Joh 6,1-15

Predigt am 19.7.15 von Andreas Hansen über Joh 6,1-15

Joh 6,1-15 Danach ging Jesus ans andere Ufer des Sees von Tiberias in Galiläa. Viel Volk aber folgte ihm, weil sie die Zeichen sahen, die er an den Kranken tat. Jesus aber stieg auf den Berg und setzte sich dort mit seinen Jüngern nieder. Das Passa war nahe, das Fest der Juden. Als nun Jesus seine Augen aufhebt und sieht, dass so viel Volk zu ihm kommt, sagt er zu Philippus: Wo sollen wir Brot kaufen, damit diese zu essen haben? Dies sagte er aber, um ihn zu prüfen; er selbst wusste ja, was er tun wollte. Philippus antwortete ihm: Brot für zweihundert Denar reicht nicht aus für sie, wenn jeder auch nur ein wenig bekommen soll. Einer von seinen Jüngern, Andreas, der Bruder des Simon Petrus, sagt zu ihm: Ein Kind ist hier, das fünf Gerstenbrote und zwei Fische hat, aber was ist das für so viele? Jesus sprach: Lasst die Menschen sich setzen! An dem Ort war viel Gras. Da setzten sich die Männer, etwa fünftausend an der Zahl. Jesus nahm nun die Brote, sprach das Dankgebet und teilte davon allen, die dasaßen, aus, so viel sie wollten, ebenso von den Fischen. Als sie aber satt waren, sagte er zu seinen Jüngern: Sammelt die übrig gebliebenen Brocken, damit nichts verloren geht. Sie sammelten sie und füllten zwölf Körbe mit den Brocken, die von den fünf Gerstenbroten übrig blieben, nachdem sie gegessen hatten. Als nun die Leute das Zeichen sahen, das er getan hatte, sagten sie: Das ist wirklich der Prophet, der in die Welt kommen soll. Als Jesus nun erkannte, dass sie kommen und ihn in ihre Gewalt bringen wollten, um ihn zum König zu machen, zog er sich wieder auf den Berg zurück, er allein.

„Wo sollen wir Brot kaufen?“ Philippus sieht die Leute an. So viele! Er kann ihre Zahl nur schätzen. „Brot für sie alle? Wieviel Geld werden wir haben, naja, höchstens 200. Aber das reicht nicht aus! Auch wenn jeder nur ein wenig bekommt, reicht es nicht.“ Andreas leistet sich einen müden Scherz: „Schaut, das Kind mit seinen fünf Broten! Zwei Fische hat es auch noch. Aber was ist das für so viele? – Jesus, versteh doch! Es reicht nicht. Wir können ihnen kein Brot geben.“ Aber Jesus bittet zu Tisch, d.h. zu einem Picknick. „Setzt euch ins Gras! Macht es euch bequem!“ Dann nimmt er die Brote, dankt Gott und teilt aus. Jeder bekommt, soviel er will. Es reicht. Alle werden satt. Es reicht, und mehr als das. Zwölf Körbe Brot bleiben übrig. Was Jesus austeilt, stillt den Hunger und genügt für alle. Verstehen Sie das?

Ist das zu verstehen? „Das kann doch nicht sein.“ So wird erklärt. „Allein zum Austeilen hätte Jesus Stunden gebraucht. Vielleicht haben die Leute einfach ausgepackt, was sie sowieso dabei hatten.“ Hilflose Erklärungen. „Jesus gibt Zeichen.“ So schreibt der Evangelist. Zeichen zeigen etwas. Sie weisen auf etwas hin. „Aha, so ist das. So wunderbar ist Jesus.“ Ich verstehe das nicht. Es ist mehr, als wir erklären können. Jesus stillt den Hunger. Das ist so wichtig, dass alle vier Evangelisten davon erzählen, Matthäus und Markus sogar zweimal. Jesus sieht, dass die Menschen hungern und gibt ihnen zu essen.

„Das kann doch nicht alles gewesen sein.“ sang Wolf Biermann. „Da muss doch noch irgendwas drin sein.“ Da muss ich noch mehr aus meinem Leben machen, mehr erleben. Aber wenn ich immer mehr aus dem Leben herausholen muss, werden die Ansprüche unmenschlich. Wenn alles perfekt sein muss, werde ich unfrei.

„Leben als Fragment“ – so nannte der Theologe Henning Luther einen Vortrag. Er war bereits sehr krank, sterbenskrank als er seinen Vortrag hielt. Unser Leben bleibt ein Fragment, ein Bruchstück. Wir werden nicht fertig. Vieles, was wir tun, bleibt unvollendet. Vieles bleibt am Ende eines Tages unerledigt. Wir nehmen uns viel vor: wenn wir erstmal im Urlaub sind, wenn wir endlich unsere Prüfung geschafft haben, wenn wir im Ruhestand sind. Und dann geht doch viel weniger, als wir dachten. Vieles in unserem Leben wollen wir besser machen: in unserer Beziehung, bei der Arbeit, in unserem Zeitmanagement, im Umgang mit unserer Gesundheit. Und dann wird doch nichts daraus oder nur sehr wenig. Ein Fragment, ein Bruchstück ist nicht fertig geworden oder auch zerbrochen. Manches in unserem Leben zerbricht, weil wir Fehler machen und scheitern, weil Unglück geschieht, weil uns Krankheit trifft. Wir wären gern vollkommen, perfekt, stark, aber das sind wir nicht. Zum Jammern besteht kein Grund. Es geht uns ja allen so. Nein, es muss nicht noch mehr drin sein. Unser Leben zählt nicht erst, wenn wir unsere Träume verwirklichen. Wir sind nur auf dem Weg, nicht am Ziel. Wir sind manchmal schwach, machen Fehler und werden mit manchem nicht fertig.

Vielleicht gehören Sie eher zu den Menschen, die das Glas halbvoll sehen. Vielleicht sind Sie sehr dankbar für das, was Sie erreichen und erleben dürfen. Aber auch dann werden Sie diejenigen verstehen, die unter dem Ungenügen leiden. Jede und jeder von uns weiß, wie bedürftig und wie unvollkommen und wie verletzlich wir sind. Jesus sieht unseren Hunger nach Leben, nach Gesundheit und Glück und Geborgenheit. Er gibt uns ein Zeichen: Wir sollen satt werden. Er teilt Brot aus. Er sagt: „Ich bin das Brot des Lebens. Was ihr wirklich braucht, gebe ich euch.“

„Wovon redest Du, Jesus? Geht es dir um Brot? 5000 sind satt geworden. Viele wären heute dankbar für ein Stück Brot. Vielen fehlt das Nötigste zum Leben, ihr tägliches Brot. Oder geht es dir um ein Zeichen? Geht es um das, was nur du geben kannst, um Gemeinschaft mit dir, um Hoffnung und Glauben?“ „Aber das könnt ihr doch nicht trennen.“, antwortet Jesus. „Natürlich will ich euch und alle Menschen wirklich satt machen. Keiner soll Not leiden, keiner verhungern. Aber genauso will ich eure Seele sättigen. Wir brauchen doch viel mehr als Brot. Brot ist ein Wort für Leben, für Liebe, Geborgenheit, Vergebung und Hoffnung.“

Wir denken und empfinden oft wie Philippus und Andreas: „Das reicht doch nicht. Niemals werden alle satt. Wir können doch nichts machen. Was sind unsere schwachen Möglichkeiten für so viele?“ Jesus aber gibt ein Stück Brot und ein großes Versprechen: „Du sollst leben und satt werden. Ich gebe dir mein Leben. Du siehst bei dir vielleicht nur Bruchstücke, ich sehe ein Ebenbild Gottes, einmalig und liebenswert.“

Ein Stück Brot kann viel mehr sein. Eine Frau betritt den Bäckerladen. Der Bäcker sieht ihr an, dass etwas nicht stimmt. „Was ist los? Haben sie Kummer?“ Und sie erzählt von ihrem Jungen, der einen Unfall hatte. „Nehmen Sie ein Stück Brot, das tröstet.“ Und zu einem anderen Kunden: „Kommen Sie, essen Sie mit uns. Denken wir gemeinsam an das Kind. Hoffentlich wird es besser mit ihm.“ Ein andres Mal flüchtet ein junger Mann in den Laden. Sein Vater verfolgt ihn, rasend vor Zorn, einen Stock in der Hand. Der Bäcker nimmt dem Alten den Stock ab. „Bist du verrückt geworden? In meinem Laden wird niemand geschlagen. Hier, iss ein Stück Brot und überleg erstmal!“ Schweigend essen Vater und Sohn. Dann gehen sie erschöpft, beschämt, aber friedlich zusammen heim.

Ich kann nicht erklären, was damals geschah. Aber ich glaube, dass Jesus mir viel mehr gibt, als ich erklären und begreifen kann. Nur ein Stück Brot bekommen wir an Jesu Tisch, und einen Schluck Wein, aber wir feiern das Leben, wir haben Gemeinschaft mit ihm. Wir danken für das Brot des Lebens, für jeden guten Schritt und die große Hoffnung, die er uns schenkt.

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen

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