“Lass mich in Ruhe, Gott.” Predigt Hiob 14, 17.11.19

Predigt am 17.11.19 von Andreas Hansen über Hi 14,1-6

„Wie gar nichts sind alle Menschen, die doch so sicher leben!“ (Ps 39) Ein Leben ist plötzlich vorbei. Was einer sich aufgebaut hat, worauf er stolz ist, zerbröselt ihm unter den Händen. Wie der Beter oder die Beterin des Psalms erschrecken wir über unsere Vergänglichkeit und darüber, dass alles, was wir schaffen, plötzlich vergeblich und sinnlos erscheint.
Hiob ist die biblische Gestalt, die diese Erfahrung in extremer Weise machen muss. Alles wird ihm aus der Hand geschlagen. Er verliert seine Kinder, seinen Wohlstand, seine Gesundheit. Stellen Sie sich das vor! Jeder einzelne dieser Schläge kann einen Menschen zerbrechen. Unser Predigttext für heute ist ein Gebet, eine Klage und Anklage gegen Gott, Hiob 14:

Der Mensch, vom Weibe geboren, lebt kurze Zeit und ist voll Unruhe, geht auf wie eine Blume und fällt ab, flieht wie ein Schatten und bleibt nicht.
Doch du tust deine Augen über einen solchen auf, dass du mich vor dir ins Gericht ziehst. Kann wohl ein Reiner kommen von Unreinen? Auch nicht einer! Sind seine Tage bestimmt, steht die Zahl seiner Monde bei dir und hast du ein Ziel gesetzt, das er nicht überschreiten kann: so blicke doch weg von ihm, damit er Ruhe hat, bis sein Tag kommt, auf den er sich wie ein Tagelöhner freut.

 Schau ihn dir an, den Menschen, die Krone der Schöpfung. Er wird geboren, er lebt und er stirbt – und das soll alles gewesen sein? Wir sind vergänglich und sterblich wie eine Blume, die aufblüht und schon bald wieder verwelkt.
Heute ist einer der King. Alles läuft super. Er ist stolz auf seine Karriere – und morgen wird seine Stelle gestrichen. Er ist überflüssig. Heute gesund und fit – morgen krank und schwach. Was bleibt von unserem Leben, von unserer Arbeit, Mühe? »Der Mensch flieht wie ein Schatten und bleibt nicht«, sagt Hiob. Weder Faltencreme noch Medizin können verhindern, dass wir alt werden. Wie eine Blume verwelken wir. Wie ein Blatt vom Baum fallen wir – das ist unser Schicksal. Brutal spricht Hiob von unserer Vergänglichkeit und klagt Gott dafür an. So hat der Schöpfer uns geschaffen – er ist schuld daran, dass wir sterben müssen.
Und das ist noch nicht alles: Dieses kurze und düstere Leben wird von Gott noch zusätzlich verdunkelt. Wie eine finstere Wolke schwebt er über uns Menschen. Keine Sekunde lässt er uns aus den Augen; wir stehen unter seinem Urteil. Eugen Roth hat es humorvoll so beschrieben:
Ein Mensch, der recht sich überlegt,
dass Gott ihn anschaut unentwegt,
fühlt mit der Zeit in Herz und Magen
ein ausgesprochnes Unbehagen.
Und bittet schließlich Gott voll Grauen,
nur fünf Minuten wegzuschauen.
Hiob verzweifelt unter Gottes strengem Blick. „Du hast recht, Gott, ich bin nicht rein. Ich gebe zu, dass ich ein Sünder bin. Keiner kann immer alles richtig machen. Ich bin ein Sünder wie meine Eltern.“ Aber Hiob verlangt mildernde Umstände. Hat nicht Gott uns so geschaffen, weiß Gott nicht längst, dass wir vor seinem Urteil nicht bestehen können? Und dann richtet Hiob an Gott eine ungeheure Bitte: „Schau weg, Gott. Lass mich in Frieden! Wenn ich schon sterben muss, dann will ich wenigstens die paar Jahre hier auf der Erde meine Ruhe haben. Lass mich in Ruhe, Gott!“
Steht das wirklich in der Bibel? Ja, tatsächlich. Hiob will mit Gott nichts zu tun haben. So steht es da. Und Hiob ist mit dieser Haltung ja nicht allein. Es gibt Menschen, die so viel Schreckliches erleben, dass sie alles Gottvertrauen verlieren.  Sie kennen bestimmt auch Menschen, die sagen: „Nach allem, was in meinem Leben geschehen ist, nach allem, was in der Welt an Unrecht und Katastrophen geschieht, will ich von Gott nichts mehr wissen.“ Liebe Konfis, das ist das Gegenteil von unserem Spruch, nicht wahr: „Die auf Gott vertrauen, kriegen immer wieder neue Kraft, dass sie auffahren mit Flügeln wie Adler.“ Wir wollen doch vertrauen. Wir wissen, was für eine Kraft das ist, wenn einer vertrauen kann. Aber es gibt auch Hiob und Leute wie ihn, die sagen: „Ich kann nicht vertrauen. Ich bin fertig mit Gott.“ Das steht in der Bibel, weil es Menschen so gehen kann. Es steht auch darum da, damit wir niemanden für seinen Unglauben verurteilen. Es hat ja auch keinen Sinn, jemandem diese Haltung ausreden zu wollen.
Wir können ihm aber sagen, worauf wir vertrauen. Wir können entsprechend handeln: wie Menschen, die für unsere Welt Gutes erwarten, Menschen der Hoffnung, Menschen, die sich engagieren.

Aber wie ist das mit dem Gericht Gottes?
„Von dort wird er kommen zu richten die Lebenden und die Toten“ sagen wir im Glaubensbekenntnis über Jesus. Vorhin hörten wir von Paulus „wir alle müssen einmal vor dem Richterstuhl von Christus erscheinen, wo alles offengelegt wird“.
Hiob ruft: „Ich kann doch sowieso nicht vor deinem Anspruch bestehen, Gott. Schau weg von mir! Lass mich doch wenigstens mein kurzes Leben genießen! Aber du machst mich fertig mit deinem strengen Richterblick!“
Ist das so? Ist Gott einer, der uns nur zeigen will, wie mies wir sind? Dann hätte Hiob recht.
In vielen Kirchen früherer Zeiten wurde das Gericht dargestellt: in der Mitte Christus auf dem Thron, auf der einen Seite glückliche Erlöste, zum Teil kommen sie aus ihren Gräbern, auf der anderen Seite die, die in die Hölle stürzen, hinabgezerrt und gestoßen von sadistischen Teufeln. So würde es auch Hiob malen. Nein! Wir müssen diesen Bildern widersprechen und wir müssen auch Hiob widersprechen.
Gericht heißt: Alles Böse kommt ans Licht. So wie vor 30 Jahren als die Stasizentralen besetzt wurden und dann jeder seine Akten sehen konnte. Das Böse zu sehen tut weh, aber vor Gericht kann es nicht mehr schaden. Die Angst ist vorbei. Hinabgestürzt wird das Böse, es wird entmachtet und vernichtet. Gottes Gericht heißt: Gott bringt zurecht, was falsch und böse ist. Christus als Richter trägt selbst die ganze Last der Schuld. Er will uns nicht verdammen. Er erlöst uns. Wir haben Grund das Böse zu fürchten: Die Gewalt, die so viel Unheil anrichtet. Und unsere eigene Rücksichtslosigkeit. Die Machtgier und Selbstsucht mancher Herrscher. Und unseren eigenen Egoismus. Die Zerstörung der Schöpfung. Und unsere eigene Bequemlichkeit. Wir haben Grund das Böse in der Welt und in uns selbst zu fürchten, aber wir haben noch viel mehr Grund dem Bösen Gutes entgegen zu setzen.
Denn wie gut ist es, dass Gott uns keine Minute aus dem Blick verliert! Wie gut ist es, dass Christus unser Richter ist  – er hat schon für uns entschieden! Wir müssen sein Gericht nicht fürchten! Christus wird kommen zu richten die Lebenden und die Toten – darauf hoffen wir.

Amen