Predigt am 23.11.14 von Andreas Hansen über Joh 14,1-6
Totensonntag/Ewigkeitssonntag - die Namen der Verstorbenen des Kirchenjahres werden verlesen
Liebe Gemeinde,
wir denken heute an unsere Verstorbenen. Viele von uns mussten im zu Ende gehenden Kirchenjahr von Angehörigen Abschied nehmen. Manch ein Abschied beschäftigt uns lange und ist längst nicht erledigt, wenn die vielen Formalitäten und Aufgaben im Zusammenhang mit der Bestattung geschafft sind. In der Wohnung sehen wir Bilder und anderes, was uns an den Verstorbenen erinnert. Wir gehen zum Grab. Wir begehen seinen oder ihren Geburtstag, den Hochzeitstag, andere wichtige Tage. Bei manchen Stichworten fällt uns wieder ein, was er oder sie jetzt sagen würde. Manchmal ist es fast wie ein Gespräch, aber dann fehlt die Antwort. Er fehlt. Sie fehlt. Schöne, liebevolle Erinnerungen kommen in den Sinn und tun uns gut. „Ich hätte dir noch so gern gesagt, wofür ich dir danke.“ Aber auch das Andere geht oft weiter mit uns. Belastendes, Schuld, Streit, Verletzungen bedrücken uns. „Warum haben wir das nicht besser gemacht? Ich würde dir gerne sagen, was mir Leid tut. Nun geht es nicht mehr.“
Wir müssen so oft in unserem Leben Abschied nehmen, etwas hinter uns lassen, loslassen. Man sollte meinen, dass wir das irgendwann lernen. Aber nein: Abschiede überfordern uns immer noch, und umso mehr der Tod eines unserer Lieben. Sie schmerzen immer neu. Manchmal ist es wie eine Wunde, die wieder aufreißt. An all das denken wir heute und bitten Gott, dass er heilt und tröstet und uns Mut gibt. Wir denken an unsere Toten. Wie ist das, tot? Wo sind sie, unsere Toten? Sie sind uns manchmal so nah und doch unerreichbar. Wir fragen nach dem Geheimnis, vor dem jede und jeder einmal stehen wird.
Jesus weiß, was die Menschen bewegt. Er sieht in ihr Herz. Er versteht sie besser als sie sich selbst. Immer wieder erstaunt mich, wie schnell und gut er Menschen versteht. Der Evangelist Johannes berichtet von langen Abschiedsgesprächen mit seinen Jüngern. Jesus weiß, dass er bald sterben muss. Er will sie vorbereiten, stärken, trösten. Oft lese ich bei Trauergottesdiensten diesen Abschnitt aus dem Evangelium vor (Joh 14,1-6).
Jesus sagt: Euer Herz erschrecke nicht! Glaubt an Gott und glaubt an mich! In meines Vaters Hause sind viele Wohnungen. Wenn’s nicht so wäre, hätte ich dann zu euch gesagt: Ich gehe hin, euch die Stätte zu bereiten? Und wenn ich hingehe, euch die Stätte zu bereiten, will ich wiederkommen und euch zu mir nehmen, damit ihr seid, wo ich bin. Und wo ich hingehe, den Weg wisst ihr. Spricht zu ihm Thomas: Herr, wir wissen nicht, wo du hingehst; wie können wir den Weg wissen? Jesus spricht zu ihm: Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben; niemand kommt zum Vater denn durch mich.
„Man sieht die Sonne langsam untergehen und erschrickt doch, wenn es plötzlich dunkel ist.“ Wir wissen doch, was kommt. Wir sehen, wie die Kräfte abnehmen. Wir ahnen zumindest den Abschied, selbst wenn wir uns lange innerlich dagegen wehren. Vielleicht schweigen wir über das, was kommt, wo doch ein offenes Wort entlasten könnte. Selbst ein plötzlicher Tod durch Unglück oder Krankheit ist durchaus im Bereich des Möglichen. Aber wir erschrecken. Das Leben ist uns so selbstverständlich, dass wir uns nichts anderes vorstellen können. Wir sehen nur dieses Leben. Tief erschüttert uns der Tod. Das ist ja auch richtig so. Entsetzlich, wenn der Tod eines anderen uns kalt ließe. Schrecklich, wenn Menschen durch Krieg und Gewalt hart und unberührbar geworden sind. Jesus weiß, wie die Seinen erschrecken werden. Darum sagt er: „Haltet euer Herz fest! Vertraut euch Gott an! Vertraut mir!“ Wir sind nicht allein mit unserem Schrecken. Jesus weiß, was uns bewegt und ist bei uns. Gott hält uns. Wir sollen uns an ihn klammern. Jesus weiß, wie schwer uns das zuweilen fällt und sagt doch: „Glaubt an Gott!“ Auch wenn unser Glaube schwach ist, selbst wenn wir Gott nur mit Fragen und Vorwürfen begegnen können, wie manche Beter der Bibel.
Dann gibt Jesus uns ein wunderbares Bild für das, was wir nicht verstehen, was uns bedrängt. Jesus spricht vom Haus des Vaters. Ein Bild für Gottes Liebe. Das Vaterhaus ist überhaupt nicht eng und bedrängend, wie Elternhäuser manchmal sein können. Es hat viele Wohnungen, Platz für alle. Die Liebe ist „wie Wind und Weite und wie ein Zuhaus.“ Wir sagen „Himmel“ und merken, wie wenig wir damit verbinden. Zu kindlich kommt uns das vor. Jesus spricht so von einem Zuhause, dass mir warm wird: Da werde ich erwartet. Da hat er mir den Platz bereitet. Da will er bei mir sein. Mein zerbrechliches kleines Leben ist ihm wertvoll. Wir haben ein Zuhause. Sicher: auch das ist nur ein Bild, ein Bild für die größere Wirklichkeit. Mich tröstet das Bild vom Haus des Vaters, wo wir zuhause sind. Dass wir Gott so wenig entsprechen, hält ihn nicht ab. Wir bleiben in seiner Liebe, was auch geschieht. Paulus schreibt: Ich bin gewiss, keine Macht der Welt, nicht einmal der Tod, kann uns trennen von der Liebe Gottes. In Jesus Christus haben wir sie erfahren.
Der Jünger Thomas fragt: „Nein, Jesus. Ein Bild ist mir zu wenig. Ich verstehe nicht, wohin du gehst. Das ist mir zu hoch. Wie also soll ich den Weg wissen? Wie soll ich weitergehen ohne dich?“ „Vor meinem eignen Tod ist mir nicht bang, nur vor dem Tode derer, die mir nah sind. Wie soll ich leben, wenn sie nicht mehr da sind?“ So dichtete Mascha Kaléko.
Wie sollen wir den Weg wissen? Lange war mir die Antwort Jesu ein Rätsel: „Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben.“ Aber mir begegnete ein sehr alter Mann, der wunderschön erzählte, wieviel ihm seine Frau bedeutet hatte, wie sehr die Liebe zu ihr sein Leben hell und schön gemacht hat. Ihr Tod hat ihm furchtbar weh getan. Zugleich erzählte er dankbar. Noch einmal wurde ihm bewusst, was für ein Schatz ihre Ehe war. Dieses Gespräch hat mich sehr berührt.
Die Liebenden verstehen: Ein Mensch kann für einen anderen Weg und Wahrheit und Leben sein. Jesus ist uns so nah. Er liebt uns so sehr. Der Weg zu Gott ist eben diese Beziehung, die Nähe und Liebe, die Jesus schenkt. Er ist der Weg. Jesus ist Wahrheit, Wahrheit der Liebe Gottes. Jesus ist das Leben. Der Auferstandene gibt uns Teil an seinem Leben.
Mit allem, was uns heute bewegt, kommen wir zu Jesus. Er versteht. Er tröstet. „Euer Herz erschrecke nicht! Haltet euch fest an mir!“ Der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.