Predigt am 3.4.15 von Andreas Hansen über Joh 19,16-30
Karfreitag, vor der Predigt singen wir das neue Passionslied in einer fernen Zeit, von Otmar Schutz, aus dem mehrmals Strophen zitiert werden
Wir sehen auf dein Kreuz, Jesus. Wir versuchen, den Blick nicht abzuwenden. Du weichst nicht aus. Du leidest und stirbst. „Stirbst draußen vor dem Tor, stirbst mitten in der Welt. Im Leiden lebst du vor, was wirklich trägt und hält. Erstehe neu in mir. Erstehe jeden Tag. Erhalte mich bei dir, was immer kommen mag.“ Wir sehen auf dein Kreuz, Jesus. Tod und Leid behalten nicht das letzte Wort. Erstehe neu in uns. Erhalte uns bei dir. Amen
Johannes, der Evangelist, lenkt unseren Blick auf das Kreuz, auf den Sieg mitten in Leid und Tod.
Joh 19,16-30
Karfreitag 2015. Fanatismus und Hass toben in vielen Ländern. Menschen lassen sich verführen und zu Mördern machen. Wie Marionetten. Hinter den vorgegebenen Glaubensgründen erkennen wir Machtgier und Habgier. Staaten zerfallen oder gehen wie Assads Syrien im Bürgerkrieg unter. Schrecklich wütet der Terror. Unrecht und Gewalt, wohin wir schauen: Von Nordkorea bis Nigeria, vom Jemen bis zur Ukraine, vom Sudan bis zum Irak. Es ist zum Verzweifeln. Zahllose Menschen werden getötet, verletzt, traumatisiert, in die Flucht getrieben. Der Karfreitag 2015 ist für uns auch geprägt durch den Flugzeugabsturz vor zehn Tagen und durch Leid, das uns persönlich getroffen hat.
Christus ist bei uns. Mitten in der Welt stirbt Christus. Grausam verfolgen ihn die Mächtigen. Zynisch treibt Pilatus sein Spiel. Eiskalt vollziehen die Soldaten den Befehl zur Hinrichtung und nehmen den Verurteilten das Letzte, was sie haben, ihre Kleider.
Jesus ist das Opfer eines römischen Justizmordes. Wir wissen nicht, ob Pilatus ihn für schuldig hält – Pilatus ist einer, der über Leichen geht, ohne mit der Wimper zu zucken – so viel wissen wir über ihn. Jesus ist ihm gleichgültig. Er genießt es, den Juden eines auszuwischen und sie zu provozieren. „Was ich geschrieben habe, habe ich geschrieben. Basta! Schaut, so eine Jammergestalt, das ist euer König.“ Jesus ist das Opfer einer Intrige der Priester. Wir wissen nicht, ob sie wirklich religiöse Gründe haben Jesus zu verurteilen. Sie halten Jesus für gefährlich. Sie wollen ihn loswerden: „Seht, alle Welt läuft ihm nach. Besser einer stirbt, als das ganze Volk geht unter.“ Jesus ist das Opfer brutaler römischer Soldaten. Sie wissen nichts von ihm, aber zum Tod am Kreuz werden schließlich nur die Schlimmsten verurteilt. „Wer weiß, wie viele von unseren Leuten der auf dem Gewissen hat. Ein Dreck ist er und kein König.“
Jesus ist, wie die vielen Opfer in der Welt, machtlos, verfolgt, geschunden, erniedrigt. Johannes, der Evangelist, beschreibt das alles sehr zurückhaltend. Er muss nichts ausmalen. Seine Gemeinde weiß, wie es ist, verfolgt zu sein. Die jüdisch-christliche Randgruppe wird in dieser Zeit aus den Synagogen ausgeschlossen und römischen Behörden ausgeliefert. Aus diesem Grund schreibt Johannes so hart über „die Juden“.
Doch Johannes zeigt Jesus nicht nur als wehrloses Opfer von Unrecht und Gewalt. Er beschreibt ihn dennoch wie einen Sieger. Pilatus meint ihn zu verspotten und schreibt dabei die Wahrheit: Jesus ist der König. Die jüdischen Autoritäten empören sich, doch es erfüllt sich nur, was in der Schrift steht. Selbst das rohe Verhalten der Soldaten bestätigt nur die Worte der Bibel. Jesus handelt bis zuletzt souverän und liebevoll. Er erfüllt Gottes Willen und weiß Gott auf seiner Seite. Er ist eins mit Gott. Gott ist bei ihm. Jesus bleibt bewahrt in seinem Vertrauen. Am Ende sagt er: „Es ist vollbracht.“ Anders als die anderen Evangelisten berichtet Johannes nicht von Erdbeben, Finsternis oder dem Zerreißen des Tempelvorhangs. Jesu Wort sagt genug: „Es ist vollbracht.“ Das entscheidende Wort über die Welt ist gesprochen. Gewalt und Menschenverachtung haben nicht gesiegt. Auch der Tod wird nicht siegen. Jesus stirbt am Kreuz und gerade darum: Das letzte Wort hat Gottes Liebe. Es ist vollbracht.
Wir sehen auf dein Kreuz, Jesus. Wir versuchen, den Blick nicht abzuwenden. Wir stellen uns neben die drei Frauen und den Jünger, der dir besonders nahe war. Maria sieht ihren Sohn. Kann man sich Schrecklicheres vorstellen, als einen geliebten Menschen leiden und sterben zu sehen? Schrecklich, wenn Eltern ihr Kind verlieren. Furchtbar, den Partner loslassen zu müssen, mit dem man die meiste Zeit seines Lebens eins war. Wir denken an die Menschen, deren Leid uns nahe geht. Sie fragen: „Warum, warum muss es so sein?“ Wir sehen dein Kreuz. Du leidest mit ihnen. Hilf uns da zu bleiben, wie Maria Magdalena und die Schwester Marias. Sie bleiben. Das kann schon viel sein. Sie halten das Leid mit aus. Du hast gesagt: „Selig sind, die Leid tragen.“ Wir merken, wie leicht wir an unsere Grenze kommen, überfordert sind, ausweichen wollen. Wir sehen dich am Kreuz. Du teilst den Schmerz. Du bist da.
Du wendest dich dem Jünger neben uns zu, siehst ihn an, „den Jünger, den du liebst“. Rätselhaft: warum hat er keinen Namen? Jeder, der deine Liebe annimmt, ist doch dein geliebter Jünger. Sollen wir uns selbst in diesem Jünger erkennen? So, wie er von den Künstlern gezeigt wird, möchten wir uns anlehnen bei dir, Jesus, festhalten an dir. Du sagst zu Maria: „Sieh, das ist jetzt dein Sohn.“ Und zu dem Jünger: „Sieh, deine Mutter.“ Du verbindest, die Leid tragen. In deinem Namen gehören sie zusammen, gehören wir zusammen. Unter deinem Kreuz sind wir deine Gemeinde. Wir sind nicht allein, so verloren wir uns auch fühlen. Wir sehen deinen Schmerz und dennoch dein Vertrauen. Wir hören dich sagen: „Es ist vollbracht.“ Gottes Liebe behält das letzte Wort. „Erstehe neu in mir. Erstehe jeden Tag. Erhalte mich bei dir, was immer kommen mag.“ Amen
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