Joh 16,33

Predigt am 10.5.15 von Andreas Hansen über Joh 16,33

Liebe Gemeinde,

„Jetzt gehen wir endlich.“ Die Freunde stehen schon an der Tür, den Autoschlüssel in der Hand, aber wir haben doch wieder ein Thema gefunden, das uns nicht loslässt. „Erzähl! Du hast sie gesehen? Wie geht es ihr?“ Dann erfahren wir noch das Neuste von einer Freundin. „Aber jetzt gehen wir endlich.“ Der Abend war schön, aber es ist spät und wir alle sind müde.

Die letzten Male sehen wir uns jetzt vor der Konfirmation. Ich freue mich über euch. Gern möchte ich wissen, wie es euch weiterhin geht. Hoffentlich seid ihr gerne in unserer Gemeinde. Noch wenige Tage bis zum Fest. Dann werdet ihr gesegnet. Konfirmation ist ein Schritt zum Erwachsenwerden. Ihr nehmt Abschied vom Kind-sein.

„Bald muss ich gehen.“ Sie versteht, wovon er spricht, und ist dankbar, dass er es ausspricht. Oft atmet er so mühsam, dass er nichts sagen kann. Den größten Teil des Tages dämmert er vor sich hin, betäubt von den Schmerzmitteln. Er wird nicht wieder gesund. Sie wissen es beide. Aber jetzt ist es gesagt. Sie widerspricht nicht. Sie nickt und nimmt seine Hand und weint. So nah sind sie einander jetzt.

Lange haben Jesus und seine Jünger gesprochen. Bald wird Jesus sterben. Johannes berichtet von ihren Gesprächen beim Abschied. Wichtige letzte Worte. Wie wird es sein ohne ihn? Wie können sie bewahren, was Jesus ihnen bedeutet? Zuletzt sagt er: Das habe ich mit euch geredet, damit ihr in mir Frieden habt. In der Welt habt ihr Angst, aber seid getrost, ich habe die Welt überwunden. (Joh 16,33)

Wir nehmen Abschied und bleiben doch verbunden: Wie unsere Freunde und wir – nach Jahren setzen wir das Gespräch fort, als hätten wir uns gestern zuletzt gesehen. Oder wie unsere Kinderzeit uns nahe bleibt – in uns lebt ja noch das Kind, das wir einmal waren. Wie uns ein geliebter Mensch auch nach seinem Tod ganz gegenwärtig ist. Wir haben ihn im Herzen. Wir stellen uns vor, was er sagen würde – es ist wie ein Gespräch. Das habe ich mit euch geredet, damit ihr in mir Frieden habt. Die Jünger bleiben in ihm. Jesus prägt ihr Denken und Fühlen. Sie sind mit ihm verbunden. „Ich lasse euch nicht allein zurück. Ich sende euch den Heiligen Geist, den Tröster.“ So hat er gesprochen. Und zuletzt: „Betet! Bittet den Vater in meinem Namen!“ Das Gebet wie eine Brücke. Jesus, unsere Adresse bei Gott. Wie ein Kleinkind sich vergewissert, dass die Mutter noch da ist, und dann beruhigt weiter spielt, so haben wir Frieden. Jesus ist beim Vater. Wir erreichen ihn. „Gott ist nur ein Gebet weit von uns entfernt.“(Nelly Sachs)

Aber da regt sich Widerspruch. So harmlos sind längst nicht alle Abschiede. Wir verlieren jemanden oder etwas. Wir werden getrennt. Schmerzhaft wie eine Amputation kann ein Abschied sein. Die Trauer um einen geliebten Menschen kann tief verletzen und deprimieren. Was uns ver-bunden hat, weckt die Sehnsucht und tut weh. Frieden, eine innere Stabilität? – der Weg bis dahin kann sehr weit sein. Jesus weiß das.

Wie wird es sein für die Jünger, wenn Jesus nicht mehr da ist? Wie eifrige Schüler behaupten die Jünger stolz: „Jetzt glauben wir.“ Jesus fragt sie: „Jetzt glaubt ihr? Meint ihr wirklich, dass ihr den Glauben so sicher haben könnt?“ Jesus weiß, wie schwer wir uns tun zu beten, wie wenig wir mit ihm rechnen, wie fern und unerreichbar Gott uns oft erscheint. „Gott ist nur ein Gebet weit von uns entfernt.“ Doch wir sind oft weit weg von aller Gewissheit. Das Kleinkind schaut. Auf einmal ist die Mutter nicht da. Es erschrickt und weint vor Angst.

Jesus sagt seinen Jüngern und uns: In der Welt habt ihr Angst, aber seid getrost, ich habe die Welt überwunden. Angst kommt von Enge. Bedrängnis oder Trübsal wird das Wort auch übersetzt. Das Herz wird eng. Die Sicht wird kurz. Die Gedanken gehen im Kreis wie blockiert. Das Kaninchen starrt auf die Schlange. Angst lähmt. Wir kennen die Angst. Jede und jeder kennt sie. Wir kennen ja unsere Schwächen und wissen, wie angreifbar und verletzlich wir sind. Es ist richtig, wenn wir alle Aufmerksamkeit und Kraft auf das richten, was uns selbst oder andere bedroht, wenn wir uns und unsere Lieben schützen. Viele Ängste sind berechtigt. Vieles in unserer Welt ist beängstigend. Ich will dafür keine Beispiele aufzählen. Ich erinnere aber daran, dass viele Menschen auf der Welt ganz anders als wir bedrängt und bedroht sind und Leid erfahren. Denken Sie nur an die Christen im Irak oder an die, die vor Gewalt, Verfolgung und Not fliehen. Uns geht es unvergleichlich besser.

Dennoch sagt Jesus zu seiner Gemeinde und also auch zu uns: In der Welt habt ihr Angst. Er stellt nüchtern fest: Ihr habt Angst, weil und solange ihr in der Welt seid. Eure Angst gehört zur Welt. Die Welt will von Gott nichts wissen. Sie wendet sich ab von Gott. Sie widerspricht Gott. Menschen starren auf sich selbst und haben Angst: Angst zu kurz zu kommen: „Bekomme ich, was mir zusteht?“, Sorge um Anerkennung: „Wie komme ich an?“, Angst zu versagen: „Bin ich gut genug?“. In der Welt habt ihr Angst. Jesus kennt die wirkliche Not und Bedrängnis, aber auch die selbstsüchtige Angst der Welt, die gottlose Angst, das Kreisen um uns selbst. „Gott ist nur ein Gebet weit von uns entfernt.“ Doch wir sind oft voll Angst, wie blockiert. Unser Vertrauen ist gering, unser Glaube schwach.

Aber seid getrost, ich habe die Welt überwunden. Das letzte, entscheidende Wort Jesu. Überwunden, besiegt ist die Welt, aber noch nicht die Angst. Überwunden hat Jesus alles, was uns von Gott trennen will. Er spricht schon von Ostern her. „Was Euch auch niederwirft, Schuld, Krankheit, Flut und Beben, er, den ihr lieben dürft, trug euer Kreuz ins Leben.“ Die Abschiede, unseren Schmerz, unsere Trauer trägt Jesus ins Leben. Wir bleiben in der Liebe Gottes und auch die, die wir vermissen, sind gehalten von Gott, geborgen in ihm. Wir sind oft gefangen in unserer Angst und hören doch: Fürchte dich nicht! Wir sind verzagt und haben kein Vertrauen. Und Jesus sagt: Seid getrost. Wir finden keine Worte, keinen Geist zum Gebet. Und Jesus sagt: Ich bin beim Vater. Seht auf mich! Betet in meinem Namen! Ich habe die Welt und alles, was euch von Gott trennen will, überwunden.

Der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen

– ———————————–