Keine Jammerlappen, Predigt über Mt 9,35-10,7, in Sundhouse

Predigt am 21.7.19 von Andreas Hansen über Mt9,35-10,1.6f

Predigt im gemeinsamen Gottesdienst in der Partnergemeinde in Sundhouse

Liebe Mitchristen aus Sundhouse und Kenzingen,
bei unserem letzten Treffen erzählten Sie uns von „Perspektive 2030“ hier im Elsaß. Es geht um die Entwicklungen der Kirche, um sinkende Mitgliederzahlen, Finanzen und Mangel an Pfarrerinnen und Pfarrern. Am vergangenen Mittwoch hörten wir etwas Ähnliches von unseren katholischen Nachbarn. Sie nennen es „Pastoral 2030“. Auch  in unserer Kirche kennen wir solche Prognosen. Sie jagen uns Angst ein und wir fragen verzagt: „Oje, was wird aus der Kirche? Wird alles immer schlechter?“  Unser Predigttext für heute klingt herausfordernd anders:

Mt 9, 35-38; 10,1.7f

Und Jesus zog umher in alle Städte und Dörfer, lehrte in ihren Synagogen und predigte das Evangelium von dem Reich und heilte alle Krankheiten und alle Gebrechen.
Und als er das Volk sah, jammerte es ihn; denn sie waren geängstet und zerstreut wie die Schafe, die keinen Hirten haben.
Da sprach er zu seinen Jüngern: Die Ernte ist groß, aber wenige sind der Arbeiter. Darum bittet den Herrn der Ernte, dass er Arbeiter in seine Ernte sende.
Und er rief seine zwölf Jünger zu sich und gab ihnen Macht über die unreinen Geister, dass sie die austrieben und heilten alle Krankheiten und alle Gebrechen.  Und er sprach: Geht und predigt und sprecht: Das Himmelreich ist nahe herbeigekommen. Macht Kranke gesund, weckt Tote auf, macht Aussätzige rein, treibt Dämonen aus.

„Und als Jesus das Volk sah, jammerte es ihn.“ Nanu – ist Jesus etwa ein Jammerlappen? Kennen Sie das Wort „Jammerlappen“? Gibt es dafür ein französisches oder elsässisches Wort? Ein Lappen ist das (Lappen zeigen). Wer immer herumjammert, wehleidig, schlechte Stimmung verbreitend, selbstmitleidig, verzagt, negativ, so einen Menschen nennen wir einen Jammerlappen.
Ist Jesus ein Jammerlappen? Aber nein! Das Wort, das Luther mit „es jammerte ihn“ übersetzt, wird fast nur für Jesus gebraucht und von ihm selbst in manchen Gleichnissen. Den Vater des verlorenen Sohnes jammert sein Sohn, als der zerlumpt und elend heimkommt. Dahinter steckt ein hebräisches Wort für Erbarmen und Mitgefühl, und eigentlich das Wort Eingeweide, Gebärmutter. Was Jesus jammert, geht ihm nah, geht ihm ans Herz, schlägt ihm auf den Magen. Jesus jammert das Volk, das verängstigt ist und orientierungslos wie Schafe ohne Hirten.
Aber dann lamentiert Jesus nicht herum wie ein oller Jammerlappen, nein: Er predigt die gute Botschaft, das Evangelium: „Gott regiert. Gott ist König.“ Und er zeigt auch gleich, was das bedeutet: Krankheiten und alle Gebrechen heilt er.
Jesus ist bis ins Tiefste angefasst vom Elend der Menschen. Er ist das Gegenteil von gleichgültig. Mitten ins Herz trifft ihn das Leid. Er lässt sich anrühren von unserer Suche nach Liebe, von unserer Unversöhnlichkeit, unseren Tränen um geliebte Menschen, unserer Angst vor Krankheit und Tod, unserem Hunger nach Leben. Jesus ist getroffen vom Unrecht, das Menschen trifft. Er nimmt Teil an ihrer Ohnmacht gegenüber den Mächtigen, an ihrem Leid, ihrer Erschöpfung und Schutzlosigkeit.
Im Jammer Jesu ist kein anklagender Unterton und kein Gejammer über die Gottlosigkeit der Welt. Jesu Jammer ist seine Zuwendung, ist seine Liebe zu den Menschen. Gott jammert unser Elend – darum kommt er in Jesus zu uns. Darum setzt er sich selbst dem Leid aus.

Jesus nimmt nicht nur unser Elend überdeutlich wahr. Er sieht ebenso klar unsere Möglichkeiten. Jesus hat eine doppelte Sicht auf uns.
Darum wechselt er auf einmal das Bild: Er sieht das Volk und uns wie verlorene Schafe und er sieht uns auch wie ein schönes reifes Weizenfeld, das nur auf die Ernte wartet.

Jesus gibt seinen Jüngern Macht. Er ermächtigt sie zu verkündigen und zu heilen. Wie er selbst, so sollen die Seinen Gottes Reich ankündigen  und auch zeigen. „Macht Kranke gesund, weckt Tote auf, macht Aussätzige rein, treibt Dämonen aus.“ – Hier stolpere ich. Was für ein Auftrag!
Die Jünger sollen heilen, Leben geben, böse Geister austreiben? Die Kirche, wir sollen das?
Ich gestehe, dass ich um diesen Predigttext bisher immer einen großen Bogen gemacht habe. Auch bin ich misstrauisch, wenn Kirchen behaupten, sie könnten heilen. Was für eine Überforderung! Was für eine Anmaßung!

Aber hören wir das heute zusammen mit den bedrohlichen Prognosen für die Kirche!
Wie ist unsere Perspektive?
Jesus sagt uns: „Seid keine Jammerlappen!
Ich gebe euch einen Auftrag und die nötige Macht und Kraft dafür. Verkündet, dass Gott regiert! Das Reich Gottes ist nah. Und dann heilt, weckt zum Leben, treibt böse Geister aus!“
Unsere Perspektive orientiert sich an seiner Sichtweise: Er sieht das Elend der Welt, das Leid vieler Menschen und der geplagten Schöpfung. Das trifft ihn tief. Aber er sieht auch das Feld, reif zur Ernte, die vielen guten Möglichkeiten, die sich entfalten sollen.

Jesus schickt seine Jüngerinnen und Jünger, Fischer, einen ehemaliger Zöllner, einen, der früher im Widerstand gegen Römer kämpfte, einfache Leute. Jesus schickt uns, normale Leute. Er gibt uns einen großen Auftrag: Sagt, Gottes Reich ist nah, und dann tut genau, was das bedeutet! Heilt, was krank ist.  Setzt euch für das Leben ein. Findet euch nicht ab mit Krieg und Gewalt. Findet euch nicht ab mit Hunger und Sextourismus und all den zahllosen Arten wie Menschen um ihr Leben und ihre Würde gebracht werden. Macht Aussätzige rein. Lasst nicht zu, dass Menschen ausgegrenzt werden. Schaut nicht verächtlich auf die, die anders sind als ihr selber. Die anders  aussehen, die anders glauben, die anders lieben. Treibt böse Geister aus. Das ist vielleicht das Schwerste. Lasst eure Herzen nicht voll böser Gedanken sein. Lasst euch nicht zum Hass verleiten.
Uns, seiner Kirche, gibt Jesus eine Perspektive, dass wir in seinem Namen reden und handeln.

Ich möchte Ihnen noch eine Geschichte erzählen: Als Christus die Erde verließ und in den Himmel kam, schauten die Engel voll Sorge auf die Erde und sagten: „Willst du nicht dort bleiben, Herr? Sieh doch, wie es auf der Erde zugeht, wie Hass und Streit und Habgier alles zerstören!“ „Aber“, sagte Christus. „Ich habe doch meine Kirche, die mich auf Erden vertritt.“ Die Engel betrachteten die Kirche und schauten noch sorgenvoller: „Herr, hast du denn niemand anderes, der dich vertritt?“ Und Christus lachte: „Nein, jemand anderes habe ich nicht.“ Amen