könige. Sie salbt ihn, wie einst Samuel David zum König gesalbt hat. Er ist der Gesalbte, der Messias, der Christus. Und sie sieht, was die Jünger nicht erkennen wollen. Nur noch wenig Zeit mit ihm bleibt. Sie salbt ihn für sein Begräbnis. Liebe und Schmerz sind nah beieinander. Sie zeigt, wie viel Jesus ihr bedeutet, und sie ist traurig, weil sie das Ende kommen sieht.

Das verstehen die Jünger nicht. Erst beobachten sie sprachlos, was geschieht. Vielleicht sind sie erschrocken oder gerührt. Vielleicht sind sie ein wenig neidisch, dass die Frau ihre Liebe und Verehrung so schön zu zeigen weiß, dass sie Jesus so nahe kommt. Dann wird ihnen klar: Das Öl ist unglaublich fein und teuer. Sie beginnen zu rechnen, mindestens 100, nein 200, nein 300 Denare – was für eine schamlose Verschwendung! Ein Denar ist ein Tageslohn. Die meisten müssen in diesen Zeiten jeden Heller dreimal umdrehen, bevor sie ihn ausgeben. Es ist unglaublich! Empört fallen sie über die Frau her, fauchen sie an: Eine maßlose Verschwendung! Knapp weist Jesus sie zurecht: Ihr könnt ja den Armen immer Gutes tun – wenn ihr wollt.

Die Liebe ist eine Verschwenderin. Sie rechnet nicht. Sie hält nicht zurück. Das Beste und Schönste will sie schenken. Maßlos ist die Liebe. Unfassbar groß ist darum auch der Schmerz um den Geliebten. Der Tod eines geliebten Menschen, schmerzhaft, wie eine Amputation. Etwas von uns selbst geht verloren. Aber uns fehlen die Worte dafür. Wer nicht Ähnliches erlebt hat, versteht nicht. Kaum in Worte zu fassen: Liebe und Schmerz. Uns fehlen die Worte für das Leid der vom Unglück Betroffenen, für Menschen, die einen Angehörigen verlieren, für die Angst um einen geliebten Menschen, für den Schmerz. Jesus nimmt die Geste der Frau an: Sie hat getan, was sie konnte: Sie hat meinen Körper für mein Begräbnis gesalbt. Ihre Geste ist wie ein Spiegel seiner eigenen Liebe. Sie entspricht ihm gerade jetzt. Darum erinnern wir an sie, wenn wir an seinen Weg zum Kreuz denken. Der intensive Duft der Narde ist auch später noch in seinem Haar, als sie ihn binden und abführen, als sie ihn verurteilen und schlagen, als er stirbt. So sehr liebt uns Gott. Er schenkt uns sich selbst in Jesus Christus. Nichts hält er zurück. Das Beste und Schönste schenkt er uns in seinem Sohn. Wir verstehen nicht, wir können nicht berechnen, beweisen, erklären, wie groß die Liebe ist. Uns fehlt ein Maß für das Unermessliche. Wir sehen nur: Alles tut Gott für uns. Er will uns nah sein, darum verschenkt er sich selbst. Er will dass wir leben, darum geht er selbst durch den Tod. Verschwenderisch ist der Duft des Nardenöls. Übergroß, unvorstellbar ist, was Jesus gibt. Jesus ist Gottes Liebeserklärung an uns. Er leidet und stirbt mit uns und für uns.

In diesen Tagen denken wir an die Opfer des Flugzeugunglücks und ihre Angehörigen. Wir beklagen ihr Leid. Wir sind erschüttert, dass so etwas geschieht. So zerbrechlich sind wir. So schnell kann das Leben zu Ende sein. Vor kurzem starb eine Sechsunddreißigjährige auf der Straße zwischen Sasbach und Wyhl. Unglück, Krankheit, Gewalt zerstören Leben. Aber keine dieser Geschichten, keiner dieser Menschen ist Gott gleichgültig. Kein Leid lässt Gott unberührt. Gott erleidet in Jesus unseren Schmerz. Die tiefste Verzweiflung kennt er. Er weicht nicht aus. Die unbekannte Frau in Betanien antwortet auf die Liebe Jesu. Sie verdient es, dass wir sie nicht vergessen und uns gerade jetzt an sie erinnern. Sie lädt uns ein, unsere Liebe und unseren Schmerz zu zeigen.

Die Liebe will den Geliebten erreichen. Sie will bei ihm sein. Sie leidet, wenn sie ihn verliert.

Die Frau wagt eine wunderschöne, mutige Geste. Mit ihrem Geschenk zeigt sie ihre Liebe und ihren Schmerz. Sie vertraut: Jesus wird sie verstehen Er wird sie annehmen. So entspricht sie Jesus ganz und gar.

Der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen

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