Johannes 10, 11-15+27-30

Predigt am 4. Mai 2014 von Andreas Hansen über Joh 10, 11-15+27-30

Gottesdienst mit Konfirmationsjubiläum, als Lesung hörten wir Joh 20, 11-18, zum Eingang Psalm 23

Liebe Gemeinde,

in fast allen Osterberichten fällt es den Jüngerinnen und Jüngern zuerst schwer, Jesus zu erkennen. Sie sehen ihn und wissen zuerst nicht, dass er es ist. Maria Magdalena steht weinend vor dem leeren Grab, dreht sich um und meint, da sei der Gärtner. Er spricht sie an: „Maria!“ und sie erkennt Jesus. Sie erkennt ihn wohl an seiner Stimme, an der vertrauten Anrede. Denken Sie nur, wie gut es tun kann, wenn uns jemand mit unserem Namen anspricht! „Maria!“ – der Name nur, und es ist gut. Seine Stimme wie ein Zuhause. Wunderbar. Vielleicht denken Sie an einen Menschen, der Sie liebevoll und vertraut mit Namen anspricht oder angesprochen hat. Bei unserer Taufe hat Gott uns persönlich, mit Namen angesprochen. Der dreieinige Gott, Vater, Sohn und Heiliger Geist sprach uns an. Wir sind ihm vertraut, nicht nur unser Name. Er kennt uns ganz. Die meisten von uns haben keine Erinnerung an ihre Taufe. Erst später, vielleicht mit der Konfirmation, oder noch später erkennen wir, dass Gott uns anspricht. Er wartet auf unsere Antwort. Jesus will, dass wir ihn erkennen. Hören wir, was er sagt:

Joh 10,11-15+27-30: Ich bin der gute Hirte. Der gute Hirte lässt sein Leben für die Schafe. Der Mietling aber, der nicht Hirte ist, dem die Schafe nicht gehören, sieht den Wolf kommen und verlässt die Schafe und flieht – und der Wolf stürzt sich auf die Schafe und zerstreut sie –, denn er ist ein Mietling und kümmert sich nicht um die Schafe. Ich bin der gute Hirte und kenne die Meinen und die Meinen kennen mich, wie mich mein Vater kennt und ich kenne den Vater. Und ich lasse mein Leben für die Schafe. Meine Schafe hören meine Stimme, und ich kenne sie und sie folgen mir; und ich gebe ihnen das ewige Leben, und sie werden nimmermehr umkommen, und niemand wird sie aus meiner Hand reißen. Mein Vater, der mir sie gegeben hat, ist größer als alles, und niemand kann sie aus des Vaters Hand reißen. Ich und der Vater sind eins.

„Ich bin der gute Hirte“ sagt Jesus, und jeder hat wohl gleich den Psalm vom guten Hirten im Ohr. Im Psalm vom guten Hirten geschieht eine Wende. Zuerst spricht der Beter über Gott: „Der Herr ist mein Hirte“ – dann aber wendet er sich zu Gott hin. Er spricht ihn direkt an: „Du“ „du bist bei mir, du deckst mir den Tisch und machst mich stark, du füllst mir den Becher, du salbst mein Haupt und machst mich schön“ „Du“ – Gott so nah, mir gegenüber. „Du“ – Gott, dem ich begegne. Jesus sagt: Ich – ich bin der gute Hirte. Wenn Jesus spricht, ist Gott hier. In dem Menschen Jesus will Gott uns begegnen. Er spricht uns an, damit wir ihn doch erkennen. Er will uns ein Du sein. Er will uns begegnen. Seine gute Stimme sollen wir erkennen. Wie Maria sollen wir hören: „Es ist wirklich der lebendige Jesus und er meint wirklich mich, mich!“

Der Heidelberger Philosoph Karl Jaspers hat viel über den Glauben nachgedacht. Er wurde gefragt, ob er denn selbst an Gott glaube. Er antwortete, „nein, ich kann nicht beten“. Glauben ist eine Begegnung, ein Gespräch. Aber unser Glaube ist nicht fertig. Ein Leben lang entfaltet und entwickelt sich unser Glauben, ist manchmal stark und bewusst und dann wieder voll Fragen oder fast in Vergessenheit geraten.

Denken Sie zurück an Ihren Glaubensweg bis heute. Denken Sie an die Menschen, die Ihnen von Gott und Jesus erzählten, oder an Schritte, bei denen Sie sich geführt oder bewahrt wussten: Die Entscheidung für einen Menschen oder für einen Beruf, die Geburt der Kinder, Krisen, Neuanfänge. Bestimmt fallen Ihnen auch Zeiten ein, in denen mehr Fragen als Antworten da waren, in denen Sorgen, Leid, Überforderung, Trauer den Glauben beinahe erdrückt haben. Im Nachhinein fragen wir uns manchmal: „Wie habe ich das nur geschafft?“ In all diesen Erfahrungen kann Vertrauen wachsen und ein Gespräch mit Gott entstehen. Nicht wir selbst können den Glauben machen. Es ist darum auch ganz sinnlos, jemanden aufzufordern, er oder sie solle doch glauben. Gerade in den schweren Zeiten erleben wir den Glauben als Geschenk. Immer noch ist unser Glauben nicht fertig. Immer neu braucht unser schwacher Glaube Zuspruch, Stärkung, Konfirmation.

Der Hirte führt seine Schafe. Wir fragen uns: Wohin geht mein Weg oder unser Weg? Junge Leute fragen sich: Wie wird es sein, wenn ich einmal im Beruf stehe und eine Familie habe? Später kümmert man sich um die Eltern, die alt werden und fragt sich: Wie wird es mir im Ruhestand ergehen? Wie werde ich einmal mit Krankheit und Alter umgehen? Wir fragen uns, wenn die Nachrichten hören: Wohin treibt die Krise in der Ukraine? Die Gewalt und der russische Nationalismus machen den Völkern in Osteuropa und in der Welt Angst. Es gibt noch viele andere Krisenherde und ungelöste Fragen. Wir leben schon so lange in Frieden und Wohlstand, dass wir uns gar nicht vorstellen können, wie schwierig die Probleme in vielen Regionen der Erde sind. Aber so eng verflochten, wie unsere Welt ist, können uns die Folgen der Krisen sehr schnell treffen. Jesus sagt: Ich bin der gute Hirte. Das heißt ja nicht, dass er uns vor allem Leid und allen Problemen bewahrt. Das zu erwarten, wäre naiv. Und doch steht er uns bei.

Wenn ich an Hirten denke, stehen sie meist nur da und tun nichts. Aber das ist ein Irrtum. Sie sind andauernd mit ihren Tieren beschäftigt und für sie da. Der gute Hirte Jesus sagt uns: „Ich kenne die Meinen und die Meinen kennen mich.“ Jede und jeder einzelne ist ihm vertraut und wertvoll. Es geht kein Mensch über die Erde, den Gott nicht liebt. Gott liebt die Welt und uns, seine Kinder. Er lässt sich ein auf die von Unrecht und Gewalt entstellte Welt. Er geht hinein in das Leid. Der Gekreuzigte und Auferstandene sagt uns zu: Keine Macht der Welt kann uns aus Gottes Hand reißen. Auch der Tod kann uns nicht von der Liebe Gottes trennen.

Jesus, der gute Hirte, ruft die Seinen. Ein Hirte ruft, und die Schafe hören seine Stimme. Sie wissen, dass er da ist. Beruhigt gehen sie ihren Weg. Schafe hören am Klang der Hirtenstimme, was los ist. Und sie hören seine Stimme unter vielen heraus. Der Hirte ist ja auch ein Bild für die Pastoren. Diejenigen, die vor 50 Jahren hier in Kenzingen konfirmiert wurden, haben wohl noch die Stimme von Pfarrer Ziegler im Ohr. Wir sind keine Schafe. Wir sagen mehr als „Mäh“ und „Möh“. Aber wir hören leider schlechter als die Schafe. So vieles beansprucht unsere Aufmerksamkeit. Unsere Zeit ist gefüllt und übervoll. Zahllose Stimmen wollen uns belehren, beeinflussen, überzeugen, unterhalten. Wir bemühen uns sogar, mehrere Dinge gleichzeitig zu erledigen, um die Zeit noch mehr zu nutzen. Wir telefonieren und überfliegen zugleich die Zeitung. Wir reden miteinander und werden von den Bildern und Stimmen im Fernseher gelockt. So hören wir einander kaum zu. So hören wir auch nicht auf Jesu Worte.

Lassen wir uns unterbrechen, liebe Gemeinde! Hören wir! Hören wir seinen Trost und seine Zusage! Hören wir seinen Ruf zu Frieden und Vergebung und seine Mahnung, barmherzig und gerecht miteinander umzugehen! Jedes wirkliche Gespräch beginnt damit, dass wir zuhören. Unser guter Hirte Jesus kennt uns. Er weiß, wie es um uns steht. Hören wir, was er uns zu sagen hat! Martin Luther schrieb: „es weiß gottlob ein Kind von sieben Jahren, was die Kirche sei, nämlich die heiligen Gläubigen und Schäflein, die ihres Hirten Stimme hören.“ Kirche sind die, die Jesu Stimme hören. Gott gebe uns Geistesgegenwart, damit wir hören, aufmerksam, wach, bereit für das, was Jesus uns zusagt und wohin er uns ruft, er unser guter Hirte.

Der Friede Gottes, höher als unser Verstehen, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.